Außerschulische Bildung 4/2020

Gemeinnützigkeit von Vereinen und Verbänden politischer Bildung

Acht Verbände und Vereine der politischen Bildung haben sich mit einem gemeinsamen Brief an den Bundesfinanzminister Olaf Scholz und weitere Verantwortliche gewandt. Sie fordern die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen, die es Vereinen und Verbänden ermöglichen, politische Bildungsarbeit zu leisten, ohne die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit befürchten zu müssen. Sie machen auf die große Bedeutung politischer Bildung in einer modernen demokratischen Gesellschaft aufmerksam. Hier der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister Scholz,

wir wenden uns an Sie, da uns die öffentlich gewordenen Aberkennungen der Gemeinnützigkeit von Körperschaften, zu deren Tätigkeit auch die politische Bildungsarbeit gehört, sehr besorgt macht. Als zentrale Träger und Akteure der politischen Bildung in Deutschland möchten wir Ihnen das Selbstverständnis politischer Bildung verdeutlichen und diesbezüglich auf problematische Aspekte des Attac-Urteils des Bundesfinanzhofes hinweisen, die der hohen Bedeutung politischer Bildung in einer modernen demokratischen Gesellschaft zuwiderlaufen.

Wir haben erfreut zur Kenntnis genommen, dass das Bundesfinanzministerium den Vorsatz hat, weitere Aberkennungen der Gemeinnützigkeit bis Ende 2021 auszusetzen. Wir denken aber, dass die politische Debatte in einer sehr grundsätzlichen Weise darüber geführt werden muss, welchen Stellenwert politische Bildung in einer demokratischen Gesellschaft hat. Wir fordern daher die Verantwortlichen dazu auf, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Vereinen und Verbänden ermöglichen, politische Bildungsarbeit zu leisten, ohne die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit befürchten zu müssen. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit politischer Bildungsakteure, die für eine demokratische Gesellschaft einstehen, muss zurückgenommen werden und darf nicht zu einer gängigen politischen Praxis werden.

Der Aspekt der „Volksbildung“ im Gemeinnützigkeitsrecht

Viele Vereine, die als gemeinnützig anerkannt sind, beziehen sich in ihren Satzungen auf den anerkannten Zweck der „Volksbildung“. Nicht nur dieser veraltete Wortlaut, auch die Auffassungen des Bundesfinanzhofs im Falle Attac widersprechen einem professionellen Verständnis einer demokratisch und zivilgesellschaftlich verankerten politischen Bildung. Hier sehen wir deutlichen Reformbedarf.

Das Urteil des Bundesfinanzhofes ist aus unserer Sicht in zweierlei Hinsicht problematisch, erstens mit Blick auf das Verständnis von politischer Bildung und zweitens hinsichtlich seiner Auffassung der demokratischen Zivilgesellschaft. Die beiden entsprechenden Leitsätze des Urteils lauten:

„Bei der Förderung der Volksbildung (…) hat sich die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung auf bildungspolitische Fragestellungen zu beschränken. (…) Politische Bildung vollzieht sich in geistiger Offenheit. Sie ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen.“

Der Aspekt der „geistigen Offenheit“, wie er in diesem Urteil verstanden wird, leitet sich nicht direkt aus Bundes- oder Landesgesetzen zur politischen Bildung ab. Im Gegenteil: Geistige Offenheit und demokratische Pluralität gehören zum Selbstverständnis politischer Bildung. Sie ergeben sich aber erst durch die vielfältigen Angebote politischer Bildung. Die politische Bildungslandschaft in Deutschland umfasst sehr heterogene Bildungsanbieter, die spezifische und vielfältige weltanschauliche oder religiöse Positionen und Werte vertreten. Diese stehen teils auch Organisationen nahe, die auf Politik und die politische Willensbildung Einfluss nehmen, zum Beispiel politische Stiftungen, Gewerkschaften oder Kirchen. Ihr Verständnis von Zweckbildung ist dabei als normatives erkennbar. Erst die Pluralität dieser Akteure politischer Bildung schafft eine vielstimmige demokratische Gesellschaft und bildet die Basis für deren geistige Offenheit.

Der Bundesfinanzhof greift mit seiner Auslegung politischer Bildung schwerwiegend in diese plurale Trägerstruktur ein und trägt zur diskursiven Veränderung des Grundverständnisses politischer Bildung bei. Nach seinem Verständnis solle politische Bildung nicht mehr förderfähig sein, wenn sie dazu dient, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Aber genau dies, die politische Wirksamkeit politischer Bildungsarbeit, ist das Ziel vieler Bildungsträger. Die politische Bildungslandschaft wird aber auch von zivilgesellschaftlichen Bildungsakteuren mitgestaltet. Das ist eine erfreuliche Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft, die eher befördert anstatt eingeschränkt werden sollte.

Wir begrüßen daher die Argumente, die das Hessische Finanzgericht im Falle Attac vorgebracht hat:

„Mit dem Demokratieprinzip korrespondiert der Zweck der Volksbildung. Unter Volksbildung fallen dabei insbesondere auch die politische Bildung und die weltanschauliche Bildung. (…) Die für eine Demokratie notwendige Ausgewogenheit der demokratischen Willensbildung setzt zwingend eine entsprechende Bildung und Kenntnisse von den bestehenden Zusammenhängen voraus. Politische Bildung muss dabei sachlich und möglichst umfassend informieren (…). Dabei ist nicht nur die Darstellung des status quo erlaubt, sondern vielmehr ist es geboten, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und auch Alternativen darzustellen. Hier taucht zwangsläufig wieder die politische Komponente auf. Auch besteht Bildung nicht nur in theoretischer Unterweisung, sondern kann auch durch den Aufruf zu konkreten Handlungen ergänzt werden.“

Der normative Rahmen politischer Bildung für ein Gemeinnützigkeitsrecht

Den normativen Rahmen für eine demokratisch verankerte politische Bildung setzen die Grund- und Menschenrechte. Das Grundgesetz gibt in vielen gesellschaftspolitischen Diskursen keine Denkrichtung vor. Eine Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen widerspricht nicht dem Grundgesetz. Hoch problematisch sind allerdings solche Positionen, die Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes missachten. Hier sollte unserer Auffassung nach eine deutliche Grenze markiert und kenntlich gemacht werden, dass Äußerungen und Aktionen, die diese Werte missachten, nicht mehr in den Rahmen einer pluralen demokratischen Gesellschaft gehören.

Dagegen sollten Akteure, die in ihrer Arbeit selbstlos für eine demokratische Gesellschaft einstehen, als Errungenschaften unserer Gesellschaft anerkannt, gefördert und wertgeschätzt werden. Der Motor einer sich entwickelnden demokratischen und emanzipativen Gesellschaft ist der Mut, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen. Politische Bildungsarbeit ist nicht neutral, sondern plural, intervenierend und gemeinnützig.

Was bedeutet das für ein aktualisiertes Gemeinnützigkeitsrecht aus Sicht der politischen Bildung?

  • Die problematische Aberkennungspraxis der Gemeinnützigkeit von zivilgesellschaftlich verankerten Akteuren, die politische Bildungsarbeit leisten und die demokratische Gesellschaft stützen, muss sofort beendet und zurückgenommen werden.
  • Es müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Körperschaften eine Rechtssicherheit in Hinblick auf ihre Praxis politischer Bildungsarbeit geben.
  • Hierfür müssen die Rechtsbegriffe „Volksbildung“ und „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ begrifflich aktualisiert und aus der Engführung der Auslegung des Bundesfinanzhofes befreit werden.
  • Politische Bildung muss von staatlichen Behörden und Instanzen in ihrer Pluralität und ihrem gesellschaftskritischen Charakter anerkannt, wertgeschätzt und gefördert werden. Politische Bildung ist ein gewichtiger Teil des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses. Sie trägt in der Vielfalt ihrer Strukturen und Akteure dazu bei, gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen und vor allem auch konstruktiv handelnd in diese eingreifen zu können. Sie ist nicht auf formales Lernen oder einen staatlich eng gefassten Politikbegriff zu reduzieren. Politische Bildung umfasst Demokratie als Lebensform und alltäglichen Handlungsraum.

Beziehen Sie die Akteure der politischen Bildung mit ein. Es braucht einen gemeinsamen öffentlichen Diskurs hinsichtlich dieses zentralen demokratiepolitischen Themas. Wir bitten um einen Gesprächstermin und erwarten Ihre Antwort bis zum 30. November 2020.

Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören der Bundesausschuss politische Bildung e. V. (bap), der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB), die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik e. V. (DeGeDe), die Amadeu Antonio Stiftung, die Deutsche Vereinigung für politische Bildung, die Bildungsstätte Anne Frank e. V., das Forum kritische politische Bildung (FkpB) und die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et).

Bei Fragen und Reaktionen wenden Sie sich bitte an Prof.in Dr.in Bettina Lösch, Forum kritische politische Bildung (bettina.loesch@uni-koeln.de), an Sebastian Bock, Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (bock@adb.de), oder an Steve Kenner, Deutsche Vereinigung für politische Bildung (steve.kenner@dvpb-nds.de)