Außerschulische Bildung 4/2023

Geschlechter- und Zeitgerechtigkeit in der Berufswelt

Vermittlung von Aspekten der Feministischen Ökonomie im Rahmen berufsorientierender und arbeitsweltbezogener politischer Jugendbildung

Im Beitrag wird die Notwendigkeit beschrieben, berufsorientierende Jugendbildung als Teil einer umfassenden politischen Bildung zu begreifen. Sie muss dazu beitragen, dass junge Menschen sich in der Welt als politische Subjekte verorten, gestärkt werden und sich kritisch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen können. Dazu gehört auch ein Verständnis für Geschlechterverhältnisse in der Berufswelt sowie eine Befähigung, sich für Geschlechtergerechtigkeit und gegen ungerechte Arbeitsbedingungen einzusetzen. Denn auch durch den Beruf wachsen Menschen in gültige Normen und Erwartungen der Gesellschaft rein und gestalten diese mit. von Edita Štulcaitė

Daran ansetzen, was sich junge Menschen wünschen

Die SINUS-Jugendstudie aus dem Jahr 2020 macht deutlich, wie wichtig den Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren soziale Werte sind – Familie, Freunde und Vertrauen, um einige davon zu nennen. Dabei scheinen Beruf und Bildung für die meisten befragten Jugendlichen weniger wichtig zu sein, jedoch auch nicht ganz nachrangig. Besonders auffällig ist, dass ein „guter Job“ insbesondere bedeutet, neben der Arbeit ausreichend Freizeit und Raum für Privatleben zu haben sowie finanziell abgesichert zu sein. Dabei dominiert weiterhin der Glaube daran, dass gute Leistung im Beruf zu Wohlstand führt. Die Autor*innen der Studie merken gleichzeitig an, dass Leistung im Beruf als „intrinsisch-motivierter Wert“ eher selten genannt wird (vgl. Calmbach et al. 2020, S. 35). Die Berufswünsche der befragten Jugendlichen sind ebenfalls größtenteils eher bodenständig. Die sogenannte Work-Life-Balance ist inzwischen wohl auch für die meisten Befragten im Jugendalter ein Begriff, wobei „Life“ scheinbar vor allem soziale Beziehungen bedeutet. Frigga Haug brachte jenen Wunsch nach einem solchen Verhältnis zwischen Arbeit und Leben und zugleich die Problematik dessen auf den Punkt: „Die praktische Lösung, das Leben außerhalb der Arbeit zu suchen, stößt allenthalben an Grenzen und ebenso an Überschreitungen. Die theoretische Lösung, Arbeit und Lebensweise getrennt zu denken, verrät die Perspektive der freien Selbstbetätigung, indem sie sie außerhalb der entfremdeten Arbeit einzulösen verspricht.“ (Haug 2003, S. 264)

Die Erkenntnisse aus der SINUS-Jugendstudie werfen folglich mehrere Fragen auf: Warum betrachten Jugendliche den Beruf nur selten als Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe oder gar als eine sinnstiftende Tätigkeit? Lassen sich die hohen Anforderungen der Arbeitswelt wie das Doppelversorgermodell, eine 40-Stunden-Woche, Erhöhung des Renteneintrittsalters überhaupt mit den Ansprüchen der Jugendlichen – der Arbeitskräfte von morgen – ihren Familien und Freund*innen gerecht zu werden, verbinden? Und wenn ja, wie?