Die Wirkung von Interventionen politischer Bildung auf die Kenntnisse, Einstellungen und Motivationen von Erstwähler*innen zu Kommunalwahlen
Wie kann politische Bildung effektiv Erstwähler*innen zur aktiven Teilnahme an Kommunalwahlen befähigen und motivieren? Kommunales Wahlverhalten ist stark durch eine niedrige Wahlbeteiligung geprägt (vgl. Eith 1997; Gabriel 1997; Löffler/Rogg 2000; Nyhuis 2016). Gleichzeitig bieten Kommunalwahlen in vielen Bundesländern bereits Jugendlichen ab 16 Jahren die Möglichkeit der aktiven Wahlteilnahme – so auch seit 2014 in Baden-Württemberg. Die „Partei der Nichtwähler*innen“ war mit 41,3 % allerdings auch bei den Kommunalwahlen 2019 in Baden-Württemberg trotz einer merklichen Steigerung der Wahlbeteiligung um 9,6 Prozentpunkte erneut die stärkste Kraft. Unter kommunalen Nichtwähler*innen gilt besonders der Anteil junger Wahlberechtigter dabei als überdurchschnittlich hoch (vgl. Löffler/Rogg 2000). Ob dies Ausdruck einer abnehmenden Beteiligungsquote zwischen den Wahlalterskohorten oder vielmehr von Lebenszykluseffekten ist, ist empirisch umstritten (vgl. Cabarello 2014; Steinbrecher 2019). Normativ gilt eine Wahlbeteiligung jedoch als erstrebenswertes – wenngleich nicht erschöpfendes – Ziel politischer Bildung (zum Diskurs um Bürgerleitbilder vgl. z. B. Breit/Massing 2002), auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Prägekraft für die demokratische Sozialisation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dieser Lebensphase (vgl. Baumert et al. 2016; Esser/de Vreese 2007). Wie lassen sich Jungwähler*innen nun aber erfolgreich für die Teilnahme an kommunalen Wahlen gewinnen?
Der vorliegende Beitrag diskutiert diese Fragen am Beispiel der Erstwähler*innen-Kampagne 2019 der Landeszentrale für politische Bildung zur Kommunalwahl Baden-Württemberg und präsentiert empirische Ergebnisse einer Evaluationsstudie von kommunalpolitischen Lernangeboten in schulischen und außerschulischen Kontexten. Ein besonderer Dank gebührt an dieser Stelle allen Mitarbeiter*innen und Teamer*innen, die mit ihrem Engagement maßgeblich zum Gelingen der Kampagne und der begleitenden Evaluationsstudie beigetragen haben. Neben der insgesamt sehr guten Veranstaltungsbewertung durch die Jugendlichen zeigen wir erstens, dass die durchgeführten Interventionen positiv auf die kommunalpolitischen Einstellungen der Teilnehmenden wirken. Zweitens wird deutlich, dass die spielerischen Lernangebote die Wissensbestände zur Lokalpolitik substantiell verbessern. Drittens können wir eine signifikante Steigerung im politischen Effektivitätsgefühl der Jungwähler*innen nachzeichnen ebenso wie eine Erhöhung des kommunalpolitischen Interesses. Viertens beobachten wir einen signifikanten Anstieg der intendierten Wahlteilnahme unter denjenigen Jugendlichen, deren Wahlbeteiligungsabsicht im Vorfeld der Veranstaltung gering ausgeprägt war, was zur Verringerung bestehender Partizipationsgaps beiträgt. Diese Muster unterscheiden sich dabei, fünftens, zwischen den durchgeführten Formaten zugunsten von Veranstaltungen, die zeitlich kompakt konkrete Informationen und Handlungsweisen vermitteln. Sechstens zeigen wir, dass die erzielten Effekte auch über den Wahlzeitpunkt hinaus Bestand haben und erhalten damit Hinweise auf die nachhaltige Wirkung der Interventionen.
Der Artikel ist wie folgt strukturiert: Der nächste Abschnitt stellt die Ziele und unterschiedlichen Angebote der Erstwähler*innen-Kampagne kurz vor. Darauf folgt die Präsentation der begleitenden Evaluationsstudie zu spielerischen Lernangeboten in schulischen und außerschulischen Kontexten. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse und der Implikationen für die politische Bildung.
Die Erstwähler*innen-Kampagne zur Kommunalwahl in Baden-Württemberg 2019
Die Erstwähler*innen-Kampagne der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zur Kommunalwahl 2019 verfolgte mehrere Ziele. Zum einen sollten möglichst viele Erst- und Jungwähler*innen über ihr Wahlrecht und die Grundlagen der Kommunalpolitik informiert werden. Zweitens zielte die Kampagne darauf, positive Einstellungen zur Demokratie im Allgemeinen und auf kommunaler Ebene im Besonderen zu befördern. Drittens sollten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen motiviert und befähigt werden, ihr Wahlrecht ab dem Alter von 16 Jahren auch tatsächlich auszuüben. Viertens sollte durch die Vernetzung von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern auf der kommunalen Ebene neben der Flächenwirkung auch eine möglichst große Nachhaltigkeit bei der Vermittlung politischer Kompetenz und der Stärkung der Eigenaktivität vor Ort erreicht werden.
Zielgruppe der vielfältigen Aktivitäten und Angebote waren Erstwähler*innen im Alter von 16 bis 22 Jahren, vorrangig die über 200.000 Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren in Baden-Württemberg. Um alle Kommunen in Baden-Württemberg anzusprechen und eine möglichst hohe Akzeptanz bei den Jugendlichen zu erreichen, wurde ein breites überparteiliches Bündnis unter Federführung der Landeszentrale für politische Bildung und des Landesjugendrings, in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, gebildet, wobei Frau Landtagspräsidentin Muhterem Aras die Schirmherrschaft der Kampagne übernahm.
Im Rahmen der umfangreichen Kampagne wurden beispielsweise speziell auf Jugendliche ausgerichtete, audiovisuelle Medien (z. B. Filme und Filmwettbewerb) entworfen, Informationen online und in Print aufbereitet, eine Social-Media-Kampagne umgesetzt (z. B. Instagram, Facebook, Podcast, YouTube) und Online-Anwendungen entwickelt (z. B. Kommunal-O-Mat). Darüber hinaus wurden über 350 spielerische Lernangebote unter Einsatz handlungsorientierter Methoden (z. B. Planspiele, Speed-Dating, Testwahl) in schulischen und außerschulischen Kontexten durchgeführt. Darunter befanden sich 90-minütige Kurzveranstaltungen wie die beiden Workshops „Kommunal zur Wahl“ und „Das erste Mal im Wahllokal – so klappt’s bestimmt“, die darauf zielten, den Teilnehmenden in methodisch abwechslungsreicher Weise Aufgaben und Akteure der Kommunalpolitik zu vermitteln. In interaktiven Quizelementen stand hier der konkrete Alltagsbezug der Kommunalpolitik zu jugendlichen Lebenswelten im Vordergrund. Höhepunkt bildete die praktische Durchführung einer Probewahl am Beispiel fiktiver Listen von Kandidierenden, um die Besonderheiten des kommunalen Wahlrechts in Baden-Württemberg (Vielzahl der Stimmen, Panaschieren, Kumulieren) handlungsorientiert zu erproben, welche von einer Auswertung und Reflexion abgerundet wurde.
Wie können Jungwähler*innen erfolgreich für die Teilnahme an kommunalen Wahlen mobilisiert werden? Wie lassen sich ihre Kenntnisse und Einstellungen zur Kommunalpolitik sowie ihre kommunalpolitischen Motivationen wie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen fördern?
Der Angebotskatalog der Kampagne umfasste aber auch Makromethoden wie das Planspiel „Du hast die Wahl in Wahlingen“, in welchem die Teilnehmenden am Beispiel des fiktiven Städtchens Wahlingen in die Kommunalpolitik eintauchten. Ob als Mitglied einer Partei oder Bürgerinitiative, Listenkandidat*in oder Lokaljournalist*in – in unterschiedlichen Rollen gestalteten die Jugendlichen einen kommunalpolitischen Wahlkampf. Dabei konnten sie verschiedene Positionen zu exemplarischen Problemen der Kommunalpolitik an selbsterstellten Wahlkampfständen vergleichen und lernten in einer Podiumsdiskussion unterschiedliche Argumente zu vertreten und zu beurteilen. Auch in diesem fünfstündigen Veranstaltungsangebot bildete eine Probewahl den methodischen Höhepunkt, bevor eine gemeinsame Auswertung und Reflexion das Planspiel abschlossen. Im Folgenden werden wir die Wirkung dieser drei Lernangebote Die Materialien der drei beschriebenen Angebote können auf Nachfrage von den Autor*innen zugeschickt werden. näher betrachten, um beispielhaft Antwort auf die eingangs formulierten Leitfragen des Beitrags zu suchen.
Wirkungsanalyse von schulischen und außerschulischen Lernangeboten
Kernbestandteil der Kampagne waren spielerische Lernangebote für Erstwähler*innen, die sowohl in schulischen (66 %) als auch in außerschulischen (34 %) Kontexten durchgeführt wurden. Dabei wurde ein Teil der insgesamt über 350 Veranstaltungen mittels einer begleitenden Evaluationsstudie auf deren Effekte auf die jugendlichen Teilnehmer*innen untersucht, da wiederholt festgestellt wurde, dass über die Wirkungen und Gelingensbedingungen von Veranstaltungen der (außer-)schulischen politischen Bildung zu wenig empirisch gesichertes Wissen vorliegt (vgl. Hahn-Laudenberg/Oberle 2020; Becker 2011). Auch bezüglich außerunterrichtlicher Veranstaltungen wurden Chancen (z. B. Erreichen einer breiten Zielgruppe durch Schulpflicht) und Grenzen (z. B. mangelnde Freiwilligkeit, Zeitkorsett) zwar erörtert, doch der Bedarf an systematischen Studien unterstrichen (vgl. Oberle 2013). Gerade bei – auf Grund struktureller Bedingungen – pragmatisch kurzen Interventionen bleiben ihre Wirkungen fraglich. So ist unklar, ob (und wenn ja, von wem) Kenntnisse erworben werden und ob sich Motivationen und Einstellungen, Partizipationsbereitschaften oder sogar tatsächliche Partizipation (nachhaltig) verändern. Vor diesem Hintergrund erfolgte die begleitende Evaluation der Erstwählerkampagne der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg anlässlich der Kommunalwahlen 2019 durch ein Forscherteam der Professur Politikwissenschaft/Didaktik der Politik an der Georg-August-Universität Göttingen.
Studiendesign
Insgesamt wurden 40 Veranstaltungen der Erstwählerkampagne 2019 begleitend evaluiert, in denen sieben unterschiedliche Veranstaltungsformate („Kommunal zur Wahl“, „Das erste Mal im Wahllokal“, „Du hast die Wahl in Wahlingen“, „Wie funktioniert Kommunalpolitik?“, „Höhere Freibadpreise in Neckardorf?“, „Kommu … What?!“, „Kommunalpolitik Spezial“) durchgeführt wurden. Die Datenerhebung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens zu zwei bzw. drei Messzeitpunkten (MZP; Prä- und Posttest, zusätzlich für einen Teil der Befragten Follow-Up-Test). Das vorliegende Sample (2 MZP) umfasst 841 Jugendliche (52,3 % weiblich, Altersdurchschnitt 16,33 Jahre (SD = 2,27)), die sowohl an der Prä- als auch der Post-Erhebung teilgenommen haben. Die Befragung erfolgte stets unmittelbar vor bzw. nach Durchführung der Veranstaltung, wobei die Fragebögen dank eines von den Befragten selbst gewählten Codes anonymisiert und dennoch einander zugeordnet werden konnten. Zusätzlich erfolgte bei einigen Veranstaltungen 6 bis 8 Wochen nach Durchführung eine Follow-Up-Befragung (N=191; ca. 60 % zuordenbar zum Prä-Post-Sample, n=119). Die Angebote wurden überwiegend im schulischen Kontext durchgeführt (Gymnasium = 30 %, Realschule = 42 %, Berufsschule = 10,8 %, Gesamtschule = 9,3 %, Waldorfschule = 1,4 %). Einige Veranstaltungen erfolgten zudem im außerschulischen Rahmen (6,3 % – bspw. Jugendzentrum, Caritas, FSJ-Gruppen).
Der Fragebogen bestand aus geschlossenen Fragen zu politischen Dispositionen der Jugendlichen (politisches Interesse, Interesse an Kommunalpolitik, internes sowie externes politisches Effektivitätsgefühl, politische Partizipationsbereitschaften, wahrgenommener Alltagsbezug von Politik, objektives Wissen über Kommunalpolitik) und ihrer Veranstaltungsbewertung (3-faktoriell: generell, subjektiver Lerneffekt, Motivationszuwachs). Die Items der Batterien waren vierstufig Likert-skaliert (1 = stimme gar nicht zu, 4 = stimme voll zu). Die neu entwickelten Fragen mit kommunalpolitischem Bezug wurden in einer Vorstudie pilotiert. Trotz der zur Erleichterung der Durchführbarkeit gewählten Kürze des Fragebogens weisen alle verwendeten Messmodelle eine gute bis sehr gute Datenpassung auf (Fitwerte und Beispielitems siehe Tabelle 1).
Ergebnisse der Vor- und Nachbefragung
Insgesamt äußern die Teilnehmenden eine hohe Zufriedenheit mit den Veranstaltungen und ihren Effekten. So waren 87,7 % der Teilnehmenden zufrieden (35,6 % „sehr zufrieden“) mit der erlebten Veranstaltung. Besonders zufrieden waren sie mit der jeweiligen Leitung (91,3 %) und den zur Verfügung gestellten Materialen (91,0 %), aber auch der Durchführung insgesamt (89,8 %). Mit der Zeiteinteilung der Veranstaltung waren hingegen 23,3 % der Teilnehmenden eher bzw. sehr unzufrieden.
Während die Intervention den Jugendlichen durchaus auch „Spaß gemacht“ hat (80,4 %), findet die Aussage, dass die Veranstaltung ihre „Kenntnisse über die Kommunalwahl erhöht“ hat, die stärkste und breiteste Zustimmung (84,4 %). Auch geben die Teilnehmenden an, durch die erlebte Veranstaltung nun generell besser über Kommunalpolitik Bescheid zu wissen (80 %). Knapp drei Viertel der Jungwähler*innen (74,9 %) fühlt sich durch die Intervention zur Wahl motiviert. Bei 68,8 % wurde insgesamt das Interesse an der Kommunalwahl geweckt bzw. erhöht, 65,4 % der Teilnehmenden fühlen sich dazu motiviert, sich nun im Vorfeld der Wahl über die Kandidat*innen zu informieren. Knapp die Hälfte der Jugendlichen (49,3 %) gibt an, dass die Veranstaltung sie darüber hinaus zur weiteren Auseinandersetzung mit Kommunalpolitik motiviert hat.
Auch die Mittelwerte der berechneten latenten Variablen zur Erhebung der Veranstaltungsbewertung in Tabelle 2 zeigen, dass die Veranstaltungen insgesamt positiv bewertet und die Lerneffekte von den Teilnehmenden als hoch eingeschätzt werden. Hinsichtlich der Fragen, ob die Veranstaltung das Interesse an Politik erhöht und zu politischer Beteiligung motiviert hat, ist eine mittlere Zustimmung zu verzeichnen, die stärker unter den Befragten variiert.
Die Prä-Post-Mittelwertvergleiche offenbaren darüber hinaus bei nahezu allen erhobenen politischen Dispositionen leichte bis mittlere, teilweise sogar sehr starke Effekte in die erwünschte Richtung. Lediglich die bereits im Vorfeld recht stark ausgeprägte basale Partizipationsbereitschaft (bei Kommunalwahlen „wählen gehen“ und „sich im Vorfeld über Kandidat*innen informieren“) sowie das generelle politische Interesse zeigen durch die Veranstaltungsteilnahme insgesamt keine bedeutsamen Veränderungen. Bemerkenswert ist, dass sich dagegen durchaus ein Anstieg im kommunalpolitischen Interesse der Teilnehmenden zeigt. Deutliche Veränderungen hin zu positiver ausgeprägten Werten verzeichnen das interne politische Effektivitätsgefühl, der wahrgenommene Alltagsbezug von Kommunalpolitik sowie das objektive kommunalpolitische Wissen der Teilnehmenden (siehe Tabelle 2).
Betrachtet man das Single-Item zur Wahlbeteiligungsbereitschaft (wiederum mit viertstufiger Likert-Skala, 1=trifft voll zu, 4=trifft gar nicht zu) genauer, zeigt sich für das Gesamtsample zunächst eine leicht positive, jedoch statistisch nicht bedeutsame Entwicklung von einem Mittelwert von 1,69 zu M=1,61 (Cohen’s d=0,1). Um festzustellen, wie sich die Veranstaltungsteilnahme bei Jugendlichen mit vorab gering ausgeprägter Wahlneigung auswirkte, wurden auf Basis der Prätestantworten zwei Gruppen mit „eher hoher Wahlbereitschaft“ (n=719) und „eher niedriger Wahlbereitschaft“ (n=115) gebildet und getrennt untersucht. Die Analysen geben Aufschluss, dass sich die Veranstaltungsteilnahme bei Jugendlichen mit vorab eher niedriger Wahlneigung sogar sehr stark (Effektstärke der Veränderung: Cohen’s d=1,25) auf ihre Wahlbereitschaft auswirkte: In dieser Gruppe entwickelt sich die ablehnende Haltung (M=3,30, SD=0,46) deutlich hin zu mittleren, leicht positiven Werten (M=2,41, SD=0,90). Die Gruppe mit vorab hoher Beteiligungsbereitschaft verändert sich dagegen kaum (Prätest: M=1,44, SD=0,50; Posttest M=1,48, SD=0,71; Cohen’s d=-0,7). Die Veranstaltungsteilnahme konnte also in der Tat dazu beitragen, bestehende Partizipationsgaps zu verringern.
Detailliertere Analysen ermöglichen zudem eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Veranstaltungsformate. Drei der insgesamt sieben evaluierten Formate verfügen über eine ausreichend große Gruppenstärke, um einen aussagekräftigen Vergleich vornehmen zu können (siehe Tabelle 3): Während sich die beiden Kurz-Workshops „Kommunal zur Wahl“ und „Das erste Mal im Wahllokal“ kaum hinsichtlich ihrer Teilnehmenden-Zufriedenheit unterscheiden, schneidet das Planspiel „Du hast die Wahl in Wahlingen“ im Vergleich schlechter ab. Zwar fällt die Bewertung der Veranstaltung durch die Jungwähler*innen auch hier insgesamt positiv aus (generelle Zufriedenheit: M=2,99), jedoch ist die Zufriedenheit geringer ausgeprägt als bei den anderen beiden Formaten. Auch der Wissenszuwachs der Jugendlichen fällt bei „Du hast die Wahl in Wahlingen“ deutlich geringer aus (Cohen’s d=1.25 bzw. Cohen’s d=1.27). Bei den Teilnehmenden des Formats „Kommunal zur Wahl“ zeigt sich zudem der mit Abstand größte Anstieg im empfundenen Alltagsbezug von Kommunalpolitik (Cohen’s d=.84). Allerdings ist festzustellen, dass das Planspiel sich durchaus positiv auf die weitergehenden Partizipationsbereitschaften der Schüler*innen ausgewirkt hat und auch der Zuwachs im diskursbezogenen Effektivitätsgefühl etwas stärker ausfällt als beim Workshop „Das erste Mal im Wahllokal“.
Während „Du hast die Wahl in Wahlingen“ von den Teilnehmenden in allen positiv formulierten Kategorien („lehrreich“, „abwechslungsreich“, „interessant“ und „spannend“) schwächer bewertet wird, liegt dieses Format bei den eher negativ formulierten Attributen wie „zu lang“ (M=2,75) oder „langweilig“ (M=2,16) deutlich vor den beiden Vergleichsformaten. Zudem kritisieren knapp 38 % der Teilnehmenden die generelle Zeiteinteilung dieser Intervention – es lässt sich vermuten, dass hierin ein entscheidendes Problem dieses Planspiels lag.
Können wir einen Unterschied in den Effekten zwischen verschiedenen Untergruppen der Stichprobe feststellen? Multiple Regressionen zeigen, dass die Bewertung der erlebten Veranstaltungen insgesamt unabhängig vom Geschlecht ist. Dagegen geben Jugendliche mit einem höheren kulturellen Kapital des Elternhauses (Proxy-Indikator: Anzahl der Bücher zu Hause) einen etwas höheren Lerneffekt sowie Motivations- bzw. Interessenszuwachs an, auch unter Kontrolle ihres Ausgangsinteresses.
Allgemein gilt: Jugendliche mit einem höheren Ausgangsinteresse an Kommunalpolitik bewerten die Veranstaltungen grundsätzlich positiver. Das kommunalpolitische Vorwissen der Teilnehmenden hat dagegen keinen Einfluss auf ihre Veranstaltungsbewertung. Allerdings korreliert der objektive Wissenszuwachs der Teilnehmenden durchaus positiv mit ihrer Veranstaltungsbewertung. Zudem haben die Jugendlichen mit einem geringeren Ausgangswissen insgesamt einen höheren Wissenszuwachs erfahren. Dies lässt sich einerseits durch einen „Deckeneffekt“ erklären, da sich die Jugendlichen mit einem sehr hohen Wert im Ausgangswissen nicht mehr deutlich steigern können, zugleich weist dieser Befund aber auch darauf hin, dass Teilnehmende mit einem geringen Vorwissen in den Lernprozessen nicht „abgekoppelt“ wurden (vgl. Abbildung 1). Detaillierte Analysen zu den unterschiedlichen Schulformen zeigen, dass die Jugendlichen an Gymnasien über ein höheres Ausgangswissen verfügen. Erwähnenswert ist zudem, dass diese Jugendlichen durch die Veranstaltung dennoch einen starken Wissenszuwachs erfahren haben. Andere Schulformen wie bspw. die Gesamtschule (M=1,65) und die Realschule, die ein vergleichsweise geringes Vorwissen der Lernenden aufweisen, konnten jedoch größere Wissenszuwächse verzeichnen.
Um zu untersuchen, ob sich die Wirkungen und Bewertungen der erlebten Veranstaltung bei Jugendlichen mit unterschiedlichem Ausgangsinteresse an Kommunalpolitik unterscheiden, wurde eine latente Klassenanalyse berechnet, die drei Typen von kommunalpolitisch Interessierten ergab (Tabelle 4). Das Geschlechterverhältnis unterscheidet sich in den drei Gruppen kaum voneinander, jedoch sind die desinteressierten Jugendlichen etwas jünger und verfügen über ein geringeres kulturelles Kapital als die kommunalpolitisch interessierteren Jugendlichen. Latente Strukturgleichungen offenbaren, dass auch die Gruppe der vorab kommunalpolitisch sehr desinteressierten Jugendlichen von der Intervention profitieren konnte. So sind diese Teilnehmenden insgesamt mit der Veranstaltung durchaus zufrieden und bestätigen einen erlebten Lerneffekt. Auch wenn diese Teilnehmenden letztlich das Niveau der kommunalpolitisch interessierteren Jugendlichen nicht erreichen, zeigen sie nach der Intervention doch den höchsten Zuwachs an kommunalpolitischem Interesse. Dagegen unterscheiden sich die drei Typen der kommunalpolitisch Interessierten kaum hinsichtlich ihres Zuwachses an generellem politischen Interesse (keine bedeutsame Veränderung) und kommunalpolitischem Wissen (starke Wissenszuwächse).
Ergebnisse der Follow-Up-Erhebung (Längsschnitt über drei Messzeitpunkte)
Die Analysen der Erhebungen zum dritten Messzeitpunkt (ca. 6–8 Wochen nach der jeweiligen Veranstaltung) zeigen, dass von den 191 befragten Jugendlichen der Follow-Up-Erhebung zum Zeitpunkt der Wahl rund 152 Teilnehmende wahlberechtigt waren. Von diesen beteiligten sich 63,8 % nach der Intervention tatsächlich an der Kommunalwahl. Als Grund für eine Wahlabstinenz wurde am häufigsten Zeitmangel genannt (72,1 %). Auch gaben 53,5 % der (wahlberechtigten nicht-wählenden) Jugendlichen zu, „keine Lust“ gehabt zu haben. 45,5 % der Jugendlichen hatten die Wahl schlicht vergessen, und 43,6 % fühlten sich nach wie vor nicht genügend informiert, um wählen zu gehen. 9,3 % von ihnen gaben an, aus Protest nicht wählen gegangen zu sein.
Von den Jugendlichen, die an der Wahl teilgenommen haben, gaben 60,4 % an, dass die LpB-Veranstaltung im Rahmen der Erstwähler*innen-Kampagne ihnen bei ihrer Wahlentscheidung geholfen habe. Etwas über die Hälfte (52,4 %) wurde zudem in ihrer Wahlentscheidung bestärkt. Bei manchen hat die Intervention auch zu einer Veränderung der Wahlentscheidung geführt (15,9 %).
Wird nun der Längsschnittdatensatz über drei Messzeitpunkte (N=119) hinweg betrachtet, fällt zunächst auf, dass sich die Zusammensetzung des Samples von dem Sample 2MZP leicht unterscheidet. Obwohl sich keine bedeutsamen Differenzen im Altersdurchschnitt zeigen, variiert das Alter im Prä-Post-Sample stärker (SD=2,27 vs. SD=1,28). Gleichzeitig sind Mädchen im 3MZP-Sample etwas häufiger vertreten (59,4 % vs. 52,3 %) und die Jugendlichen verfügen hier insgesamt über ein höheres kulturelles Kapital (Cohen’s d>20). Bezüglich der Schulformen ist ein höherer Anteil an Gesamtschulen (19,3 % vs. 9,3 %) und ein deutlich geringerer Anteil an Berufsschulen (1,7 % vs. 19,3 %) zu verzeichnen. Zudem ist der Anteil der außerschulischen Veranstaltungen etwas höher (13,4 % vs. 6,3 %). Hinsichtlich der Ausgangswerte ihrer politischen Dispositionen weisen die Teilnehmenden beider Samples jedoch große Übereinstimmungen auf. Lediglich in der basalen Partizipationsbereitschaft sowie im subjektiven Wissen gibt es bedeutsame Unterschiede (Cohen’s d>.20): Während die Jugendlichen im 3MZP-Datensatz eher bereit sind, basal zu partizipieren (M=3,33 vs. M=3,17), verfügen die Teilnehmer*innen des Prä-Post-Samples über ein etwas höheres subjektives Wissen (M=2,09 vs. M=1,95). Es fällt auf, dass die Jugendlichen des 3MZP-Samples mit ihrer jeweiligen Intervention auf allen drei Facetten etwas zufriedener sind (Cohen’s d>.20) als der Durchschnitt des 2MZP-Samples.
Die Mittelwertvergleiche des Prä-Post-Follow-Up-Samples offenbaren nun durchaus nachhaltige Veränderungen in den politischen Dispositionen der Jugendlichen (siehe Tabelle 5). Erwartungskonform gehen die Werte nach dem Posttest zwar messbar zurück. Der Vergleich von Prätest und Follow-Up-Befragung zeigt jedoch weiterhin bedeutsame Veränderungen im internen Effektivitätsgefühl, im wahrgenommenen Alltagsbezug von Kommunalpolitik sowie im objektiven Wissen der Jugendlichen über Kommunalpolitik.
Diskussion der Ergebnisse und Implikationen für die politische Bildung
Insgesamt bestätigen die präsentierten Ergebnisse, dass die Bildungsinterventionen der Erstwähler*innen-Kampagne bei den Teilnehmenden zahlreiche der avisierten Wirkungen auf politische Dispositionen – vor allem politisches Wissen, Motivationen, Einstellungen, Handlungsbereitschaften – erzielen konnten. Bemerkenswert ist, dass die Veranstaltungsteilnahme tatsächlich dazu beitragen konnte, bestehende Partizipationsgaps zu verringern. Die Analysen zeigen insgesamt also deutliche und auch nachhaltige Effekte der Veranstaltungen, die aber sowohl zwischen Veranstaltungsformaten als auch nach Schülereigenschaften variieren. So können neben dem generellen Erfolg der Erstwählerkampagne auch besondere Potenziale und Schwierigkeiten der eingesetzten Formate beleuchtet werden.
Gleichzeitig unterliegen die hier dargestellten Ergebnisse unterschiedlichen Einschränkungen. Erstens beinhaltet das Studiendesign keine Kontrollgruppe zur Absicherung der tatsächlichen Wirkung der durchgeführten Interventionen. Zweitens fand keine Randomisierung, d. h. eine zufällige Zuordnung von Proband*innen zu den Untersuchungsgruppen statt. Drittens unterschieden sich die Erhebungssettings vor dem Hintergrund der Vielfalt der Veranstaltungsangebote und ihrer Durchführungssettings (z. B. regulärer Schulunterricht vs. offene Jugendarbeit) teilweise deutlich. Dies verletzt einerseits zentrale Voraussetzungen eines experimentellen Studienprotokolls mit Einschränkungen der internen Validität und Generalisierbarkeit der Befunde. Andererseits ermöglicht unser quasi-experimenteller Ansatz eine höhere Authentizität der Intervention in alltäglichen Situationen, wodurch sich die Akzeptanz unter den Adressat*innen ebenso erhöht wie die externe Validität der Befunde, während er gleichzeitig einen erheblichen Grad an Standardisierung und Kontrolle im Prozess der Datenerhebung gewährleistet. Darüber hinaus kontrollieren unsere statistischen Analysen auch sozio-demografische Hintergrundvariablen und andere potenzielle Einflussfaktoren, sodass sich die Befunde zu den interventions-induzierten Veränderungen der erhobenen politischen Dispositionen durchaus fundiert plausibilisieren lassen (vgl. Oberle 2018).
Klassische, auf analoger Präsenz beruhende Veranstaltungen, die methodisch interaktiv ausgestaltet sind und eine Lebensweltorientierung aufweisen, können signifikante, substanzielle und nachhaltige Effekte, nicht nur auf politische Kognitionen, sondern auch auf kommunalpolitische Einstellungen und Motivationen von Erstwähler*innen haben.
Vor dem Hintergrund der eingangs formulierten Leitfrage beinhalten unsere Ergebnisse verschiedene Implikationen für die politische Bildung zu (kommunalen) Wahlen. Wir können erstens belegen, dass klassische, auf analoger Präsenz beruhende Veranstaltungen, die methodisch interaktiv ausgestaltet sind und eine Lebensweltorientierung aufweisen, signifikante, substanzielle und nachhaltige Effekte, nicht nur auf politische Kognitionen, sondern auch auf kommunalpolitische Einstellungen und Motivationen von Erstwähler*innen haben können. Zweitens finden wir Hinweise, dass zeitlich kompakte Interventionen, die kommunalpolitische Problemstellung anhand konkreter Beispiele vermitteln, besonders wirksam sind und von den Teilnehmenden auch besonders positiv bewertet werden. Drittens wird deutlich, dass eine Messung des „Erfolges“ von Interventionen politischer Bildung zu Wahlen anhand von Beteiligungsquoten zu kurz greift, da sie die Wirkungen auf politische Interessenslagen, Wissensbestände, Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz nicht adäquat erfasst, welche gleichzeitig aber wichtige Voraussetzungen für demokratische Teilhabe über elektorale Partizipation hinaus bilden. Künftige politikdidaktische Interventionsforschung könnte die Gelingensbedingungen von Veranstaltungen der (außer-)schulischen politischen Bildung zu Wahlen auch mithilfe qualitativer Interviews weiter ergründen (vgl. Oberle/Leunig 2018).
Zum Autor/zu den Autorinnen
thomas.waldvogel@lpb.bwl.de
monika.oberle@sowi.uni-goettingen.de
johanna.leunig@sowi.uni-goettingen.de