Außerschulische Bildung 2/2022

In welcher Gesellschaft möchtest du leben?

Lange Zeit war es für mich überhaupt keine Frage. Es war selbstverständlich, dass die Demokratie die beste der Staatsformen war, die ich kannte. Doch dann passierten zwei Dinge in meinem Leben, die mich zum Nachdenken brachten.

Das erste war eine ganz persönliche Entscheidung. Ich belegte einen Philosophiekurs an meinem Gymnasium. Hier lerne ich u. a., dass es viele verschiedene Antworten auf die Frage gibt, welcher der beste Staat sei. Einige davon erscheinen mir persönlich natürlich nachvollziehbarer, andere weniger. Eine weitere wichtige Erkenntnis, die Ihnen, liebe/r Leser*in, wahrscheinlich selbstverständlich erscheint, immerhin haben Sie diese Zeitschrift gerade vor sich, ist, dass es sich bei der Frage, welches der beste Staat sei, keineswegs um eine rein theoretische handelt. Denn immer, wenn wir uns mit politischen Theorien auseinandersetzen, geht es auch darum, wie wir miteinander leben wollen, wie unser Leben aussehen soll.

Die zweite Entscheidung wurde nicht von mir getroffen, sondern von Wladimir Putin. Indem er sich entschloss, einen brutalen Angriffskrieg gegen die Menschen in der Ukraine zu beginnen, wurde deutlich, dass die Demokratie, oder vielmehr das freiheitliche Weltbild, in dem wir hier in Europa leben, in keiner Weise so sicher und selbstverständlich ist, wie geglaubt.

Nun könnte man denken, dass ich durch diese zwei Entscheidungen verunsichert wurde, aber eher das Gegenteil ist die Folge. Zunächst leitete mich die Schule dazu an, frei zu denken. Besonders in der Philosophie ist es mir erlaubt, alles zu ergründen und zu ausnahmslos allem Fragen zu stellen. Es gibt zwar die Annahme, man könne nicht allein durch Lernen spontan oder frei sein, aber gerade im Philosophieunterricht habe ich damit begonnen.

So war ich gut gewappnet für die Diskussionen, die nun die Gräueltaten in der Ukraine zum Anlass nahmen, um über so grundsätzliche Dinge wie internationale Gerechtigkeit und Frieden zu diskutieren.

Ich lebe hier in einer Stadt in Niedersachsen, schaue möglichst regelmäßig die Nachrichten und gehe ab und zu auf Demonstrationen. Aber wirklich die Motivation, mich selbst für den Frieden oder Gerechtigkeit auf der Welt einzusetzen, hatte ich nicht – vielleicht, weil ich vieles verdrängte oder mir andere, persönliche Dinge wichtiger schienen. Und das, obwohl auch davor schon Kriege geführt wurden, von den ich sehr wohl wusste. Aus diesem Grund spüre ich Schuld, da ich davor und eigentlich jetzt auch mit einem Krieg in Europa relativ gut leben konnte und kann. Zum einen fühlt es sich so an, als könnten wir hier als junge Menschen in Deutschland am wenigsten tun, weil wir viel zu weit weg sind von den entscheidenden Institutionen und die Macht der Anderen viel zu groß scheint. Aber auf der anderen Seite gibt unser politisches System uns die machtvollsten Mittel: freie Wahlen – Meinungsfreiheit – Selbstbestimmtheit.

Also ja, ich denke, dass Demokratie die beste aller möglichen Staatsformen ist, und ich möchte mich zukünftig dafür einsetzen, dass auch mir nachfolgende Generationen auf der ganzen Welt in einer Demokratie leben können. Aber wie schon Georg Christoph Lichtenberg gesagt hat: „Zweifele an allem wenigstens einmal und wäre es auch der Satz: Zweimal zwei ist vier!“

Gesine, 18 Jahre