Außerschulische Bildung 2/2022

In die Irre geführt?

Psychologische Grundlagen des Glaubens an Verschwörungsmythen

Menschliches Denken ist komplex und effizient, es ist jedoch nicht davor gefeit, systematischen Täuschungen zu unterliegen. In diesem Beitrag wird den Fragen nachgegangen, inwieweit diese Täuschungen mit dem Glauben an Verschwörungsmythen zusammenhängen und wie Verschwörungsmythen auf zwischenmenschlicher Ebene begegnet werden kann. von Thea Zander-Schellenberg und Sarah Kuhn

Das Phänomen des Glaubens an Verschwörungsmythen

Menschliches Denken ist äußerst vielfältig und hochindividuell. Zunächst einmal nicht von außen einsehbar, ist es maßgeblich daran beteiligt, Informationen zu sammeln, neue Eindrücke zu strukturieren, Überzeugungen auszubilden, Urteile und Entscheidungen zu fällen sowie komplexe Probleme zu lösen und vieles mehr. Dabei ist es sehr effizient und kann Regeln der Logik anwenden (vgl. Markman/Gentner 2001). Darüber hinaus schließt menschliches Denken auch die Fantasie mit ein und kann in kreative Prozesse, das Erschaffen von Visionen und Utopien involviert sein (vgl. Hennessey/Amabile 2010; Smallwood/Schooler 2015). Das Zitat „Phantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, dem Wissen leider schon“ von Heike Odenhoven deutet an, dass durch lebhafte Denkprozesse innere Realitäten erschaffen werden können, die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit und dem aktuellen Wissensstand einer Gesellschaft zu tun haben müssen. Dies kann beispielsweise beim Verfassen eines fiktiven Romans oder beim Komponieren eines Musikstückes äußerst adaptiv und von Nutzen sein; beim Abgleiten in eine extrem unrealistische Überzeugung, die nur schwer wieder aufgegeben werden kann, ist es jedoch eher Ausdruck eines maladaptiven psychischen Prozesses.

Charakteristika eines Verschwörungsmythos

Menschliches Denken ist bei aller Komplexität und Effizienz jedoch nicht davor gefeit, in Fallen zu tappen oder systematisch Täuschungen zu unterliegen; in der Kognitiven Psychologie werden solche Fälle als Denkverzerrungen oder Denkfehler bezeichnet (vgl. Janssen et al. 2021). Der Glaube an Verschwörungsmythen kann vor diesem Hintergrund betrachtet werden, da in Studien herausgefunden wurde, dass der Glaube an solche Mythen häufig mit der Neigung zu bestimmten, potenziell maladaptiven Denkmustern einhergeht (vgl. u. a. Kuhn et al. 2021), welche weiter unten noch genauer beschrieben werden. Bei dem Glauben an Verschwörungsmythen handelt es sich – sehr allgemein ausgedrückt – um die Überzeugung, es gäbe eine feindselige Gruppe von Menschen, die im Geheimen ein trügerisches oder schädliches Ziel verfolgt, welches zu verschleiern versucht wird (vgl. Douglas et al. 2019; van Prooijen/van Vugt 2018). Häufig zeichnen sich derartige Überzeugungen durch den schwer veränderbaren Glauben an etwas sehr Unwahrscheinliches, Unplausibles oder extrem Unglaubwürdiges aus. Als typische Beispiele solcher Verschwörungsmythen können die folgenden genannt werden: „Die NASA hat die Mondlandung nur vorgetäuscht“, „Die U.S. Regierung war an den 9/11 Terroranschlägen mitbeteiligt“ oder „Die Verbreitung des Coronavirus ist ein willentlicher Akt einer Gruppe mächtiger Menschen, um die Kontrolle über die Menschen zu erhalten“ (Freeman et al. 2020; van Prooijen/van Vugt 2018). Aktuelle Definitionen zum Phänomen Glaube an Verschwörungsmythen enthalten zumeist vier Bestandteile: (1) Bildung einer Koalition, (2) Intentionalität, (3) feindselige Zielgerichtetheit und (4) Geheimhaltung/Verschleierung. Darüber nehmen viele Verschwörungsmythen an, dass nichts rein zufällig passiert, dass es verdeckte Muster gibt und dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint (vgl. z. B. Douglas et al. 2016; Freeman/Bentall 2017; Imhoff/Bruder 2014; van Prooijen/van Vugt 2018). Es kann somit zusammengefasst werden, dass die Annahme von Zufällen oder unbeabsichtigten Folgen eines Ereignisses innerhalb der Verschwörungserzählungen meist negiert werden. Stattdessen wird die Welt eher in ein GUT gegen BÖSE eingeteilt, bzw. in ein WIR gegen SIE. Und Personen, die an Verschwörungstheorien glauben, empfinden sich selbst häufig als diejenigen Personen, die tief genug graben, um hinter die Fassade blicken zu können (vgl. Imhoff/Lamberty 2017).

Bei dem Glauben an Verschwörungsmythen handelt es sich – sehr allgemein ausgedrückt – um die Überzeugung, es gäbe eine feindselige Gruppe von Menschen, die im Geheimen ein trügerisches oder schädliches Ziel verfolgt, welches zu verschleiern versucht wird.

Dazu ist festzuhalten, dass wir alle von Zeit zu Zeit an etwas glauben, wofür uns Beweise fehlen oder das sehr unwahrscheinlich ist (bspw. können sich einige Menschen gut vorstellen, dass es UFOs evtl. doch geben könnte). Anders als solch „harmlose“ Überzeugungen, wurde jedoch in wissenschaftlichen Studien herausgefunden, dass der Glaube an Verschwörungsmythen mit negativen Outcomes assoziiert ist, also bspw. mit feindseligem Verhalten (vgl. Tahmasbi et al. 2020), dem Horten von Lebensmitteln (vgl. Imhoff/Lamberty 2020) sowie weniger infektions-bewusstem Verhalten einhergeht (vgl. Allington et al. 2021) (hier bezogen auf Faktoren, welche die COVID-19-Pandemie betreffen). Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn Personen, die an einen Verschwörungsmythos Wichtig zu betonen ist, dass nicht alle Mythen, die historisch betrachtet zunächst als Verschwörungsmythen aufgefasst wurden, sich später auch als solche herausstellten. In der Geschichte gab es tatsächlich auch immer mal wieder echte Verschwörungen, welche sich erst zu einem späteren Zeitpunkt als solche offenbarten (bspw. die Verschwörung der römischen Senatoren gegen Iulius Caesar im Jahre 44 v. Chr.). glauben, fühlen sich nicht selten durch eine mehr oder minder konkrete Gefahr bedroht. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahre 2019/2020 kursieren einige Ideen zum Ursprung bzw. den Hintergründen des Auftauchens des Virus und seiner Eindämmungsmaßnahmen, die auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen basieren und als Verschwörungsmythen bezeichnet werden können. Ein Beispiel ist die folgende Annahme: „Das Coronavirus ist eine Biowaffe, die von China entwickelt wurde, um den Westen zu zerstören.“ (Freeman et al. 2020) Hier fungiert China als feindseliger Aggressor, welcher der Welt absichtlich Schaden zufügen möchte. Der Aspekt der Geheimhaltung, bzw. Verschleierung ist dabei in diesem Beispiel nur indirekt enthalten, indem der Inhalt des Mythos von offiziellen Erklärungen abweicht. Solche und ähnliche Verschwörungsmythen werden häufig vor allem in den sozialen Netzwerken und digitalen Medien geteilt, in denen sich meist hitzige Debatten und gegenseitige Beschimpfungen zwischen den Befürwortern und den Gegnern solcher Mythen abzeichnen.

Funktionen von Verschwörungsmythen in Krisenzeiten

Es ergibt sich die Frage, warum Verschwörungsmythen gerade in Krisenzeiten sehr prävalent erscheinen. Zur Beantwortung dieser Frage kann das Existential Threat Model (van Prooijen 2021) herangezogen werden. Gemäss diesem Modell wird angenommen, dass in Anbetracht einer existentiellen Gefahr affektiv-kognitive Mechanismen vom Individuum (unbewusst) eingesetzt werden, um mit diesem inneren Spannungszustand umzugehen. Auf kognitiver Ebene wird versucht, Sinn aus den zunächst unverständlichen und schlecht einzuordnenden Ereignissen, die Angst und Unsicherheit auslösen, zu ziehen (vgl. ebd.). Die Entwicklung eines Verschwörungsmythos kann als ein solcher Versuch des Sinnsuchens verstanden werden. Psychologische Erkenntnisse liefern ergänzend wertvolle Aspekte, die zum Verständnis der psychologischen Mechanismen, die beim Glaube an Verschwörungsmythen eine Rolle spielen, beitragen. Hier sind vor allem drei menschliche Grundbedürfnisse-Cluster zu erwähnen, die durch den Glauben an Verschwörungsmythen befriedigt werden können. Dazu zählen (a) Bedürfnisse nach subjektiver Sicherheit und Verstehen (epistemische Motive), (b) Bedürfnisse nach Kontrolle und Selbstwirksamkeit (existenzielle Motive) und (c) Bedürfnisse nach der Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes, bzw. Gruppenselbstbildes (soziale Motive) (vgl. Douglas et al. 2019).

Epistemische Motive werden insoweit durch den Glauben an Verschwörungsmythen befriedigt, da die Konstruktion einer zunächst möglicherweise bizarren, jedoch in sich geschlossenen Erklärung Ordnung und Struktur in zufällig anmutende Ereignisse bringt. Verschwörungstheorien bieten somit eine Möglichkeit, sich trotz vorherrschender Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten einen beständigen, flexiblen Glauben zu bewahren, indem sie intern relativ gut abgestimmte Erklärungen für schwer Verstehbares liefern. Existenzielle Motive werden hingegen v. a. bei Menschen befriedigt, denen momentan das Gefühl von Handlungs- und Entscheidungsfreiheit fehlt. Der Glaube an einen Verschwörungsmythos kann dazu dienen, das Gefühl von Kontrolle wiederzuerlangen, indem auf diese Weise eine Möglichkeit geboten wird, eigenständig und aus eigenem Willen und Antrieb heraus offizielle Erklärungen für Ereignisse in Frage zu stellen, bzw. abzulehnen sowie „bessere”, alternative Erklärungsansätze anzunehmen und potenzielle Handlungsspielräume auszuloten. Soziale Motive schließlich werden insbesondere durch das Teilen von Verschwörungsmythen und die interpersonelle Auseinandersetzung mit der alternativen Erklärung befriedigt. Dadurch, dass der Glaube an Verschwörungsmythen Menschen das Gefühl geben kann, im Besitz seltener und immens wichtiger Informationen zu sein, und dadurch vor Anderen im Vorteil zu sein, kann das Selbstwertgefühl bedeutsam gesteigert werden (vgl. Douglas et al. 2019).

Verschwörungstheorien bieten eine Möglichkeit, sich trotz vorherrschender Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten einen beständigen, flexiblen Glauben zu bewahren, indem sie intern relativ gut abgestimmte Erklärungen für schwer Verstehbares liefern.

Zusammengefasst kann der Glaube an Verschwörungsmythen demnach grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigen, wobei im Einzelfall natürlich immer multiple Gründe für den Glauben an einen speziellen Mythos zutreffen und differenziert betrachtet werden müssen. Dieser ist dann immer auch vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Einflüsse zu analysieren, wie bspw. anhand der COVID-19-Pandemie derzeit gut deutlich wird.

Kognitive Aspekte des Glaubens an Verschwörungsmythen

Eine Frage, die sich in diesem Kontext immer wieder stellt ist, ob sich Menschen hinsichtlich ihrer psychischen Architektur in Abhängigkeit davon, ob sie an Verschwörungsmythen glauben oder entsprechende Überzeugungen nicht hegen, unterscheiden. Grundlegend zeigt sich dazu in empirischen Studien, dass eine generelle, persönlichkeitsbedingte Anfälligkeit für Verschwörungsinterpretationen – die sogenannte conspiracy mentality – mit einer größeren Zustimmung zu Verschwörungserzählungen einhergeht (vgl. Imhoff et al. 2022). Der Glaube an einen bestimmten Verschwörungsmythos kann bspw. ein valides Anzeichen dafür sein, dass die Person auch anfälliger für den Glauben an weitere vergleichbare Mythen ist (vgl. Douglas/Sutton 2011). So finden sich beispielweise in Studien immer wieder starke Zusammenhänge zwischen dem Glauben an Verschwörungserzählungen und paranormale Erfahrungen (vgl. Darwin/Neave/Holmes 2011) oder Glaube an den Wahrheitsgehalt von Misinformation (vgl. De Coninck et al. 2021). Ebenso konnte gezeigt werden, dass Personen, die an Verschwörungsmythen glauben, tendenziell jünger sind, eine extremere politische Einstellung (rechts- oder linksgerichtet) sowie ein geringeres Bildungsniveau aufweisen und situativ gestresster sind (vgl. Freeman et al. 2020; Kuhn et al. 2021). Zudem herrscht meist ein gewisser Grad an grundlegender Skepsis gegenüber offiziellen Institutionen/Autoritäten wie der Politik oder Wissenschaft vor, was die Gefahr birgt, das vorherrschende gesellschaftliche Gefüge entsprechend zu untergraben (vgl. van Prooijen/Spadaro/Wang 2022).

Der Glaube an Verschwörungsmythen kann dazu dienen, das Gefühl von Kontrolle wiederzuerlangen. Foto: AdB

Seit einiger Zeit liefern nun Untersuchungen zu konkreten kognitiven Besonderheiten wichtige Einsichten, die zusätzlich erklären könnten, warum manche Personen dazu neigen, an Verschwörungsmythen zu glauben. So berichten beispielsweise immer mehr Studien darüber, dass Menschen, die Verschwörungserzählungen stärker zustimmen, tendenziell weniger auf analytisches Denken und dafür mehr auf Intuition setzen (vgl. Georgiou/Delfabbro/Balzan 2019; Swami et al. 2014). Innerhalb aktueller 2-System-Modelle wird analytisches Denken dabei als langsames, aufwendiges Nachdenken definiert und Intuition als schnelle, spontane gedankliche Reaktion. Während beide Systeme im Regelfall dynamisch zusammenarbeiten, wird der Intuition innerhalb dieser Kooperation häufig eine gewisse Fehleranfälligkeit zugeschrieben, welche analytisches Denken korrigieren und abmildern kann (vgl. u. a. Evans 2008). In Studien, die einen Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und Bildungsniveau sehen, verschwindet dieser Zusammenhang gar, wenn analytisches Denken als Faktor mitberücksichtigt wird (vgl. van Proiijen 2017), was die Relevanz intuitiven und analytischen Denkens für Debatten rund um Verschwörungsmythen verdeutlicht.

Zudem konnten Studien zeigen, dass die Zustimmung zu Verschwörungsaussagen mit konkreten Denkverzerrungen im Zusammenhang steht (vgl. Kuhn et al. 2021; Pytlik/Soll/Mehl 2020). Darunter fallen bspw. das voreilige Schlussfolgern (engl. jumping to conclusions) und das Festhalten an eigenen Überzeugungen, auch wenn gegenteilige Informationen präsentiert werden (engl. bias against disconfirmatory evidence), welche beide bereits aus der klinisch-psychologischen Forschung bekannt sind und ebenso bei Personen aus der Allgemeinbevölkerung mit wahnhaften oder wahn-ähnlichen Symptomen auftreten (vgl. Dudley et al. 2016). Interessanterweise zeigte sich in der Studie von Kuhn und Kollegen (2021), dass sowohl Personen mit sehr wenig Denkverzerrungen als auch Personen mit vielen Denkverzerrungen Verschwörungsaussagen stark zustimmen. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass automatisch jede Person, die Verschwörungsmythen stark zustimmt, Informationen auf ungünstige, also in dem Fall vorschnelle Art und Weise verarbeitet und auf dieser Basis entscheidet. Eine Charakterisierung des „typischen Verschwörungstheoretikers” auf kognitiver Ebene ist somit nicht sinnvoll. Folgestudien werden hier zeigen, inwiefern bestimmte Subgruppen in Bezug auf kognitive Prozesse unter den Personen, die Verschwörungsmythen zustimmen, existieren.

Umgang mit Verschwörungsmythen

Nun mag man sich natürlich die Frage stellen: Wann besteht überhaupt Bedarf, derartige Überzeugungen herauszufordern oder gar verändern zu wollen? Obwohl diese Frage nur schwer zu beantworten ist, könnte doch folgender Aspekt ein Anhaltspunkt dafür sein, wann ein Hinterfragen einer Verschwörungserzählung sinnvoll sein könnte: Wenn durch das Festhalten an diesen Überzeugungen enormes Leid für sich und/oder Andere bedingt wird. Wie bereits beschrieben, legen Studien nahe, dass das Zustimmen zu Verschwörungsmythen unter anderem tendenziell mit größerem Aggressionspotenzial (vgl. Tahmasbi et al. 2020) und geringerem gesundheitsbedachtem Verhalten einhergeht (vgl. Allington et al. 2021). Auch soziale Beziehungen können durch unterschiedliche Meinungen zu einem Verschwörungsmythos in Mitleidenschaft gezogen werden. In Zeiten der Covid-19-Pandemie war für viele Menschen privat zu beobachten, dass mit geliebten Menschen geführte Diskussionen zu Verschwörungsmythen teilweise zu verhärteten Fronten, und in seltenen Fällen auch zu dem Abbruch von Beziehungen führten – eine Erfahrung, die sich mit empirischer Evidenz zum negativen Einfluss von Verschwörungsmythen auf soziale Beziehungen deckt (vgl. Jolley/Meleady/Douglas 2019; van Prooijen/Douglas 2018; van Prooijen et al. 2022). Obgleich dies selbstredend nicht auf jede Person mit Tendenzen zu Verschwörungsdenken zutrifft, mahnen derartige Berichte und empirische Befunde, die Zustimmung zu Verschwörungsmythen nicht automatisch als exzentrische Ideen abzutun, da sie persönlich wie gesellschaftlich bedeutsame Begleiterscheinungen mit sich bringen kann.

Blick auf die Stärke der Überzeugung

Ein Blick in die Forschung zu Verschwörungsmythen offenbart zwei Hauptansätze, wie Verschwörungsmythen auf zwischenmenschlicher Ebene begegnet werden kann. Diese werden im Folgenden näher erläutert. Im Falle einer starken Vereinnahmung durch einen Verschwörungsmythos wurde lange auf das sogenannte Debunking gesetzt. Dieses wird häufig zur Bekämpfung von Falschinformationen verwendet, wie bspw. in der Kennzeichnung von Tweets im Internet. Dabei handelt es sich um ein faktenbasiertes Widerlegen von Aussagen, die einen Verschwörungsmythos untermauern sollen (vgl. z. B. Nyhan/Zeitzoff 2017). Intuitiv ist dieser Impuls für viele Menschen bei Meinungsverschiedenheiten im Familien-, Freundes- oder Kollegenkreis gegeben: Anhand von wahrgenommenen Fakten wird meist versucht, mit dem Gegenüber einen Konsens zu erreichen; im Fall von offensichtlich unplausiblen oder stark unwahrscheinlichen Überzeugungen lässt sich der Drang, das Gegenüber „eines Besseren“ belehren zu wollen, nur schwer unterdrücken. In der wissenschaftlichen Literatur wird diesbezüglich jedoch in den letzten Jahren vermehrt diskutiert, wie effektiv dieser Ansatz tatsächlich ist, birgt er doch Risiken, auf „taube Ohren” zu stoßen (vgl. Jolley/Douglas 2017), Reaktanz zu erzeugen oder potenziell gewichtigere Überzeugungs-aufrechterhaltende Gründe, wie die erwähnten psychologischen Motive (s. oben), außer Acht zu lassen. Zudem kann jeder noch so stichhaltige, gegen einen Verschwörungsmythos vorgebrachte Fakt, auch als Verschleierungstaktik der Verschwörer*innen interpretiert werden. Im Extremfall kann er vom Gegenüber auch als Argument dafür genommen werden, dass man selbst Teil der Verschwörung sei.

Personen, die an einen Verschwörungsmythos glauben, fühlen sich nicht selten durch eine mehr oder minder konkrete Gefahr bedroht. Foto: AdB

Funktionalität der Überzeugung

Auf Basis der anfangs erwähnten epistemischen, existenziellen und sozialen Motive könnte es sich daher lohnen, die Funktionalität der Überzeugung miteinander im Gespräch wertungsfrei zu ergründen: Welche Vorteile hat die Person davon, wenn sie XY glaubt? Erfüllt der Glaube an den Verschwörungsmythos ein epistemisches, ein existenzielles, und/oder ein soziales Motiv? Könnten diese Motive auf eine andere Art und Weise befriedigt werden? Spezifische mit dem Verschwörungsmythos verbundene Erfahrungen führen darüber hinaus dazu, dass eine diesem Mythos zugewandte Person ihre Haltung ohne Substitution der zugehörigen Bedürfnisse meist nicht ohne Weiteres revidiert. Dazu kann beispielsweise die Erfahrung gehören, einer Glaubensgemeinschaft zugehörig zu sein und dort Anerkennung zu erfahren, oder die Beruhigung, durch einen Erklärungsansatz eine immer komplexer erscheinende Welt zumindest besser verstehen zu können. Die eigene Bereitschaft dafür, einen Irrtum einzugestehen, ist letztlich jedoch auch hier eine Voraussetzung dafür, dass sich Überzeugungen verändern können. Auch wenn in diesen Situationen ein geduldiges, wertschätzendes Gespräch schwer greifbar erscheint, kann an dieser Stelle das Signal „Ich breche die Brücke zu dir trotz unserer unterschiedlichen Meinungen nicht ab” entscheidend sein. Auf diese Art ist auch nach monate- oder jahrelangem Festhalten an einem Verschwörungsmythos der „Rückweg” sichtbarer. Unbedingt wichtig ist hier jedoch auch, achtsam und fürsorglich mit der eigenen Belastbarkeit umzugehen; im Zweifelsfall kann dies auch eine temporäre Kontaktpause zu der Person, die an einen Verschwörungsmythos glaubt, bedeuten.

Die eigene Bereitschaft dafür, einen Irrtum einzugestehen ist letztlich jedoch eine Voraussetzung dafür, dass sich Überzeugungen verändern können.

Im Falle einer (noch) geringen Vereinnahmung durch einen Verschwörungsmythos hat in den letzten Jahren das Konzept der sogenannten Prebunking, teilweise in der Forschung auch als Inoculation (engl.) bezeichnet, vermehrtes wissenschaftliches Interesse erfahren. Damit beschrieben wird ein präventives „Immunisieren” im Sinne einer Sensibilisierung für Kennzeichen und Mechanismen von Verschwörungsmythen (vgl. z. B. Jolley/Douglas 2017) anhand eines konkreten Beispiels. Diese Sensibilisierung, so die Idee, bestärkt Menschen darin, zukünftige Verschwörungsmythen oder Misinformationen kritischer zu betrachten. Essentiell für diese Sensibilisierung sind dabei, dass einerseits auf die menschliche Fehlbarkeit und mögliche negative Konsequenzen rigider Überzeugungen hingewiesen wird, andererseits exemplarisch zunächst Fakten sowie in Folge ein den Fakten widersprechendes konkretes Verschwörungsargument genannt und als faktenabweichend eingeordnet wird. Dieser Ansatz zielt somit direkt auf die Stärkung des analytischen Denkens (s. oben) ab, und eignet sich für eine Vielzahl von Kontexten (z. B. Schulunterricht, digitale Games, Argumentation in Zeitungsartikeln) und Zielgruppen (Schüler*innen, erwachsene Allgemeinbevölkerung etc.).

Implikationen für den Bildungskontext

Gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben kürzlich Entwicklungen im Rahmen von Medienkompetenz-Stärkungen das Potenzial, die Anfälligkeit für Desinformationen, aber auch Verschwörungsmythen auf eine spielerische Art und Weise zu senken. Exemplarisch dient hier das online frei verfügbare Spiel Bad News (www.getbadnews.de) der niederländischen Organisation DROG, welches auf die Enthüllung von Fake-News-Mechanismen abzielt. In diesem Spiel verbreitet die oder der Spielende als Akteur über ein virtuelles soziales Netzwerk selbst gezielt Falschinformationen und erhält unmittelbare Rückmeldung über die Konsequenzen der digitalen Handlungen. Neben klassischeren, das analytische Denken fördernde Ansätze, wie beispielsweise dialektische Diskussionen, stellen solche digitalen Ansätze in einem schulischen Kontext eine für Schüler*innen lebensnähere, ergänzende Methode dar, um den Umgang mit verschiedenen Haltungen und das Entstehen und die Gefahr von urbanen Mythen früh zu erlernen (vgl. van der Linden/Roozenbeck/Compton 2020).

In Zeiten einer durch die COVID-19-Pandemie mitauftretenden „Infodemie” könnten hier auch der Umgang mit Statistiken, die Beurteilung von Quellen sowie das Verständnis von probabilistischen versus deterministischen Kausalitätsketten wertvolle Ansatzpunkte für eine Stärkung des analytischen Denkens darstellen. Schlussendlich können es jedoch auch kleine Fragen zwischendurch sein, welche die eigene Reflexion anregen und so die individuellen Reflexionsfähigkeiten trainieren: Woher weiss ich, dass eine Information oder eine Annahme stimmt? Kann ich der Informationsquelle vertrauen? Und mit welchem Grad an Ungewissheit und ambivalenten Informationen kann ich die Welt verstehen und in ihr leben? Einander dabei zu begleiten und zu unterstützen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die mit zunehmender Digitalisierung und der damit verbundenen Informationsflut für uns alle immer mehr in den Fokus rücken wird.

Zu den Autorinnen

Dr. Thea Zander-Schellenberg ist Diplom-Psychologin und forscht derzeit an der Universität in Basel zu Themen der klinisch-orientierten Entscheidungspsychologie. In einem groß angelegten Projekt, welches vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird, untersucht sie aktuell, welche Rolle die intuitive und analytische Entscheidungsfindung bei Denkverzerrungen im Kontext des Psychose-Kontinuums spielt. Darüber hinaus interessiert sie sich für kognitive Begleitfaktoren beim Glauben an Verschwörungstheorien.
thea.zander@unibas.ch
Sarah Kuhn ist Psychologin und forscht als Doktorandin an der Universität Basel zu den kognitiven Grundlagen von Wahnvorstellungen und Verschwörungserzählungen. Ihr Fokus liegt im Besonderen darauf, welche Rolle Denkverzerrungen dabei spielen und wie derartige Überzeugungen im Alltag mittels Smartphones untersucht werden können.
s.kuhn@unibas.ch

Literatur

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