Außerschulische Bildung 1/2021

Jugendliche in Transformationen der Arbeitswelt

Erfordernisse politischer Bildung

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung des Wandels von Arbeit für junge Menschen. Dabei geht es erstens um die Klärung der Frage, wie sich die Arbeitswelt und die mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Konstellationen in den letzten 30 Jahren sowie jüngst vor dem Eindruck der Corona-Pandemie verändert haben. Zweitens wird auf die Situation junger Menschen und ihre Sichtweisen fokussiert. Abschließend geht es um die Frage, welche Erfordernisse daraus zusammenfassend für die politische Bildung erwachsen. von Sophie Schmitt

Die Arbeitswelt, genauer: die kapitalistische Formation von Arbeit, hat sich, angestoßen durch technische Innovationen, fortwährend verändert. Der ökonomische Wandel war immer zugleich ein Prozess, der eine Vielzahl gesellschaftlicher Transformationen mit sich brachte und bringt. So ging der Wandel der Arbeitsverhältnisse mit veränderten (sozial)staatlichen Regulierungen, Familien- und Geschlechterverhältnissen, Bildungsvorstellungen und -arrangements, gesellschaftlichen Normen, Subjektivierungsweisen, aber auch Vorstellungen von der und Anforderungen an die junge Generation einher. Wie heute gearbeitet wird, ist Ergebnis historischer Entwicklungen und eingebettet in soziale Zusammengänge und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Dieser Beitrag wurde vor dem zweiten Lockdown fertig gestellt. Vor dem Eindruck weiterer Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen ist es nach wie vor dringend geboten, Erfahrungen und Perspektiven junger Menschen unterschiedlichster sozialer Hintergründe zu hören und zu berücksichtigen.

Die Arbeitswelt – ein Leben mit der Kontingenz

Betrachtet man die letzten 30 Jahren genauer, so ist eine Neuordnung der oben genannten Konstellationen im Verhältnis von Ökonomie, Staat, Bildung etc. festzustellen. Das fordistische Normalarbeitsverhältnis wird von einer Vielzahl diskontinuierlicher, flexibler und teilweise auch prekärer Beschäftigungsverhältnisse ergänzt. Gesellschaftlich orientierend wirkt dieses Leitbild immer noch, obgleich die Zeiten von überwiegend auf Vollzeittätigkeit beruhenden Arbeitsverhältnissen, die mit einem auskömmlichen Familieneinkommen und einer kontinuierlichen, zumeist männlichen Erwerbsbiographie einhergehen, für die meisten Beschäftigten tendenziell der Vergangenheit angehören. Die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen ist mit der Agenda 2010 und weiteren Maßnahmen des aktivierenden Staates beschleunigt worden. Seitdem dominiert das gesellschaftliche Leitbild der Eigenverantwortung und die Verpflichtung, alles nur Erdenkliche zu tun, um in Arbeit zu kommen („Fördern und Fordern“). Oftmals – und zumal angesichts des ausgebauten Niedriglohnsektors – auch um den Preis der Entwertung der eigenen Qualifikation. Neben diesen sozialstaatlichen Veränderungen wird das Normalarbeitsverhältnis auch durch Partizipationsforderungen von Frauen in der Arbeitswelt und durch die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit infolge der zweiten Frauenbewegung in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund wird nun vom „Adult Worker Modell“ gesprochen, welches „Frauen in durchaus ambivalenter Weise eine von Staat und männlichem Ernährer unabhängige Existenz verspricht“ (Soiland 2017, S. 95, Hervorhebung SoSch). Dieses Versprechen erweist sich allerdings als trügerisch, betrachtet man die weiterhin bestehenden Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, die geschlechtsspezifische horizontale und vertikale Segregation, welche sich mit den Schlagworten Gender Pay Gap, Gender Pension Gap und Gender Wealth Gap beschreiben lassen (vgl. Scheele 2018, S. 6 f.). An der tatsächlichen Zuweisung der Reproduktions- und Sorgearbeit an Frauen, welche in der fordistischen Formation allerdings materiell über die männliche Vollzeiterwerbstätigkeit abgesichert und mit ausreichenden Zeitressourcen versehen war, hat sich nicht viel geändert (vgl. ebd., S. 96). Allerdings kommt es angesichts einer marktähnlichen Steuerung der sogenannten Care-Arbeit im Bereich der haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und -erziehung, der Kranken- oder Altenpflege zu einer Umverteilung der Arbeit zwischen Frauen entlang von Klasse und Nationalität (Bsp.: die osteuropäische Pflegekraft, das lateinamerikanische „Kindermädchen“).