Bildungsstätten und ihr Wirken im ländlichen Raum
Dem Pensionsalter nahe, blicken zufrieden dreinschauende Menschen in ihren individuell gestalteten Gärten stehend vor den Fassaden ihrer in die Jahre gekommenen Häuser in Richtung Kamera. Nach vorne Zuversicht, im Hintergrund das stolze Eigentum oder die Problemzone. Dem Betrachter dieser Fotos wird sofort klar, dass es sich um Menschen auf dem Lande handelt. Zu sehen sind sie in der Ausgabe 4/2022 der Zeitschrift „Landlust“, dem auflagenstarken Leib- und Magen-Magazin der Landleben-Fans.
Hier stimmt die Idylle, solange der Garten schön gedeiht, das Haus in Schuss ist und die Familie mitspielt. Und in der Story stehen Menschen im Mittelpunkt, die sich bewusst auf dem Lande (in diesem Fall im Wendland) niedergelassen, alte Häuser gekauft und mit öffentlichen Fördermitteln wieder hergerichtet haben.
Ein Gegenbild dazu hat die brandenburgische Schriftstellerin Juli Zeh mit ihrem Roman „Unterleuten“, einem fiktiven Dorf in Brandenburg, geschaffen, wo Zugezogene aus Berlin für Aufregung sorgen, offene Rechnungen zwischen den alteingesessenen Bewohner*innen beglichen werden und die DDR-Vergangenheit und die Verstrickungen mancher Personen ins System nicht aufgearbeitet wurden. Hier ist weit und breit von einer Lust, auf dem Land zu leben, nicht viel zu spüren.
Die Liste an literarischen Produkten zum Leben auf dem Land, in einem Dorf, unter Menschen, die man selten sieht, die aber alles von einem wissen, ist lang und wird immer länger. Das Dorf – die Blackbox auf dem Land, nur zu verstehen für schon immer Dagewesene oder Aussteiger, die versuchen den Code des Dorfs zu knacken?

Und mittendrin in wenigen Dörfern zu finden: Bildungsstätten! Sie residieren in ehemaligen Herrenhäusern, Villen, Bauernhöfen, Fachwerkgebäuden oder gar Neubauten. Ihre Gründungsgeschichte weist vielfach 60–70 Jahre zurück. Der 2. Weltkrieg war vorbei und im Zuge der alliierten Reeducation-Programme wurden im damaligen Westdeutschland in brauchbaren und zur Verfügung stehenden Immobilien Bildungsstätten im ländlichen Raum gegründet und eingerichtet.
Bereits 1951 schlossen sich die ländlichen Heimvolkshochschulen zum Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum e. V. (VBLR) zusammen. Das waren zumeist wertegebundene Einrichtungen aus dem Umfeld der katholischen und evangelischen Kirche, aber auch aus dem Bereich der Bauern- oder Landvolkverbände in den stark landwirtschaftlich geprägten Bundesländern Westdeutschlands.
„Ziel war es, den Menschen auf dem Land nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus eine wertorientierte Weiterbildung zu ermöglichen, die auf den demokratischen Grundwerten beruht“, so beschreibt der VBLR seine Gründungsgeschichte. Vgl. VBLR-Website: https://verband-bildungszentren.de/de/der-verband/geschichte (Zugriff: 11.11.2022) Die heute 44 Mitgliedseinrichtungen befinden sich ausschließlich im ländlichen Raum.
Beim erst später gegründeten Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) zeichnet sich ein differenziertes Bild der Standorte von Mitgliedseinrichtungen ab. Von den 18 Gründungseinrichtungen befanden sich die meisten im ländlichen Raum, in Kleinstädten und Gemeinden wie Vlotho, Steinkimmen, Bündheim, Steinbach oder Schwalbach (vgl. Ciupke 2009, S. 50).
Aktuell sind im ländlich geprägten Niedersachsen 11 von 15 Bildungsstätten auf dem Land angesiedelt, im größten Bundesland NRW nur 6 von 23 Einrichtungen. Auch in den Flächenstaaten Brandenburg, Bayern und Baden-Württemberg befinden sich die meisten Einrichtungen im ländlichen Raum.
Der VBLR gibt mit seinem Merkmal „im ländlichen Raum“ die Mitgliederstruktur vor, beim Fachverband AdB hingegen steht die politische Bildung im Vordergrund. Auch hier war die Gründungsgeschichte von Dezentralität geprägt, um „keine zentral gesteuerte politische Bildung“ (ebd., S. 41) zu installieren. Vielmehr sollten die politische Meinungsbildung und Urteilsfähigkeit dezentral im öffentlichen Diskurs organisiert werden (vgl. ebd.). Die Folge war eine frühe Präsenz der politischen Bildung im ländlichen und kleinstädtischen Umfeld.
Diese programmatische Vorgabe führte in der Folge auch dazu, dass im AdB und im Feld der politischen Bildung überhaupt auch Bildungsstätten in Großstädten in großer Zahl anzutreffen sind. Insgesamt stellt die Präsenz der Bildungsstätten beider Verbände im ländlichen Raum mit rund 90 Einrichtungen eine beachtliche Größe dar. Politische Bildung wird etwa von der Hälfte der Einrichtungen angeboten, was zu der Frage führt, inwieweit die Angebote nur für Teilnehmende mit Übernachtung und Verpflegung zur Verfügung stehen, oder ob auch Bildungsangebote für die einheimische Bevölkerung angeboten und realisiert werden. Selbst die Gründungsveranstaltung des AdB fand 1956 nicht in der Bundeshauptstadt Bonn, sondern im damals noch ländlich geprägten Tutzing am Starnberger See statt.
Allerdings gehören Jugend- und Erwachsenenbildungsstätten nicht zum Standard der dörflichen Bildungsstruktur. Traditionell nahm die klassischen Dorfschulen diese Aufgabe wahr. Mit der Gebietsreform in den 70er-Jahren in den westdeutschen Bundesländern wurden viele dieser Schulen zugunsten neuer Mittelpunktschulen für die neu geschaffenen Großgemeinden geschlossen. Ein Beispiel soll das an dieser Stelle verdeutlichen: Im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg (Wendland), von der Struktur her dünn besiedelt und mit seiner Lage im Zonenrandgebiet eher noch zusätzlich benachteiligt, wurden in den 70er Jahren die Schulstandorte binnen sieben Jahren von 80 auf 18 reduziert (vgl. Henkel 2012, S. 154). Damit „haben die betroffenen Dörfer auch ihre kulturelle und soziale Mitte verloren“ (ebd., S. 155), was auf die mehrdimensionale Funktion der klassischen Dorfschulen nicht nur als Bildungseinrichtungen, sondern auch als Ort der Kultur und des sozialen Lebens hinweist.
Diese drei Funktionen wären auch handlungsleitend für die Tätigkeit von Bildungsstätten im ländlichen Raum und deren Ausrichtung auf Angebote für die Bevölkerung vor Ort.
Aber im Osten …
In Ostdeutschland verlief der Entwicklungsprozess von Bildungsstätten anders: Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendbildung wurden erst nach der Wiedervereinigung gegründet. Aber auch in diesem Teil des neuen Deutschlands wurde vielfach auf bestehende Immobilien im ländlichen Raum zurückgegriffen: leerstehende Guthäuser und Villen, die z. T. während der DDR-Zeit als FDJ-Schulungsheime genutzt wurden, aber auch aufgegebene Bauernhöfe oder gar Schlösser, wie im Falle des Bildungs- und Begegnungszentrums Schloß Trebnitz in Müncheberg, 60 km von Berlin entfernt in der deutsch-polnischen Grenzregion.

Das Schloss war während der DDR-Zeit u. a. Schule und Kindergarten und somit ein öffentlicher Ort des Dorfes. Mit der Einrichtung einer Bildungsstätte in dem Gebäude war der öffentliche Zugang nicht mehr gegeben und das Schloss als imposantes solitäres Bauwerk mitten im Ort wurde für die Dorfbevölkerung zu einem „geheimen“ Ort, über dessen neues Innenleben nicht viel bekannt war. Erst später, nach einem Leitungswechsel, änderte sich die Politik des Hauses und das Schloss wurde wieder öffentlich zugänglich, was insbesondere für die Menschen im Dorf von großer Bedeutung war, da sie zum Teil ihre Schulzeit dort verbracht haben. „Ich wollte kein Ufo sein“, schilderte Darius Müller, Leiter der Bildungsstätte, sein erklärtes Ziel zur Öffnung des Hauses, das die deutsch-polnische Bildungs- und Begegnungsarbeit als Schwerpunkt seiner Arbeit entwickelte. Zitat im Rahmen eines Gesprächs mit dem Autor.
Das Raumschiff im Dorf
Bildungsstätten sind als Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung mit integriertem Übernachtungsbetrieb eher für Zielgruppen und Teilnehmende aus dem überregionalen Bereich zugeschnitten.
Allein das daraus resultierende Geschäftsmodell, notwendige Umsätze über die Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen zu erzielen, geht einher mit förderrechtlichen Vorgaben, die eine überregionale oder bundesweite Ausrichtung des Bildungsangebots vorschreiben und zu generierende Teilnahmetage nur mit Übernachtungen erzielt werden können. Das Dorf bildet im extremen Fall nur die Kulisse für die Einrichtung. Da Teilnehmende aus dem unmittelbaren Umfeld einer Bildungsstätte selten in dieser übernachten, hält sich deren Nutzung dortiger Seminarangebote in engen Grenzen. Einige Häuser registrieren die Teilnahme Erwerbstätiger aus der Region an fünftägigen Bildungsurlaubsseminaren der politischen Bildung, was u. a. mit dem nicht vorhandenen Angebot politischer Bildung an den örtlichen Volkshochschulen zu tun hat. Diese sind seit den 70er Jahren in allen Kreisen und Städten Deutschlands als regionaler „Grundversorger“ präsent.
Eine vom Landesverband der Niedersächsischen Heimvolkshochschulen in Auftrag gegebene Studie zum „Lernort Heimvolkshochschule“ beleuchtete u. a. den Nutzen dieser Einrichtungen für die Region. Die meisten definierten sich in diesem Zusammenhang als Ort für Diskurse und als Wirtschaftsfaktor, da sie Waren und Dienstleistungen aus der Region beziehen und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Einige wenige „sehen allerdings keinen signifikanten Nutzen ihres Hauses für die Region, da sie überregional tätig seien“ (von Ameln 2014, S. 184).
Die Berührungspunkte der Dorfbevölkerung mit der im Ort angesiedelten Bildungsstätte sind erfahrungsgemäß eher gering: Das Bildungsangebot richtet sich, wie oben beschrieben, nicht in erster Linie an sie. Die Mitarbeitenden, vor allem die Pädagog*innen, wohnen in der Regel nicht vor Ort und eine Kommunikationsstrategie mit der Dorfgesellschaft ist eher die Seltenheit. Zudem mangelt es an Angeboten oder Dienstleistungen für das Dorf. In der Ländlichen Heimvolkshochschule Mariaspring, die sich in einem Dorf als Ortsteil der großen Gemeinde Bovenden befindet, sind die Dorfbewohner*innen eher selten anzutreffen. Während des Corona-Lockdowns im Jahr 2021 bot die Einrichtung allerdings „Mittagessen to go“ für alle im Dorf an und erfreute sich großer Nachfrage. Insbesondere die im Homeoffice verharrenden Familien nutzten das Angebot zahlreich, aber auch Rentner*innen aus der Umgebung zählten zu den Abnehmern. Als Nebeneffekt stellte sich eine größere Bekanntheit der Bildungsstätte im Ort ein und dort ansässige Unternehmen und Organisationen fragten nach Möglichkeiten für Gastveranstaltungen im Hause an.
In der Regel nehmen Dorfbewohner*innen Bildungsstätten in ihrem Umfeld nur wahr, weil sie dort immer vorbeigehen und feststellen, dass dort Betrieb ist, wechselnde Fahrzeuge vor der Tür stehen oder auch nicht, der Rasen gemäht wird oder auch nicht – aber das Bildungshaus bleibt ein Fremdkörper, ein Raumschiff, das mit dem Alltagsleben des Dorfes kaum bis null verzahnt ist.
Arbeitsplatz Bildungsstätte
Bildungsstätten im ländlichen Raum beschäftigen Menschen mit vielfältigsten Professionen. Von den hauswirtschaftlichen Service- und Küchenkräften über handwerklich ausgebildete Hausmeister und professionelle Verwaltungskräfte bis hin zu studierten und z. T. promovierten Kräften in der Pädagogik. Der Reiz einer Bildungsstätte geht vom erfolgreichen Zusammenspiel dieser multiprofessionellen Teams aus. Seit den Corona-Lockdowns in den Einrichtungen und den damit einhergehenden Phasen von z. T. längerer Kurzarbeit, müssen viele Einrichtungen mit weniger Fachkräften auskommen, weil Mitarbeitende die Pandemiezeit für eine berufliche Neuorientierung nutzten. Das plötzlich vorhandene Angebot an offenen Stellen lockte mit Jobs ohne Wochenendarbeit und einem Arbeitsplatz in der Stadt oder im näheren Wohnumfeld.
Der Reiz einer Bildungsstätte geht vom erfolgreichen Zusammenspiel der multiprofessionellen Teams aus.
Einige pädagogische Mitarbeitende, die aus einem nahe oder ferngelegenen Oberzentrum zur Bildungsstätte auf dem Lande pendelten und dazu vielleicht noch auf das Auto angewiesen waren, suchten sich eine neue Tätigkeit, die bestenfalls mit dem Fahrrad erreichbar ist. Ein Wohnortwechsel aufs Land in die Nähe der Bildungsstätte stellt offensichtlich keine Option dar. Parallelen zum Mangel an Hausärzten im ländlichen Bereich sind unübersehbar.
Dorfakteur Bildungsstätte
Wenn es um die Frage geht, wie Bildungsstätten als Anbieter politischer Bildung für den ländlichen Raum aktiv werden können, sind eher pädagogische Formate jenseits des klassischen Seminars zu wählen, die nicht mit Übernachtungen im Haus und mehrtägigen Aufenthalten zusammenhängen. Projekte mit kurzzeitigen Phasen des Engagements sorgen für mehr Kontinuität in der Mitarbeit von Bürger*innen. Das zeigen u. a. Erfahrungen im Bereich des Programms MITEINANDER REDEN der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Die dort mit max. 10.000 EUR geförderten zweijährigen Projekte für den ländlichen Raum sind zum Großteil auf Aktivitäten in Dörfern oder Gemeinden fokussiert. Bildungsstätten sind aktuell nur wenig mit Projekten in diesem Programm zu finden, dennoch bietet es gute Ausgangsbedingungen, um politische Bildungsformate entwickeln und realisieren zu können, die zudem mit dieser zusätzlichen Förderung ausgestattet sind.
Wenn es um die Frage geht, wie Bildungsstätten als Anbieter politischer Bildung für den ländlichen Raum aktiv werden können, sind eher pädagogische Formate jenseits des klassischen Seminars zu wählen, die nicht mit Übernachtungen im Haus und mehrtägigen Aufenthalten zusammenhängen.
In der Selbstbeschreibung des Programms heißt es: „Ein MITEINANDER REDEN-Projekt wirkt im unmittelbaren lokalen Umfeld und zielt auf nachhaltiges Handeln und Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen. Es qualifiziert zu Themen und Positionen, die das Gemeinwesen und das Miteinander vor Ort herausfordern. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen kreative Formen eines partizipativen Dialogs und wertschätzenden Aushandlungsprozesses, die zur Stärkung einer demokratischen politischen Kultur beitragen.“ Vgl. https://miteinanderreden.net/foerderprogramm/ziele (Zugriff: 19.11.2022)
Dialogbereitschaft und Aushandlungsprozesse im lokalen Bereich benötigen mitunter einen neutralen „dritten Ort“, der nicht vorbelastet oder einer bestimmten Gruppe zugeschrieben wird. Vereinsheime oder Feuerwehrgerätehäuser sind klar zuordbar, Dorfkneipen so gut wie nicht mehr vorhanden und Dorfgemeinschaftshäuser werden z. T. nur noch durch bürgerschaftliches Engagement von Vereinen oder Einzelpersonen in Betrieb gehalten.
Hier kommen die Bildungsstätten ins Spiel: Als neutraler Ort mit einer leistungsfähigen Infrastruktur und pädagogischer Expertise bieten sich diese als (Lern-)Orte des Austauschs und der Projektarbeit für entsprechende Projekte vor Ort geradezu an.
Gefördert werden im Programm MITEINANDER REDEN „Honorare für Projektmanagement, Moderation, Referentinnen/Künstlerinnen, Beratung; Sachmittel zur Umsetzung, Technik, Öffentlichkeitsarbeit sowie Erstattung von Reisekosten.“ Vgl. Förderrichtlinien zum Programm: https://miteinanderreden.net/foerderprogramm/foerderung (Zugriff: 15.11.2022) Die Aktivitätsformen können sehr breit angelegt sein, was die Projektmöglichkeiten deutlich erhöht. Das Programm läuft zunächst bis zum Ende des Jahres 2024. Wünschenswert wären natürlich eine Verlängerung und eine stärkere Nutzung durch die Bildungsstätten im ländlichen Raum.
Nicht alle Dörfer sind von den negativen Auswirkungen des demographischen Wandels bedroht. Die Corona-Pandemie und die Verteuerung des Wohnraums, aber auch die verbesserten digitalen Bedingungen sorgte insbesondere bei Familien für eine „Stadtflucht“ und einen Wohnortwechsel aufs Land. Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Wüstenrot-Stiftung stellte fest, dass sich heute mehr Menschen für ein Leben auf dem Land entscheiden als vor zehn Jahren. Daraus ergeben sich für die Zuzugsgemeinden neue Aufgaben, denn sie sollten versuchen, so empfehlen es die Autoren der Studie, Zugezogene und Eingesessene zusammenzubringen. Die neuen Bewohner*innen bringen darüber hinaus eigene Ideen mit, wie das gemeinsame Leben vor Ort aussehen könnte (vgl. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung/Wüstenrot Stiftung 2022, S. 23). Diese Ideen der Neuen müssen die Chance auf Verwirklichung im Dorf haben und miteinander kommuniziert werden. Auch diese Prozesse können in einer Bildungsstätte gut realisiert und moderiert werden.
Alle guten Bedingungen eines Bildungshauses nutzen nichts, wenn diese über keine persönlichen oder Kooperationsbeziehungen z. B. mit Vereinen, Initiativen oder Kirchen verfügt. Das Haus muss bekannt sein und Fürsprecher im Ort haben, sonst wird es gemieden. Diese Erfahrungen haben schon viele Einrichtungen im ländlichen Raum machen müssen.
Anders in Schloß Trebnitz: Dort eröffnete die Bildungsstätte in einem eigens dafür umgebauten Nebengebäude einen Dorfladen mit Lebensmitteln als Nah-Versorgungsangebot für die Bewohner*innen des Dorfes. Obwohl damit ein erhöhter Personalaufwand verbunden ist, erleichtern Synergieeffekte das Projekt, denn die Bildungsstätte muss ja ohnehin vom Großhandel beliefert werden. Einen großen Reiz macht aber auch das Angebot regional erzeugter Lebensmittel aus, die dort verkauft werden.
Ähnlich verhält es sich mit dem Cafébetrieb, der in Trebnitz eingerichtet wurde. Von einer „Schülerfirma“ betrieben, schafft er einen weiteren öffentlichen Zugang zur Bildungsstätte mit einem Mittagstisch sowie Kaffee und Kuchen.

Inhaltliche Angebote, die mit dem zentralen Thema der deutsch-polnischen Begegnung zu tun haben, finden sich in den öffentlichen „Schlossgesprächen“ und den Konzerten in der Feldsteinscheune wieder.
Das Beispiel Trebnitz zeigt, wie mit unterschiedlichen Mitteln eine Verbindung zum räumlichen Umfeld der Einrichtung im ländlichen Raum hergestellt werden kann. Politische Bildung im Sinne von Seminarangeboten für die Bewohner*innen stellt dabei nicht das primäre Ziel dar. Durch die oben beschriebenen Angebote nimmt die Bildungsstätte die früheren Aufgaben einer Dorfschule war, nämlich als Ort der Kultur und des sozialen Lebens.
Dialogbereitschaft und Aushandlungsprozesse im lokalen Bereich benötigen mitunter einen neutralen „dritten Ort“, der nicht vorbelastet oder einer bestimmten Gruppe zugeschrieben wird.
Zur Verbesserung dieses sozialen Lebens bzw. Miteinanders werden in Niedersachsen Ausbildungen für ehrenamtliche Akteure zum „Dorfmoderator“ bzw. zur „Dorfmoderatorin“ gefördert. Dieser mehrmodulige Kurs richtet sich an Menschen, die in den Dörfern abseits vom oder in Verbindung mit dem Gemeinderat etwas bewegen und Menschen zu gemeinsamen Aktionen motivieren wollen. Diese Kurse fanden u. a. auch in Bildungsstätten, wie z. B. in Mariaspring – Ländliche Heimvolkshochschule e. V. statt, um die Expertise der Einrichtung, deren Lage im ländlichen Raum und deren Infrastruktur zu nutzen. Gefördert werden diese Kurse aus ELER-Mitteln, dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Neben Land- und Forstwirtschaft soll damit auch eine strukturelle Förderung des ländlichen Raums u. a. durch die soziale Inklusion erfolgen, wie z. B. durch die Stärkung von freiwilligen Akteuren in den Dörfern.
Eine weitere Möglichkeit, Projekte im ländlichen Raum fördern zu lassen, kann sich für Bildungshäuser in sogenannten strukturschwachen Gebieten aus einem weiteren EU-Programm ergeben: LEADER (Liaison entre actions de développement de l’économie rurale, „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“). Es handelt sich dabei um ein Maßnahmenprogramm der Europäischen Union, mit dem seit 1991 modellhaft innovative Aktionen im ländlichen Raum gefördert werden. Lokale Aktionsgruppen erarbeiten vor Ort Entwicklungskonzepte. Ziel ist es, die ländlichen Regionen Europas auf dem Weg zu einer eigenständigen Entwicklung zu unterstützen. Aus diesem Programm sind bereits Projekte und investive Maßnahmen u. a. in Schloß Trebnitz mit dem Ausbau des Dorfladens und in der Ländlichen Heimvolkshochschule Mariaspring gefördert worden. Die neue Förderphase beginnt im Jahr 2023.
Gleichwertig entwickelte Regionen in Europa zu bekommen, ist eine wunderbare Vision, mit der die politische Bildung gut leben und mit ihren Einrichtungen im ländlichen Raum auch gut an deren Verwirklichung arbeiten kann.
Die EU setzt mit diesen und anderen Förderprogrammen zur Entwicklung ländlicher Räume deutliche Schwerpunkte für eine umfassende Politik für die Regionen Europas. Dass sich die EU um die Dörfer kümmert, erscheint auf den ersten Blick unverständlich, da dieses eher eine Aufgabe der Bundesländer wäre oder gar des Bundes, um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu erzielen, wie es im Grundgesetz postuliert ist. Aber gleichwertig entwickelte Regionen in Europa zu bekommen, ist eine wunderbare Vision, mit der die politische Bildung gut leben und mit ihren Einrichtungen im ländlichen Raum auch gut an deren Verwirklichung arbeiten kann.
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brokmeier@mariaspring.de