Außerschulische Bildung 3/2022

Polyphonic Encounters – Politische Bildung in einer pluralen Gesellschaft weiterentwickeln

Fachtagung des AdB-Projektes „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“

Was muss sich strukturell ändern, damit (historisch-)politische Bildung einer vielfältigen Gesellschaft gerecht wird? Was sind die bisher wenig thematisierten rassismus- und antisemitismuskritischen Leerstellen in Trägerstrukturen und Organisationen der (historisch-)politischen Jugend- und Erwachsenenbildung? Wie kommen wir von einer häufig reinen Proklamation von mehr Diversität ins tatsächliche diversitätsorientierte Handeln? Diese Fragen standen im Fokus der Fachtagung „Polyphonic Encounters – politische Bildung in einer pluralen Gesellschaft weiterentwickeln“, die am 2. Juni 2022 in Berlin stattfand. Die Tagung war eine Kooperationsveranstaltung des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V. mit der Heinrich-Böll-Stiftung und fand im Rahmen des AdB-Projektes „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“ statt.

Dass das Thema einen Nerv trifft, wurde an dem großen Interesse an der Tagung deutlich, die bereits nach wenigen Tagen ausgebucht war. In ihren Eröffnungsreden machten Mekonnen Mesgena, Referent der Heinrich-Böll-Stiftung für Migration und Diversity, sowie Narmada Saraswati, Projektleiterin des Polyphon-Projektes, deutlich, warum gerade politische Bildung nach 1945 eine große Verantwortung in Bezug auf das Thema Diversität zukommt, aber gleichzeitig immer noch eine große Diskrepanz zwischen Haltung und Handeln in den eigenen Strukturen zu beobachten sei, wenn es um die Abbildung gesellschaftlicher Vielfalt gehe. So fehle es eindeutig nicht an politischen Bildner*innen of Color, aber sie fehlen ganz häufig in den etablierten Organisationen der außerschulischen politischen Bildung.

Dr. Max Czollek, der den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Radikale Vielfalt in der Erinnerungskultur – Erinnerungskultur in der radikalen Vielfalt“ hielt, knüpfte an die Einführungsworte in Bezug auf Erinnerungsnarrative an. Wir haben immer noch damit zu kämpfen, dass marginalisierte Stimmen wie von Jüdinnen*Juden oder Menschen mit Rassismuserfahrung zu wenig Gehör finden. Eine heterogene demokratische Gesellschaft, die jedoch ein „nie wieder“ ernst nimmt, ist allerdings auf die Perspektivenvielfalt von Minderheiten angewiesen und müsse eine „Gegenwart so einrichten, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt.“ Als Konsequenz daraus folgt, dass Erinnerungskultur mit Diskriminierungskritik zusammengedacht werden muss. Das heißt auch zu lernen, dass es sich bei Vielfalt nicht (nur) um eine harmonische Bereicherung für die Mehrheitsgesellschaft handelt, sondern um eigenständige und selbstbestimmte Stimmen, die gesellschaftliche Dominanzlogiken und damit eine vermeidliche Harmonie in Frage stellen. Gerade in dem offiziellen Gedenken an die Shoah wird die Homophonie sehr deutlich. Hier spielt das Versöhnungs- und Entlastungsnarrativ der Mehrheitsgesellschaft häufig eine wesentlich größere Rolle als die Verhandlung von Gerechtigkeitsfragen, die in vielen Fällen bis in die Gegenwart ausblieb.

Mit Unterstützung dieser Tagung wurden wichtige Ziele im Projekt erreicht: Die Weiterentwicklungsbedarfe der Profession politischer Bildung, um einer pluralen Gesellschaft gerecht zu werden, wurden identifiziert und klar benannt. Eine Veränderung ist nur mit der gleichberechtigten Einbeziehung von Stimmen möglich, die von struktureller Diskriminierungserfahrung betroffen sind. Die Auseinandersetzung mit Diversität bedeutet auch, sich mit gewissen Kontinuitäten der deutschen (Gewalt-)Geschichte in Bezug auf Kolonialismus und Nationalsozialismus auseinanderzusetzen sowie daraus Konsequenzen für eine demokratische, gleichberechtigte und vielfältige Gesellschaft und politische Bildung zu ziehen.