Klimawandel und Klimakrise – Gründe, Ausmaß, Abhilfen
2018: Die Klimakrise wird öffentlich wahrgenommen
Die Klimakrise ist seit etwa 2018 überall sichtbar geworden. Bis dahin kümmerten sich nur diejenigen Menschen um die Klimaerwärmung, die entweder beruflich mit dem Klima zu tun hatten oder denen das Schicksal der nächsten Generationen eine Sorge war. Schon vorher gab es Unwetter, Wirbelstürme und Trockenzeiten, aber die liefen unter der Rubrik Wetter, nicht Klima.
2018 gab es weltweit eine solche Häufung von zerstörerischen Ereignissen, dass die Öffentlichkeit auf einmal begann, ständig vom Klimawandel zu sprechen. In Europa gab es eine für die Land- und Forstwirtschaft bedrohliche und teure Dürre. In Kalifornien und Florida brannten Tausende von Villen ab oder wurden durch Hurrikane zertrümmert. Afrika gehört nach Einschätzungen des Weltklimarates (IPCC) zu den durch den Klimawandel am meisten bedrohten Kontinenten (vgl. Niang u. a. 2014). Das liegt auch an den wirtschaftlich schwachen Anpassungsfähigkeiten und damit verbundener erzwungener Migration. Asien hingegen müsste die mit Abstand größten Schäden befürchten, wenn der Meeresspiegel weiter steigt.
In nördlichen Gegenden gab es 2018 und 2019 riesige Waldbrände – in Alaska, Nordkanada, Sibirien und Skandinavien. Allein in Schweden gab es 2018 28 große Waldbrände. Die damals 15jährige schwedische Schülerin Greta Thunberg setzte sich im Herbst 2018 vor den Reichstag und rief einen „Schulstreik fürs Klima“ aus. Ich traf sie persönlich im August 2019. Da sagte sie mir, dass die schwedische Öffentlichkeit sie für durchgeknallt gehalten hätte, wenn sie diesen Streik schon 2017 ausgerufen hätte. Aber 2018 flogen ihr aus dem ganzen Land die Sympathien zu.
2019 ist Europa zwar noch wärmer geworden, aber es hat auch wieder geregnet. Dafür gab es in Indien im Juni eine wochenlange Trinkwassernot, weil auf einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland der Regen ausblieb und Bäche und Flüsse versiegten. Und weltweit, sogar im Herzen Südamerikas, gab es gigantische und langanhaltende Waldbrände. Im Spätherbst war dann das südöstliche Australien dran, mit verheerenden Folgen.
Gründe für den Klimawandel
Die Wissenschaft ahnt schon seit 1896, dass das Verbrennen von Kohle durch den Menschen eine Erwärmung der Atmosphäre um vielleicht drei Grad zur Folge haben würde. So schrieb es der später mit dem Nobelpreis ausgezeichnete schwedische Physiker Svante Arrhenius (vgl. Arrhenius 1896). In den letzten Jahrzehnten hat man durch chemische Untersuchungen von Luftbläschen im Eis von Grönland und der Antarktis beweisen können, dass in den letzten 800.000 Jahren eine regelmäßige stramme Korrelation zwischen den CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre und den Temperaturen auf der Erde gab. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse der Antarktis-Messungen von der russischen Vostok-Station und dem EPICA Dome über die letzten 800.000 Jahre.
Allerdings scheint die Temperatur meistens etwas früher die Richtung gewechselt zu haben als die CO2-Konzentrationen. Das heißt, dass die Kausalität keineswegs eindeutig ist. Erst die Messungen der letzten 60 Jahre zeigen deutlich, dass die erhöhten CO2-Werte von Temperaturerhöhungen gefolgt wurden (vgl. Abbildung 2).
Wie geht es weiter?
Der weltweite Energieverbrauch nimmt seit dem Beginn der Industrialisierung, also seit dem frühen 19. Jahrhundert, ständig zu. Aber die drastische Erhöhung des Energieverbrauchs startete erst 1950.
Abbildung 3 zeigt die Entwicklung seit 1875. Die erneuerbaren Energien (außer der blau gezeichneten Wasserkraft) waren in der Vergangenheit vorwiegend Holz und andere organische Stoffe. Aber die zentrale Botschaft der Abbildung ist: Energieverbrauch hieß bislang im wesentlichen Verbrennen von Kohle, Öl und Gas. Erst seit etwa 2000 sind in nennenswertem Umfang Solar- und Windenergie dazugekommen. Und die Kernenergie ist weltweit ein Zwerg geblieben – aus sehr gutem Grund. Ihre potenziellen Schadwirkungen machen sie politisch untragbar.
Bei dieser Dynamik ist es wirklich kein Wunder, dass der Treibhauseffekt erst in den Jahrzehnten nach 1950 zum politischen Thema geworden ist, dass es aber jetzt bereits außerordentlich schwierig ist, den Trend noch umzukehren. Denn fast die gesamte Industrie- und Konsumstruktur ist auf großen Energieverbrauch und eben das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas eingerichtet.
Die Frage, wie es weitergeht, kennt zwei konträre Antworten: Entweder man leugnet die Tatsachen und macht aus kurzfristigen Motiven weiter wie bisher. Oder man tut alles, was technisch, sozial und finanziell möglich ist, und stoppt das Verbrennen von fossiler Energie so rasch wie irgend möglich.
Leugnen ist selten eine Denkschwäche, sondern die Wahrnehmung kurzfristiger egoistischer Interessen.
Die Antwort des Leugnens ist erstaunlich weit verbreitet. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro sagt klar, dass zumindest für Brasilien das Fortsetzen des Abholzens sowie eine Landwirtschaft, die faktisch äußerst klimaschädlich ist, viel größeren Nutzen als Schaden mit sich bringt. Also macht er mit Höchstgeschwindigkeit immer weiter in diesem Sinne. Der US-amerikanische Präsident Donald Trump denkt ähnlich, besonders, weil seine größte Wählerklientel im „Rust Belt“ wohnt, wo die „verrostete“ alte energieintensive Industrie noch gedeiht. Aber weltweit gibt es viele „Leugner“ oder solche, die in der Abwägung zwischen Langfristschäden und Kurzfristnutzen immer für das zweite optieren. Das sind natürlich in der Hauptsache die Kohle-, Öl- und Gasländer, namentlich Russland, Polen, China, Indien, Kasachstan, die Golfstaaten, Kanada, Kolumbien, Venezuela und Australien. Und in Frankreich sperren sich die „Gelbwesten“ und in Deutschland viele AfD-Wähler gegen Maßnahmen zum Klimaschutz. Kurz: Eine gewaltige politische Macht will den Klimaschutz allenfalls in fernerer Zukunft. Leugnen ist selten eine Denkschwäche, sondern die Wahrnehmung kurzfristiger egoistischer Interessen.
Die positive Seite
Gleichwohl gibt es gute Gründe, eine Politik des wirksamen Klimaschutzes für realisierbar zu halten. In umgangssprachlicher Verkürzung geht es um die Kombination von „Zuckerbrot und Peitsche“.
Die „Peitsche“ besteht in Aufklärung. Wichtigstes Thema dürfte der Meeresspiegel sein. Abbildung 4 enthält eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: In den letzten 5.000 Jahren blieb der Meeresspiegel erfreulich konstant, und die gegenwärtig gemessenen Werte des Anstiegs sind mit 1,7 Millimeter pro Jahr beruhigend klein.
Aber die schlechte Nachricht ist, dass es Konstellationen gab, in denen der Anstieg dreißigmal schneller vonstattenging. Und es könnte sogar sein, dass eine abrupte Instabilität eintritt, ausgelöst vielleicht durch ein Erdbeben, und große Massen des Grönlandeises oder der westantarktischen Eisplatte ins Rutschen kommen und dann auf einmal alle Küstenstriche der Welt in Gefahr kommen.
Bangkok mit über 8 Millionen Einwohnern liegt etwa fünf Meter über dem heutigen Meeresspiegel. Und Venedig erlebt ständig „acqua alta“, wo die Menschen tagelang auf Stegen laufen müssen, die etwa einen Meter über dem Straßenpflaster eingerichtet sind. Etwa 800 Millionen Asiaten leben ganz nahe an der Küste. Eine Kombination von steigendem Meeresspiegel und Sturmfluten oder Tsunamis könnte riesigen Überschwemmungskatastrophen auslösen.
Das „Zuckerbrot“ ist von ganz anderer Natur. Deutschland hat durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2000 eine erfreuliche energiepolitische Lawine losgetreten. Im Jahr 2000 war eine Kilowattstunde Solarstrom noch abenteuerlich teuer, in der Gegend von einem Euro. Auch Windenergie war zu den damaligen Marktpreisen kaum vermarktbar. Aber das EEG gab den Erzeugern kostendeckende Preise, sodass es auf einmal ökonomisch Sinn machte, die erneuerbaren Energien auszubauen. Die hieraus entstehenden Mengenvorteile führten zu einem rasanten Preisabfall. Und nach kurzer Zeit haben Gebäudeplaner, Landwirte und die kommerzielle Energiewirtschaft angefangen, in großem Stil Solarenergie und Windenergie sowie Strom aus Wasserkraft und Biomasse auszubauen. Und was in Deutschland vorgemacht wurde, breitete sich mit hoher Geschwindigkeit über die ganze Welt aus. Schon im Jahr 2010 ist die Photovoltaik vielerorts billiger als die Kernenergie. Abbildung 5 aus einer Kalkulation in North Carolina, USA, vergleicht die Preisentwicklung.
Energieeffizienz – noch mehr Zuckerbrot?
Der wirtschaftliche Erfolg der erneuerbaren Energien ist nicht das einzige Zuckerbrot. Eine technologische Revolution ganz anderer Art könnte angestoßen werden: die systematische Erhöhung der Energieeffizienz.
Ingenieure, Manager, Verbraucher und Journalisten gehen begreiflicherweise meistens davon aus, dass alle technischen Effizienzpotenziale längst bekannt sind und auch weitestgehend genutzt werden. Dies ist jedoch ein Irrtum. Allgemein bekannt sind und genutzt werden nur diejenigen Potenziale, die sich auch wirtschaftlich rechnen. Aber die Politik der meisten Länder der Erde versucht immer, die Energie so kostengünstig wie möglich zu machen. Das ist extrem populär beim Volk und bei der Industrie. Im Jahr 2018 haben alleine die OECD-Länder über 400 Milliarden Dollar Subventionen für den Verbrauch von Fossilenergien ausgegeben (vgl. den World Energy Outlook 2019 der International Energy Agency), Die Internationale Energieagentur ist eine Tochterorganisation der OECD, der älteren Industrieländerorganisation. und in Entwicklungsländern sind die Subventionen eher noch höher.
Wenn man nicht nur die direkten Subventionen berücksichtigt, sondern auch die durch die Verbrennung ausgelösten Gesundheits- und Umweltschäden, liegen die Zahlen noch um einen Faktor zehn höher. Das steht in einem Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds (vgl. Coady/Perry/Sears/Shang 2015). Die Autoren schätzen die „Subventionen“ auf etwa 5.000 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Die Effizienzrevolution findet natürlich nicht statt, wenn der Verbrauch der Energie künstlich und zum Schaden von Gesundheit und Klima niedrig gehalten wird. Rein technisch ist jedoch zum Allermindesten eine Verfünffachung der Energieeffizienz möglich (vgl. von Weizsäcker/Hargroves u. a. 2010). Das in Deutschland entwickelte Passivhaus braucht nur etwa ein Zehntel der Heiz- und Kühlungsenergie im Vergleich zu typischen Gebäuden. Die LED-Lampe braucht etwa ein Zehntel des Stroms der alten Glühbirne. In dem zitierten Buch werden Effizienzpotenziale von einem Faktor Fünf in den vier wichtigsten Wirtschaftsgebieten aufgeführt: Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Teilweise geht es dabei auch um Nutzungseffizienz von mineralischen Rohstoffen und von Wasser. Aber das Buch nennt nur diejenigen Fortschritte, die man im Jahr 2008 (Redaktionsschluss der englischen Originalausgabe) schon als gesichert ansehen konnte.
Rein physikalisch ist das Effizienzpotenzial unvorstellbar groß. Um sich dieses klarzumachen, hier ein Rechenbeispiel: Um ein Zehnkilogewicht von Höhe des Meeresspiegels auf den Gipfel des Mount Everest (8.840 m.ü.M.) zu heben, braucht man physikalisch nur den lächerlichen Energiebetrag von einer Viertel Kilowattstunde!
Wie kann man aber dieses ungeheure Effizienzpotenzial mobilisieren? Im gleichen Buch steht die Antwort: Man sollte politische Entscheidungen fällen, dass Energie jedes Jahr um so viele Prozente verteuert wird, wie im abgelaufenen Jahr die durchschnittliche Effizienz zugenommen hat; letzteres erfährt man jährlich vom Statistischen Bundesamt. Dann wird die Energienutzung pro Jahr im Durchschnitt nicht teurer. Aber es entsteht eine Dynamik, die es auf viele Jahrzehnte jedes Jahr rentabler macht, neue Effizienzpotenziale zu erschließen und zu nutzen. Der Vorschlag ist fast haargenau der Dynamik der Industriellen Revolution abgeschaut: In 150 Jahren sind die Bruttolöhne immer etwa um so viele Prozente gestiegen, wie im vorausgehenden Zeitraum die Arbeitsproduktivität gestiegen ist. Die Folge war eine ungefähre Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität und damit dann auch des Pro-Kopf-Wohlstandes.
Gewiss muss man die soziale Not ärmerer Gesellschaftsschichten berücksichtigen und sollte daher Sozialtarife erlauben. Die stören den technischen Fortschritt nicht. Und damit das System nicht zu einer Industriewanderung in billigere Länder führt, sollte man durch eine Grenzabgabe die Kostendifferenz ausgleichen. Insgesamt würden jedoch diejenigen Länder oder Wirtschaftsräume den Vorteil haben, in denen dieser permanente Effizienzanreiz zu einem Davongaloppieren der Effizienztechnologien führt – wiederum ganz in Analogie zur raschen Technologieentwicklung in den Hochlohnländern gegenüber den Billigländern.
Geoengineering
Mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz kann man schon sehr große Fortschritte zur Stabilisierung des Klimas erreichen. Aber es gibt noch andere Optionen.
In den USA und anderen Ländern, denen es schwerfällt, sich von den Fossilenergien zu trennen, wird immer die Hoffnung genährt, dass man durch großräumige menschliche Eingriffe ins Klima die Erwärmung nach unten manipulieren kann. Man nennt es „Geoengineering“ (vgl. Jahrbuch Ökologie 2011; Umweltbundesamt 2011). Eine Idee ist, große Mengen Sulfate in die Stratosphäre zu schießen, die dort das Sonnenlicht reflektieren und damit die Sonnenenergiezufuhr bremsen. Andere Ideen sind großflächige Weißfärbung der Erd- oder Meeresoberfläche oder große Spiegel im erdnahen Weltraum. Ein Problem mit all solchen Ideen ist, dass es sehr riskant wäre, damit herumzuexperimentieren. Bis man ein halbwegs richtiges Maß gefunden hat, sind vielleicht schon gigantische Schäden eingetreten. Ferner kann es zu ungeahnten politischen Konflikten kommen – zwischen Ländern, die unter der Abkühlung leiden und denen, die sie dringend brauchen.
Die Coronakrise hat uns beigebracht, dass wir auf manchen Luxus des Fliegens, des Konsums, der Großveranstaltungen eine Weile verzichten können, wenn jeder einsieht, dass die Gesundheit das erfordert.
Eine andere Art des Geoengineering ist das Abfangen von Treibhausgasen und deren Versenkung im Meer oder in natürlichen oder künstlichen Kavernen im Gestein. Selbst wenn man das technisch hinbekommt, kann es sehr teuer und langfristig unzuverlässig sein. Eine viel bessere Idee mit ähnlichem Motiv ist das Pflanzen von Bäumen und vor allem die Regeneration von landwirtschaftlichen Böden, sodass sie wieder, wie früher üblich, beim Humusaufbau große Mengen CO2 aufnehmen und in Biomasse verwandeln (vgl. z. B. Dohrn 2019).
Genügsamkeit
Die Coronakrise hat uns beigebracht, dass wir auf manchen Luxus des Fliegens, des Konsums, der Großveranstaltungen eine Weile verzichten können, wenn jeder einsieht, dass die Gesundheit das erfordert. Von daher ist es nicht abwegig, sich auch um des Klimaschutzes willen in Bezug auf den Konsum einzuschränken. Hierfür ist es dann hilfreich, sich klarzumachen, dass die Verursacher der globalen Erwärmung zum größten Teil die reichsten zehn Prozent der Erdbewohner sind, wie Abbildung 6 verdeutlicht.
Wir Deutschen gehören sicher zur Hälfte zu diesen obersten 10 %. In dieser Lage wäre es unfair zu sagen, das „kleine Deutschland“ sei doch nur ein kleiner Teil des Klimaproblems. Wir müssen dringend lernen, mit etwas weniger Konsum auszukommen. Und Politik und Wirtschaft müssen lernen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht ein Wohlergehensindikator ist, sondern ein reiner Umsatzindikator. Jeder zusätzliche Verkehrsunfall steigert das BIP, aber doch wohl nicht das Wohlergehen. Erfreulicher als schierer Umsatz sind doch wohl Werte wie Sicherheit, Schönheit, Kultur und Gesundheit.
Genügsamkeit oder Wohlstand ohne Wachstum sind hier die Stichworte. In einem neuen Club of Rome Bericht (vgl. von Weizsäcker/Wijkman 2018; Kapitel 3.14) widmen wir diesen Stichworten ein ganzes Kapitel. Wir können dabei auf einer breiten Literatur über Wohlstand ohne Wachstum aufbauen (vgl. z. B. Paech 2012; Jackson 2017; Fioramonti 2017).
Mit Verzicht allein ist das Klima nicht zu retten. Es muss auch eine strategische Entkoppelung der Klimaschädigung vom segensreichen Teil des Wachstums erreicht werden.
Die theoretische Einsicht ist aber nicht genug. Man muss auch verstehen, warum alle Länder der Welt partout Wachstum, also Umsatz wollen. Der stärkste Grund ist die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Verkehrsunfälle machen zwar nicht glücklich, aber sie schaffen Arbeit: Soforthilfe, Abschleppdienste, Krankenversorgung, Autoreparatur, Polizei usw. Der zweitstärkste Grund sind solide Staatsfinanzen. Wunschlos glückliche Eremiten zahlen keine Steuern. Aber wer Konsumschrott produziert und vermarktet, der zahlt Steuern. Es wäre also falsch und unfair, die weit verbreitete Wachstumssucht einfach den „gierigen Kapitalisten“ zuzurechnen. Nein, es sind wir selber, die wir nicht arbeitslos sein wollen und einen funktionierenden Staat brauchen, die wir also jenseits des Konsums die unbestreitbaren Segnungen des Wachstums genießen!
Also ist mit Verzicht allein das Klima nicht zu retten. Es muss auch eine strategische Entkoppelung der Klimaschädigung vom segensreichen Teil des Wachstums erreicht werden.
Politik
Fast alles, was dem Klimaschutz dient, hat starke politische Komponenten. Zum letztgenannten Beispiel der Genügsamkeit und den segensreichen Aspekten des Wachstums: Die allseits gewünschte Vollbeschäftigung sollte mit weniger sinnlosem oder zerstörerischem Umsatz erreicht und gehalten werden. Eine Antwort wäre eine stärkere Verteilung des (verkleinerten) Arbeitsvolumens. Wenn jemand mit 30 oder 25 Wochenstunden ein auskömmliches Einkommen verdient, könnte er/sie 10 Wochenstunden an heute Arbeitslose abtreten. Dafür könnten Arbeiten fürs Gemeinwohl, für familiäre Altenversorgung, für Reparaturcafés usw. mit positiver Wirkung auf die Rente belohnt werden.
Die Staatskasse kann durch Umweltsteuern und -zölle, Abbau der Fossilsubventionen und spezifizierte Schuldenerlass-Entscheidungen auf gesichertem Niveau gehalten werden. Zölle sind zwar heute beinahe mit einem Denkverbot belastet, könnten aber zur Vermeidung einer überdimensionalen Arbeitsteilung, wie sie die Coronakrise sichtbar gemacht hat, wieder politisch ins Gespräch gebracht werden. Natürlich sollte die EU eine Zollunion ohne nationale Zölle bleiben.
Internationale Synergien, wie sie die EU in großem Stil seit 60 Jahren vorführt, müssen wieder positive Beachtung bekommen. Der seit einigen Jahren grassierende Neonationalismus ist ein ökonomisches und politisches Missverständnis. Man muss hoffen, dass das positive Zusammenrücken auf internationaler Ebene nicht erst durch eine katastrophale Zuspitzung der Klimakrise erzwungen wird.
Zum Autor
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