Außerschulische Bildung 4/2021

Political Correctness zwischen Gleichheit, Privilegien und Gerechtigkeit

Eine Auseinandersetzung an mehreren Fronten

Political Correctness wird als Auseinandersetzung rund um Gleichheit, Gerechtigkeit und Privilegien über eine Rekonstruktion der historischen Herausbildung des Konzepts und den zentralen Konflikt von Universalität und Partikularität nachgezeichnet, wie er in der Identitätspolitik zum Ausdruck und im unproduktiven Streit um den Vorrang von Ökonomie vs. Kultur zum Ausbruch kommt. Es werden Vorschläge für Regeln für solidarisches Streiten formuliert. Political Correctness ist ein notwendiges wie auch umstrittenes Charakteristikum demokratischer Auseinandersetzung und sollte deshalb engagiert und besonnen gepflegt werden. von Nina Degele

Wer den Begriff Political Correctness in wertschätzender Weise gebraucht, gilt häufig als naiv („es gibt Wichtigeres“) oder doktrinär („Sprachpolizei“). Das verwundert nicht. Denn einige mit Political Correctness verbundene, im gesellschaftlichen Mainstream als Anspruch verankerte und umgesetzte Forderungen stoßen auf mitunter heftigen Widerspruch. Dazu zählen geschlechterneutrale Stellenausschreibungen sowie die Tabuisierung und Nichtverwendung rassistischer Begriffe. Äußerungen über Political Correctness sind Statements und damit Positionierungen: Wer spricht wie? Welche Begriffe und Sprachformen werden gewählt, welche vermieden? Was wird nicht gesagt? Wer wird womit angesprochen? Jede Aussage ist eine Entscheidung. Das gilt auch für mich als weiße Autorin: Wenn ich von Leser*innen statt von Lesern schreibe und Begriffe wie das N-Wort vermeide, treffe ich damit Aussagen über Geschlechtergerechtigkeit, Sexismus, Rassismus und nicht-diskriminierende Sprache, verteidige bestimmte Sprachnormen und lehne andere ab. Wie ich über Political Correctness schreibe, ist meine Positionierung dazu (vgl. Degele 2020). Wie also verorte ich Political Correctness?

Political Correctness als anerkennendes Sprechen ist historisch

Political Correctness bezeichnet die Norm anerkennenden Sprechens gegenüber Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen. Dies umfasst Würde, Respekt, Vermeidung von Beleidigungen und Ausgrenzungen. Politisch korrektes Handeln und Sprechen zielt darauf, ausgegrenzte oder wenig gehörte Gruppen anzuerkennen und einzubeziehen. Dazu gehört auch die Reflexion eigener Privilegien: Wer im eigenen Altbau hat auf dem Schirm, wie schwer erreichbar schon der erste Stock für Rollstuhlfahrer*innen ist? Wer kann nachvollziehen, wie ausgrenzend sich die permanent gehörte Frage „Woher kommst du?“ für nicht als deutsch wahrgenommene Menschen anfühlt? Im Verständnis von Political Correctness konvergieren Denken, Sprechen und Handeln. Grundsätzlich kann das Bilder von Fürsorge und Schutz oder auch von Strenge und Zensur aktivieren. Aus der mit Deutungsrahmen (Frames) arbeitenden linguistischen Ideologieforschung gibt es dazu ein ernüchterndes Ergebnis: „Der Frame, der durch Political Correctness aktiviert wird, erzählt von politischer Bevormundung und Einmischung, nicht aber von Empathie und Schutz.“ (Wehling 2016a, S. 301) Das liegt an den beiden Komponenten des Ausdrucks: Politisch impliziert Regierung und Einmischung, korrekt distanziert sich vom spontanen täglichen Miteinander und steht für eine Reglementierung durch andere. Sprache macht etwas mit der Art, über Dinge zu denken. Beispielsweise ist das Simulieren von Bewegungen (z. B. das Benutzen eines Hammers) Teil des Erfassens der Wortbedeutung. Menschen tun oft das, was sie denken, weshalb sie für ein Verständnis sprachliche Informationen oft simulieren – schwierig ist beispielsweise die Erklärung von „Wendeltreppe“ ohne den Gebrauch von Gesten. Dass sich Sprache direkt in Handlungen übersetzen lässt, konnte experimentell nachgewiesen werden. Wenn beispielsweise Testpersonen entscheiden müssen, ob Patient*innen mit einer schweren Krankheit eine möglicherweise heilende Operation auf sich nehmen sollen, und das Sterberisiko dabei zehn Prozent beträgt, hat die sprachliche Präsentation eindeutige Effekte: „Jene Probanden, denen dieser Fakt als 90-prozentige Überlebenschance kommuniziert wurde, entschieden sich für den Eingriff. Jene aber, denen der Fakt als 10-prozentiges Sterberisiko vermittelt wurde, entschieden sich dagegen.“ (Wehling 2016b, S. 46) Hier gibt es keinen Ausweg, schon die Reihenfolge der Nennung beeinflusst die Entscheidung: Ein Frame hat immer Vorrang. Das gilt auch für geschlechtergerechtes Sprechen – was den Widerstand dagegen erklären mag: Mit der Warnung vor Einschränkung der Redefreiheit und einer Ideologie sprachlicher Gängelung etwa wollte der Landesvorsitzende der Hamburger CDU im Frühjahr 2021 das Gendern bei staatlichen Stellen verbieten lassen. Aber wie sollen sich Frauen mitgemeint fühlen, wenn sie nicht genannt werden? Wie mitgedacht fühlen sich Schwarze Menschen, wenn sie als „hautfarbene“ Pflaster nur beigefarbene Produkte angeboten bekommen (vgl. El Ouassil 2021)?