Außerschulische Bildung 4/2021

Identitätspolitik gegen ihre Kritik gelesen

Für einen rebellischen Universalismus

Ausgehend von der Analyse aktueller Debatten wird eine „große Koalition“ der Anti-Identitätspolitik identifiziert und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede befragt. Die Analyse der Delegitimierungsstrategien dieser Koalition dient dem Ziel, in kritischer Spiegelung das emanzipatorische Kernanliegen der als Identitätspolitik kritisierten Positionen stark zu machen. Es wird gezeigt, dass die aktuelle Delegitimierung von Identitätspolitik ihren Gegenstand so verfälscht, dass ein kritisches Lernen aus Erfolgen und Fehlern unmöglich gemacht wird. Was bedeutet das für unsere Demokratie? von Silke van Dyk

„Identitätspolitik“ ist in der jüngsten Vergangenheit zu einer ubiquitären Chiffre für die Probleme der Linken und ihrer Verantwortung für den Erfolg der Neuen Rechten avanciert: Sie sei partikular und verstelle den Blick auf die großen Fragen der Zeit, akademisch-elitär und komplizenhaft verschwistert mit dem Neoliberalismus. Die Allgegenwart der Identitätspolitik im Modus der Kritik zielt dabei vor allem auf linke Identitätspolitiken, die Politik Neuer Sozialer Bewegungen und das Erbe von 1968. Wer ausgehend von den aktuellen Debatten zu unterscheiden versucht, was linke Identitätspolitik war und ist und was die zahlreichen aktuellen Kritiker*innen mit Identitätspolitik meinen, bewegt sich auf dünnem Eis. Ausgerechnet in Zeiten, da rassistische, antisemitische und sexistische Positionen durch rechte Kräfte in neuer Quantität und „Qualität“ artikuliert werden und damit die Errungenschaften sozialer Bewegungen unter Druck geraten, findet sich eine erstaunliche „Anti-Identitätspolitik“-Diskursgemeinschaft aus (links-)liberalen und klassenpolitischen Akteur*innen zusammen.

Ausgehend von dieser Diagnose, verfolge ich folgende zwei Ziele: Zum einen soll die „große Koalition“ der Anti-Identitätspolitik ausgeleuchtet und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede befragt werden. Die Analyse ihrer Delegitimierungsstrategien soll zum Zweiten dazu dienen, in kritischer Spiegelung das emanzipatorische Kernanliegen der als Identitätspolitik kritisierten Positionen stark zu machen: eine Politik der Antidiskriminierung und Herrschaftskritik, die Partei ergreift für alle, denen eine Existenz als Subjekt unter Gleichen verwehrt wird. Damit ist keine Glorifizierung jeglicher identitätspolitischer Praxis bezweckt; es soll vielmehr gezeigt werden, dass die aktuelle Delegitimierung von Identitätspolitik ihren Gegenstand so verfälscht, dass ein kritisches Lernen aus Erfolgen und Fehlern unmöglich gemacht wird. Das ist in Anbetracht des Erstarkens autoritärer Kräfte fatal, liegt doch im identitätspolitischen Erbe das Potenzial für einen rebellischen Universalismus, der auch für eine neue Klassenpolitik unverzichtbar ist.

Große Koalition gegen die Identitätspolitik