Wie kann man trainieren, gegen Stammtischparolen zu argumentieren?
Es erscheint zunächst paradox: Während eine Verrohung des politischen Klimas und die Verschiebung der Grenze des Sagbaren beklagt wird, haben gleichzeitig immer weniger Menschen den Eindruck, dass man in Deutschland seine Meinung frei sagen darf (vgl. Vooren 2023). Mit dem floskelhaften „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ werden plumpe Parolen und diskriminierende Beiträge flankiert und verwechselt, dass es nicht zur Meinungsfreiheit gehört, dass eine solche Äußerung unwidersprochen stehen bleibt. Das in diesem Beitrag vorgestellte Konzept des Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen soll dazu beitragen, Sprachlosigkeit in solchen Auseinandersetzungen abzubauen und die Stimme zum Protest zu erheben. Gleichzeitig soll das Format den demokratischen Diskurs stärken, indem es dazu ermutigt, trotz großer politischer Differenzen miteinander im Gespräch zu bleiben und Verbindendes zu suchen, um der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung etwas entgegenzusetzen.
Kennzeichen von Stammtischparolen
Stammtischparolen zeichnen sich grundsätzlich durch „aggressive Rechthaberei, kategorisches Entweder-Oder“ und „dezidierte Selbstgerechtigkeit“ (Hufer 2016a, S. 12) aus. Die harten Urteile lassen keine Differenzierung zu und polarisieren zwischen einem konstruierten „Wir“ und den anderen. In Stammtischparolen kommen Vorurteile zum Ausdruck und sie verkürzen komplexe Sachverhalte in unzulässiger Art und Weise. Während manche Parolen wie „Arbeitslose sind zu faul zum Arbeiten“ oder „Homosexualität ist unnatürlich“ seit vielen Jahren nahezu unverändert weitergetragen werden, spiegeln sich aktuelle politische und gesellschaftliche Themen wie die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine oder Klimaschutz-Proteste stets auch in den Parolen wider. Der Begriff Stammtischparolen soll jedoch nicht suggerieren, dass Äußerungen dieser Art nur an Stammtischen fallen. Sie kommen an allen Orten vor, an denen Menschen aufeinandertreffen. Allerdings verweist der Begriff Stammtisch auf zwei Kriterien, die das Auftreten von solchen Parolen besonders wahrscheinlich machen: An Stammtischen wird häufig Alkohol konsumiert, der bekanntermaßen die Zunge löst. Durch die geringere Hemmung trauen sich Menschen Äußerungen zu tätigen, die sie sonst womöglich für sich behalten hätten. Dieses Kriterium kann auf verschiedene andere Kontexte, in denen besonders viele Parolen auftreten, übertragen werden: Wer im digitalen Raum durch ein Pseudonym als Nutzernamen nicht mit seinem eigenen Namen für eine Äußerung geradestehen muss, traut sich eher Stammtischparolen zu posten. Das zweite wichtige Merkmal von Stammtischen ist, dass sich dort in aller Regel Menschen treffen, die etwas gemeinsam haben, beispielsweise, weil sie sich im selben Verein oder derselben Partei engagieren. Durch Parolen wird ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermittelt und die, die sie äußern sind sich der Unterstützung Gleichgesinnter gewiss. Häufig sind die Personen, die als „anders“ konstruiert werden, nicht anwesend oder geben sich – bei nicht offensichtlichen Merkmalen – nicht zu erkennen.