Außerschulische Bildung 2/2022

Politik (er-)lebt!

Demokratiebildung in Kooperation von schulischer und außerschulischer politischer Bildung

In diesem Beitrag wird das Kooperationsprojekt „Politik (er-)lebt! – Ein Schülermentor*innenprogramm“ vorgestellt und kritisch reflektiert. Das Projekt hat das Ziel, das politische Engagement von Jugendlichen und ihre demokratische Handlungsfähigkeit zu fördern. Grundlage der Projektbewertung ist eine Befragung von 1.021 Jugendlichen, die von 2013 bis 2020 an dem Programm teilgenommen haben, sowie der begleitenden Lehrkräfte. Die Rückmeldungen lassen zentrale Schlussfolgerungen für die Demokratiebildung und die Kooperationen zwischen schulischer und außerschulischer politischer Jugendbildung zu. von Beate Rosenzweig und Christine Szegedi

„Demokratie muss“, so heißt es im aktuellen Kinder- und Jugendbericht, „immer wieder aktiv praktiziert und vertreten werden, junge Menschen müssen für die Demokratie gewonnen und zur Demokratie befähigt werden.“ (BMFSFJ 2020b, S. 7) Diese Empfehlung erscheint so selbstverständlich wie dringlich angesichts der anhaltenden Debatten über aktuelle Krisenerscheinungen und Herausforderungen der Demokratie. Zu nennen sind hier nicht nur die Zunahme explizit antidemokratischer, rechtspopulistischer Positionen oder die Verbreitung von Verschwörungstheorien und fake news, sondern auch drängende gesellschaftliche Probleme, wie Klimawandel, Flucht und Migration, zunehmende soziale Ungleichheiten oder die Herausforderungen von Globalisierung und internationalen Krisen. Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie polarisiert die gesellschaftliche Debatte über angemessene Einschränkungen demokratischer Freiheitsrechte und mögliche politische Lösungsansätze ist und wie sehr demokratische Regierungssysteme auf das Vertrauen und die Zustimmung der breiten Mehrheit der Bürger*innen angewiesen sind. Im Unterschied zu allen anderen Regierungsformen verlangt „Demokratie“, so der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, ihren Bürger*innen einiges „an Engagement für das Gemeinwesen und an Bemühungen um die je eigene politische Urteilskraft ab.“ (Münkler 2020, S. 19) Demokratie erschöpft sich demnach nicht in der Garantie verfassungsrechtlich verbriefter Grund- und Freiheitsrechte oder rechtsstaatlich verbindlicher Verfahren institutionalisierter Entscheidungsfindung. Sie stellt grundlegende Anforderungen an Bürger*innen. Demokratie gründet auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens der Anerkennung demokratischer Werte und Spielregeln, auf der Bereitschaft, gesellschaftliche Pluralität und Diversität zu tolerieren, Kontroversen und Konflikte öffentlich und im Rahmen demokratischer Verfahrensregeln auszutragen, Kompromisse und Mehrheitsentscheide zu akzeptieren, sowie eine aktive Rolle im Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung zu übernehmen.

Politische Bildung, verstanden als Demokratiebildung, ist diesen Grundvoraussetzungen und Prinzipien verpflichtet. Sie zielt in schulischen und außerschulischen Kontexten auf „die Orientierung junger Menschen an demokratischen Werten (…), die Entwicklung kritischer Urteilskraft“ und politischer Mündigkeit (BMFSFJ 2020b, S. 16). Für die grundlegende Frage, wie demokratische Bildung gelingen kann, gilt es zunächst auf die bis heute weithin anerkannten didaktischen Leitprinzipien des Beutelsbacher Konsenses (Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Befähigungsauftrag) zu verweisen. Demnach konstituiert sich demokratische politische Bildung in Abgrenzung zu Praktiken politischer Indoktrination gerade nicht durch eine vermeintliche politische Neutralität, sondern zielt auf Kontroversität, eigenständige politische Meinungs- und Urteilsbildung und demokratische Handlungsfähigkeit. Im Anschluss an dieses grundlegende Verständnis sind nicht nur in der politischen Bildungsforschung, sondern auch von Seiten des Bundes und der Länder, sowie der Träger der außerschulischen politischen Jugendbildung Grundprinzipien politischer Bildung als Demokratiebildung formuliert worden. Diese gelten unabhängig von den zweifellos unterschiedlichen Handlungsstrukturen und -logiken sowohl in schulischen und außerschulischen Bildungsräumen. Die Entwicklung von politischer Mündigkeit beruht – darin unterscheiden sich politische Bildungsprozesse im schulischen und außerschulischen Kontext nicht – auf dem Dreischritt von politischem Wissen/politischer Analyse, politischer Urteilsfähigkeit und politischer Partizipation (vgl. Grüning 2020, S. 181). Für die außerschulische politische Jugendbildung gelten darüber hinaus die handlungsleitenden Prinzipien der Freiwilligkeit sowie einer durchgängigen Subjekt- und Handlungsorientierung. Um das zentrale Ziel politischer Jugendbildung zu erreichen, „Jugendliche für gesellschaftliches und politisches Engagement zu ermutigen“ (BMFSFJ 2020a, S. 346), richten sich außerschulische politische Jugendbildungsangebote ihrem Selbstverständnis nach konsequent an den Interessen und Erfahrungen von Jugendlichen aus. Die Jugendlichen selbst, so zumindest der immer wieder formulierte Anspruch, setzen die Themen und erleben Freiräume, die ein Höchstmaß an partizipativer Mitgestaltung ermöglichen (vgl. ebd., S. 527). Dabei steht nicht kognitive Wissensvermittlung im Zentrum, sondern vielmehr „die freie Wahl des Themas“, ein hohes Maß an Offenheit sowie „inhaltlicher und didaktischer Flexibilität“ (Wohnig 2020, S. 202). Außerschulische politische Bildungsräume lassen sich als „Freiräume“ zur Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“ und substanzieller (politischer) Mitgestaltung bestimmen. Politisches Handeln und demokratische Partizipation sind damit nicht, so Alexander Wohnig, allein als „Ziel des Bildungsprozesses, sondern auch als „Weg, um das Ziel zu erreichen und als Gegenstand politischer Bildung“ (Wohnig 2021, S. 25) zu verstehen. Politische Jugendbildung als Demokratiebildung kann in diesem Sinne als durchgängig entscheidungsoffen, partizipativ und handlungsorientiert verstanden werden. Für gelingende Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Partner*innen bedeutet dies in jedem Fall, von schulischen Handlungszwängen wie curricularen Vorgaben oder Leistungs- und Bewertungserfordernissen abzusehen und Jugendlichen demokratische Entscheidungsfreiräume zu garantieren.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Annahmen zur Demokratiebildung in der schulischen und außerschulischen politischen Jugendbildung wird im Folgenden das Kooperationsprojekt „Politik (er-)lebt! – Ein Schülermentor*innenprogramm“ als Praxisbeispiel vorgestellt und kritisch reflektiert. Es hat sich zum Ziel gesetzt, das politische Engagement von Jugendlichen und ihre demokratische Handlungsfähigkeit zu fördern und verfolgt dabei einen konsequent partizipativen Ansatz.