Außerschulische Bildung 2/2022

Politik (er-)lebt!

Demokratiebildung in Kooperation von schulischer und außerschulischer politischer Bildung

In diesem Beitrag wird das Kooperationsprojekt „Politik (er-)lebt! – Ein Schülermentor*innenprogramm“ vorgestellt und kritisch reflektiert. Das Projekt hat das Ziel, das politische Engagement von Jugendlichen und ihre demokratische Handlungsfähigkeit zu fördern. Grundlage der Projektbewertung ist eine Befragung von 1.021 Jugendlichen, die von 2013 bis 2020 an dem Programm teilgenommen haben, sowie der begleitenden Lehrkräfte. Die Rückmeldungen lassen zentrale Schlussfolgerungen für die Demokratiebildung und die Kooperationen zwischen schulischer und außerschulischer politischer Jugendbildung zu. von Beate Rosenzweig und Christine Szegedi

„Demokratie muss“, so heißt es im aktuellen Kinder- und Jugendbericht, „immer wieder aktiv praktiziert und vertreten werden, junge Menschen müssen für die Demokratie gewonnen und zur Demokratie befähigt werden.“ (BMFSFJ 2020b, S. 7) Diese Empfehlung erscheint so selbstverständlich wie dringlich angesichts der anhaltenden Debatten über aktuelle Krisenerscheinungen und Herausforderungen der Demokratie. Zu nennen sind hier nicht nur die Zunahme explizit antidemokratischer, rechtspopulistischer Positionen oder die Verbreitung von Verschwörungstheorien und fake news, sondern auch drängende gesellschaftliche Probleme, wie Klimawandel, Flucht und Migration, zunehmende soziale Ungleichheiten oder die Herausforderungen von Globalisierung und internationalen Krisen. Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie polarisiert die gesellschaftliche Debatte über angemessene Einschränkungen demokratischer Freiheitsrechte und mögliche politische Lösungsansätze ist und wie sehr demokratische Regierungssysteme auf das Vertrauen und die Zustimmung der breiten Mehrheit der Bürger*innen angewiesen sind. Im Unterschied zu allen anderen Regierungsformen verlangt „Demokratie“, so der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, ihren Bürger*innen einiges „an Engagement für das Gemeinwesen und an Bemühungen um die je eigene politische Urteilskraft ab.“ (Münkler 2020, S. 19) Demokratie erschöpft sich demnach nicht in der Garantie verfassungsrechtlich verbriefter Grund- und Freiheitsrechte oder rechtsstaatlich verbindlicher Verfahren institutionalisierter Entscheidungsfindung. Sie stellt grundlegende Anforderungen an Bürger*innen. Demokratie gründet auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens der Anerkennung demokratischer Werte und Spielregeln, auf der Bereitschaft, gesellschaftliche Pluralität und Diversität zu tolerieren, Kontroversen und Konflikte öffentlich und im Rahmen demokratischer Verfahrensregeln auszutragen, Kompromisse und Mehrheitsentscheide zu akzeptieren, sowie eine aktive Rolle im Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung zu übernehmen.

Politische Bildung, verstanden als Demokratiebildung, ist diesen Grundvoraussetzungen und Prinzipien verpflichtet. Sie zielt in schulischen und außerschulischen Kontexten auf „die Orientierung junger Menschen an demokratischen Werten (…), die Entwicklung kritischer Urteilskraft“ und politischer Mündigkeit (BMFSFJ 2020b, S. 16). Für die grundlegende Frage, wie demokratische Bildung gelingen kann, gilt es zunächst auf die bis heute weithin anerkannten didaktischen Leitprinzipien des Beutelsbacher Konsenses (Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Befähigungsauftrag) zu verweisen. Demnach konstituiert sich demokratische politische Bildung in Abgrenzung zu Praktiken politischer Indoktrination gerade nicht durch eine vermeintliche politische Neutralität, sondern zielt auf Kontroversität, eigenständige politische Meinungs- und Urteilsbildung und demokratische Handlungsfähigkeit. Im Anschluss an dieses grundlegende Verständnis sind nicht nur in der politischen Bildungsforschung, sondern auch von Seiten des Bundes und der Länder, sowie der Träger der außerschulischen politischen Jugendbildung Grundprinzipien politischer Bildung als Demokratiebildung formuliert worden. Diese gelten unabhängig von den zweifellos unterschiedlichen Handlungsstrukturen und -logiken sowohl in schulischen und außerschulischen Bildungsräumen. Die Entwicklung von politischer Mündigkeit beruht – darin unterscheiden sich politische Bildungsprozesse im schulischen und außerschulischen Kontext nicht – auf dem Dreischritt von politischem Wissen/politischer Analyse, politischer Urteilsfähigkeit und politischer Partizipation (vgl. Grüning 2020, S. 181). Für die außerschulische politische Jugendbildung gelten darüber hinaus die handlungsleitenden Prinzipien der Freiwilligkeit sowie einer durchgängigen Subjekt- und Handlungsorientierung. Um das zentrale Ziel politischer Jugendbildung zu erreichen, „Jugendliche für gesellschaftliches und politisches Engagement zu ermutigen“ (BMFSFJ 2020a, S. 346), richten sich außerschulische politische Jugendbildungsangebote ihrem Selbstverständnis nach konsequent an den Interessen und Erfahrungen von Jugendlichen aus. Die Jugendlichen selbst, so zumindest der immer wieder formulierte Anspruch, setzen die Themen und erleben Freiräume, die ein Höchstmaß an partizipativer Mitgestaltung ermöglichen (vgl. ebd., S. 527). Dabei steht nicht kognitive Wissensvermittlung im Zentrum, sondern vielmehr „die freie Wahl des Themas“, ein hohes Maß an Offenheit sowie „inhaltlicher und didaktischer Flexibilität“ (Wohnig 2020, S. 202). Außerschulische politische Bildungsräume lassen sich als „Freiräume“ zur Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“ und substanzieller (politischer) Mitgestaltung bestimmen. Politisches Handeln und demokratische Partizipation sind damit nicht, so Alexander Wohnig, allein als „Ziel des Bildungsprozesses, sondern auch als „Weg, um das Ziel zu erreichen und als Gegenstand politischer Bildung“ (Wohnig 2021, S. 25) zu verstehen. Politische Jugendbildung als Demokratiebildung kann in diesem Sinne als durchgängig entscheidungsoffen, partizipativ und handlungsorientiert verstanden werden. Für gelingende Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Partner*innen bedeutet dies in jedem Fall, von schulischen Handlungszwängen wie curricularen Vorgaben oder Leistungs- und Bewertungserfordernissen abzusehen und Jugendlichen demokratische Entscheidungsfreiräume zu garantieren.

Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie polarisiert die gesellschaftliche Debatte über angemessene Einschränkungen demokratischer Freiheitsrechte und mögliche politische Lösungsansätze ist und wie sehr demokratische Regierungssysteme auf das Vertrauen und die Zustimmung der breiten Mehrheit der Bürger*innen angewiesen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Annahmen zur Demokratiebildung in der schulischen und außerschulischen politischen Jugendbildung wird im Folgenden das Kooperationsprojekt „Politik (er-)lebt! – Ein Schülermentor*innenprogramm“ als Praxisbeispiel vorgestellt und kritisch reflektiert. Es hat sich zum Ziel gesetzt, das politische Engagement von Jugendlichen und ihre demokratische Handlungsfähigkeit zu fördern und verfolgt dabei einen konsequent partizipativen Ansatz.

In einem ersten Schritt werden wir die grundlegenden konzeptuellen und methodisch-didaktischen Vorüberlegungen und den Ablauf des Programms vorstellen. Daran anschließend werten wir die Befragungen von 1.021 Jugendlichen, die von 2013 bis 2020 an dem Programm teilgenommen haben, und der sie begleitenden Lehrkräfte aus.

Konzeptuelle und methodisch-didaktische Vorüberlegungen des Schülermentor*innenprogramms

Die konzeptuelle Entwicklung des Schülermentor*innenprogramms „Politik (er-lebt)!“ erfolgte im Jahr 2012 auf Initiative des Baden-Württembergischen Kultusministeriums. Neben bereits bestehenden Mentor*innenprogrammen sollte ein Programm entwickelt werden, durch das Schüler*innen aller Schularten zu verstärktem politischen und sozialen Engagement ermutigt und in ihrem jeweiligen schulischen Umfeld als Multiplikator*innen zu politischer Beteiligung motiviert werden. Mit der Ausarbeitung der Konzeption wurde als außerschulischer Träger das Studienhaus Wiesneck, Institut für politische Bildung Baden-Württemberg e. V. betraut. Ausgehend von einem weiten Politikbegriff beruht die seit 2013 umgesetzte Konzeption auf dem oben geschilderten Selbstverständnis der außerschulischen politischen Bildung.

In einem ersten Schritt wird in enger Kooperation mit den jeweiligen Schulen bzw. den begleitenden Lehrkräften eine Auftaktveranstaltung an der Schule durchgeführt. Hier können sich interessierte Jugendliche jahrgangs- und klassenübergreifend über die Zielsetzungen und Rahmenbedingungen des Programms informieren. Im Anschluss daran erfolgt die Auswahl des jeweiligen Projektthemas durch die Jugendlichen selbst, indem sie – ausgehend von ihren lebensweltlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen und politischen Interessen – alle Fragen und Themen einbringen, die sie beschäftigen. In Gruppendiskussionen wird dann ein demokratischer Entscheidungsprozess für die gemeinsame Themenwahl moderiert. Am Ende steht eine Mehrheitsentscheidung über das Schwerpunktthema.

Im Anschluss an die Auftaktveranstaltung findet dann, wiederum in enger Kooperation mit der Schule, ein dreitägiger Seminarworkshop zum gewählten Thema in der Bildungsstätte Studienhaus Wiesneck statt. Das Programm, das im Vorfeld mit den Teilnehmer*innen abgestimmt wird, zielt auf eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit der gewählten Thematik, auf die Förderung politischer Meinungs- und Urteilsbildung, die Entwicklung politischer Mündigkeit und demokratischer Handlungsfähigkeit. Um diese Ziele zu fördern, werden im Seminar partizipative und handlungsorientierte Methoden (Rollenspiele, Planspiele, Zukunftswerkstätten, Szenario-Techniken, Expert*innenbefragungen etc.) gewählt, die die „politische Selbstbildung“ (BMFSFJ 2020a, S. 527) von Jugendlichen unterstützen, ihnen die Möglichkeit bieten, demokratische Interessenvielfalt zu erleben und sie zu einer argumentativen und kontroversen Auseinandersetzung anregen.

Nach einer intensiven Beschäftigung mit dem gewählten Schwerpunktthema entwickeln die Jugendlichen gemeinsam ein konkretes politisches Projekt, das sie in der dritten Phase des Programms an der Schule oder in ihrem lokalen Umfeld mit Unterstützung der Lehrkräfte umsetzen. Die Jugendlichen erleben sich bei der Projektentwicklung und -durchführung selbst als politisch Handelnde und nehmen direkt Einfluss auf die politische Meinungs- und Willensbildung vor Ort.

Die Entwicklung von politischer Mündigkeit beruht auf dem Dreischritt von politischem Wissen/politischer Analyse, politischer Urteilsfähigkeit und politischer Partizipation.

Den Abschluss des Seminarprogramms bildet eine gemeinsame Veranstaltung aller beteiligten Jugendlichen im Stuttgarter Landtag bzw. im Haus der Geschichte in Stuttgart. Hier stellen die Jugendlichen ihre Projekte vor und werden mit einem Zertifikat der Landesregierung für ihr politisches Engagement ausgezeichnet.

Im Rahmen des Programms wurden bislang 54 Seminare für Jugendliche durchgeführt. Die Seminare wurden landesweit für Jugendlichen ab 13 Jahre in allen Schularten angeboten. Es fanden 37 Seminare mit Jugendlichen aus Gymnasien, acht Seminare mit Realschulen, vier mit Berufsschulen und drei mit Gemeinschaftsschulen statt. Zwei Seminare haben schulartenübergreifend in Kooperation zwischen einer Gemeinschaftsschule und einem Gymnasium bzw. einer Realschule und einem Gymnasium stattgefunden. Dementsprechend haben bislang 694 Jugendliche mit gymnasialem Bildungshintergrund im Vergleich zu 175 Realschüler*innen, 66 Jugendliche aus Gemeinschaftsschulen, 84 aus beruflichen Schulen und 39 Jugendliche an den beiden schulartübergreifenden Projekten teilgenommen. Trotz gezielter Bemühungen ist es bislang nicht in ausreichendem Maße gelungen, Jugendliche mit einem nicht-gymnasialen Hintergrund einzubinden.

Das Land Baden-Württemberg übernimmt die Kosten nahezu vollständig, die teilnehmenden Jugendlichen entrichten lediglich einmalig einen kleinen Unkostenbeitrag. Hierdurch kann ein hohes Maß an sozialer Inklusivität sichergestellt werden.

Projektauswertung I: Projektrückmeldungen der jugendlichen Teilnehmer*innen

Die folgende Auswertung stützt sich auf die schriftlichen, anonym erhobenen Rückmeldungen der jugendlichen Teilnehmer*innen (Erhebungszeitraum von Juni 2013 bis März 2020).

Abbildung 1: Themenfelder der Seminare (n=54, einige Seminare wurden mehreren Themenfeldern zugeordnet)

Die Themenfelder, für die sich die Jugendlichen entscheiden, reichen von aktuellen Herausforderungen internationaler Politik bis hin zu Fragen von sozialer Ungleichheit, Diskriminierung, Populismus und Extremismus (s. Abbildung 1). Die Themenwahl lässt den Schluss zu, dass sich die Jugendlichen insbesondere für die Themen interessieren, die jeweils die aktuelle politische Debatte prägen und zentrale politische Zukunftsfragen beinhalten. Für die außerschulische politische Bildung ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer fortgesetzten Aktualisierung der Themenangebote und eines hohen Maßes an Flexibilität sowie fachlicher Expertise, um jugendliche Interessen an Politik angemessen aufgreifen zu können.

Um die Einschätzungen der Jugendlichen zu dem Mentor*innenprogramm zu quantifizieren, wurden 1.021 Evaluationsbögen ausgewertet, die die Teilnehmenden jeweils zum Abschluss des dreitägigen Seminarworkshops am Studienhaus Wiesneck ausgefüllt haben. Die Rückmeldungen der Jugendlichen zeigen, dass das Schülermentor*innenprogramm im gesamten Zeitverlauf seit 2013 überaus positiv bewertet wird. Auch über die unterschiedlichen Schularten hinweg, lassen sich hierbei kaum Unterschiede feststellen (s. Abbildung 2).

Abbildung 2: Zusammenfassung der Evaluationsbögen der Schüler*innen. (n=1021)

98 % der Jugendlichen bewerten die Gestaltung des Programms mit sehr gut bzw. gut, 96 % gaben an, dass das Programm ihre Erwartungen übertroffen oder voll erfüllt hat. 94 % der Jugendlichen hoben hervor, dass sie ausreichend Möglichkeiten hatten, sich selbst in das Seminar einzubringen.

„Super fand ich, dass wir beim Arbeiten so viel integriert wurden und mitgestalten durften.“ „Es hat mir gefallen, dass wir selber entscheiden konnten, auf welche Punkte sich das Seminar konzentriert und in welche Richtung. Besonders gefallen hat mir, dass wir die Themen mit kooperativen Aufgaben und genügend Zeit behandelt haben.“ „Das Programm war interessant und die Arbeit in den verschiedenen Gruppenarbeiten richtig produktiv.“ (Dokumentation des Schülermentor*innenprogramms 2016–2017 (S. 49)

Was die inhaltlichen Zielsetzungen des Programms angeht, so lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass es in hohem Maße zu einem besseren Verständnis von politischen Zusammenhängen im Hinblick auf die gewählten Themenstellungen beigetragen hat. 91 % der Jugendlichen stimmten der Aussage zu, dass sie politische Zusammenhänge jetzt besser verstehen und 87 % der Jugendlichen unterstreichen, dass sie unterschiedliche politische Positionen jetzt besser nachvollziehen können.

In Bezug auf die Stärkung politischer Urteils- und Meinungsbildung und demokratischer Handlungsfähigkeit gaben 81 % der Jugendlichen an, dass das Seminarprogramm sie im Hinblick auf ihre politische Meinungs- und Urteilsbildung unterstützt hat. Hier zeigt sich eine niedrigere Zufriedenheit. Dies deutet darauf hin, dass die Jugendlichen die eigene Meinungs- und Urteilsbildung als einen anspruchsvollen längerfristigen Reflexionsprozess wahrnehmen.

87 % der Jugendlichen stimmen der Aussage zu, über das Programm Anregungen zur Gestaltung eigener politischer Projekte erhalten zu haben. Dieser hohe Anteil an Zustimmung erklärt sich sicherlich auch damit, dass die zentrale Zielsetzung des Programms in der Umsetzung eines eigenständigen politischen Projektes im schulischen bzw. lokalen Kontext liegt.

Die von den Jugendlichen realisierten Projekte verweisen neben der gewählten Vielfalt von unterschiedlichen Formaten (von schulischen Informationsveranstaltungen bis hin zu kommunalen Podiumsdiskussionen, von Schüler*innenmärschen, Petitionen, Meinungsumfragen bis hin zu lokalen (Fest-)Veranstaltungen zu Themen wie Flucht und Nachhaltigkeit …), auf zwei zentrale Folgewirkungen des Programms: Die beteiligten Jugendlichen erleben sich selbst als demokratisch Handelnde und nehmen Einfluss auf die politische Meinungs- und Urteilsbildung in schulischen und/oder lokalen Kontexten. Sie fungieren damit auf direkte und selbstbestimmte Weise auch als politische Multiplikator*innen.

Projektauswertung II: Rückmeldungen der begleitenden Lehrkräfte zur Kooperation zwischen Schule und außerschulischem Träger

Ausdrückliches Ziel des Programms „Politik (er-)lebt!“ ist es, einen Beitrag zur Demokratiebildung zu leisten, indem schulische und außerschulische Partner*innen kooperieren und diese Kooperation zwischen Lehrkräften, teilnehmenden Schüler*innen und dem Studienhaus Wiesneck neue Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume zur Demokratiebildung schafft, die weit über den politischen Fachunterricht hinausgehen. Zur Bewertung des Beitrags des Programms zur Demokratiebildung ist die Rückmeldung der begleitenden Lehrkräfte von Bedeutung. Mittels einer gemischt quantitativen und qualitativen Umfrage unter den teilnehmenden Lehrkräften (Erhebungszeitraum Januar bis März 2021) sollte ermittelt werden, welchen Mehrwert das Programm schafft und welchen Beitrag es aus Sicht der Lehrkräfte zur Stärkung der demokratischen Kompetenzen der teilnehmenden Schüler*innen leistet. Des Weiteren hatte die Umfrage zum Ziel, die Zusammenarbeit des Studienhauses Wiesneck mit den schulischen Partner*innen zu evaluieren. An der Umfrage nahmen 17 der im Zeitraum von 2013 bis 2020 im Programm involvierten 28 Lehrkräfte teil, davon unterrichten zwölf am Gymnasium, drei an einer Realschule und eine Lehrkraft am Beruflichen Gymnasium.

„Besser kann man Interesse für Politik nicht fördern. Demokratie braucht mündige, interessierte und engagierte Bürger*innen. „Politik (er-)lebt!“ gelingt es, die teilnehmenden Schüler zu einem riesigen Schritt in diese Richtung anzuregen, zu motivieren, zu bestärken.“ (Lehrkraft Nr. 3)

Die Antworten der Lehrkräfte auf die Frage „Worin liegt Ihrer Meinung nach der Zugewinn des Schülerinnenmentor*innenprogramms ‚Politik (er-)lebt!‘?“ wurden gemäß des Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2003) verschiedenen Kategorien zugeordnet (s. Abbildung 3). Mehrfachnennungen waren aufgrund der offenen Fragestellung möglich.

Abbildung 3: Häufigkeit verschiedener Zugewinnaspekte durch die Teilnahme an Politik (er-)lebt! (n=11)

Wie Abbildung 3 zeigt, wurde die Förderung der Partizipation der Schüler*innen durch die selbstständige Planung und Umsetzung eines Projekts am häufigsten als Zugewinn genannt, gefolgt von der Förderung der Fachkompetenz. Gleich häufig wurde die Förderung der Meinungs- und Urteilsbildung sowie der Motivation und des Gemeinschaftsgefühls genannt. Die Möglichkeit, in einem neuen Lernumfeld im Studienhaus unterschiedliche Methoden und Arbeitsformen zu erproben, wurde ebenso als Mehrwert angeführt.

Wie aus den offenen Kommentaren der Lehrkräfte außerdem hervorgeht, wird gerade die Zusammenarbeit mit dem Studienhaus Wiesneck sehr geschätzt, da die Förderung der Fachkompetenz der Schüler*innen durch „andere Arbeitsformen als in der Schule: zeitlich am Stück, interaktiv, kreativ, produktorientiert“ erfolgt. Der außerschulische Lern- und Erfahrungsraum ermöglicht aus Sicht der Lehrkräfte neben der vertieften inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem selbstgewählten aktuellen Thema, gemeinsam zu arbeiten und „politische Inhalte, Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze in einem oftmals neuen, handlungsorientierten und motivierenden Zugang“ zu erfahren, wie es einer der befragten Lehrkräfte formuliert.

„Dabei profitieren sie sowohl von den professionell und gleichzeitig schülerfreundlich aufbereiteten Workshops im Studienhaus Wiesneck, dem Input durch Expert*innen und/oder Wissenschaftler*innen und dem ‚teambuilding‘ durch die drei gemeinsam verbrachten Tage (…).“ (Lehrkraft Nr. 4)
„Das Programm war mit großem Abstand das Allerbeste, was ich als Lehrer jemals selbst erleben und begleiten durfte. (…) weil das Projekt weit über die politische Ebene hinaus für Impulse gesorgt hat, die uns alle lebenslang begleiten werden. Der Zugewinn ist kaum in Worte zu fassen (…) Es hat auch auf beeindruckende Weise zur Persönlichkeitsreifung beigetragen.“ (Lehrkraft Nr. 7)

Trotz der vielfältigen positiven Rückmeldungen der Lehrkräfte gibt es drei zentrale Aspekte, die verbessert werden sollten.

Eine Herausforderung liegt in der Umsetzung der entwickelten Projektideen der Schüler*innen im schulischen Alltag. Denn in der Projektumsetzungsphase gilt es, neben organisatorischen Hürden im Schulkontext „den Schüler*innen einen machbaren Weg (für die konkrete Projektumsetzung) aufzuzeigen, ohne zu lenkend und korrigierend einzugreifen.“ (Lehrkraft Nr. 1) Dabei wäre es hilfreich, gerade in der Projektumsetzungsphase eine Begleitung durch den außerschulischen Bildungsträger z. B. im Rahmen eines zusätzlichen Projekttages zu ermöglichen, an dem mit den begleitenden Lehrkräften und den Schüler*innen gemeinsam der Zwischenstand evaluiert werden kann, bevor es vor Ort zur tatsächlichen Umsetzung des Projekts kommt. Eine noch engere Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Partner*innen wäre aus Sicht der Lehrkräfte daher wünschenswert.

Entscheidend für die Nachhaltigkeit des Projekts ist es, das Schülermentor*innenprogramm an den teilnehmenden Schulen strukturell fest im schulischen Angebot zu verankern. Um dies zu ermöglichen, wünschen sich die befragten Lehrkräfte mehr zeitliche Ressourcen, z. B. durch Freistellungen. Dies ist aktuell nicht vorgesehen, sodass die Begleitung des zeitintensiven Programms allein von dem Engagement der jeweiligen Lehrkraft abhängig ist. Die Etablierung von mehrjährigen Schulpartnerschaften wäre daher ein entscheidender Schritt, um die Kooperation zwischen dem außerschulischen Träger und den schulischen Partnern nachhaltig zu verankern.

Eine besondere Rolle für die erfolgreiche Kooperation wird den Schulleitungen beigemessen. 14 von 16 Lehrkräften (N=16) gaben an, dass die Unterstützung der Schulleitung für das Gelingen des Programms von Bedeutung ist.

Schlussfolgerungen

Die Befragung der Teilnehmer*innen im Schülermentor*innenprogramm bestätigt eine in der politischen Jugendbildungsforschung immer wieder akzentuierte Erkenntnis: Jugendliche sind vielfältig politisch interessiert, sie haben Fragen an Gesellschaft und Politik und sind durchaus bereit, sich aktiv einzubringen. Die Jugendlichen interessieren sich für aktuelle und zentrale politische Zukunftsfragen. Sie sind motiviert mitzubestimmen und mitzugestalten. Ihre große Bereitschaft zu partizipieren zeigt sich in den vielfältigen, eigenständig konzipierten Projekten, die sie in ihrem Umfeld organisiert und durchgeführt haben. Dabei schätzen die Jugendlichen vor allem die Möglichkeit, selbst Themen zu setzen, mit anderen Jugendlichen zusammenzuarbeiten und eigene politische Projekte zu entwickeln. Dieser partizipative, entscheidungsoffene und handlungsorientierte Charakter des Programms ist der Hauptgrund für die hohen Zufriedenheitswerte der Jugendlichen.

Die Lehrkräfte sehen den Mehrwert des Programms in der Förderung grundlegender demokratischer Kompetenzen, die die teilnehmenden Jugendlichen in der Entwicklung ihrer politischen Mündigkeit stärken und ihnen Gestaltungsspielräume ermöglichen, die weit über die Möglichkeiten des schulischen Kontextes hinausgehen.

Das Schülermentor*innenprogramm „Politik (er-)lebt!“ verdeutlicht, dass die Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Akteur*innen für die Förderung von politischer Mündigkeit und die Ermutigung zu gesellschaftlichem und politischem Engagement zentral ist. Damit die Förderung demokratischer Kompetenzen in Kooperation von schulischen und außerschulischen Akteur*innen politischer Bildung gelingen kann, können – ausgehend von den hier gemachten Erfahrungen – folgende Gelingensbedingungen hervorgehoben werden:

Die Jugendlichen interessieren sich für aktuelle und zentrale politische Zukunftsfragen. Sie sind motiviert mitzubestimmen und mitzugestalten.

Grundlegend für die Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Akteur*innen ist die konsequente Orientierung an den didaktischen Leitprinzipien des Beutelsbacher Konsenses. Konstitutiv für die außerschulische Bildung sind (auch für die Kooperation mit Schulen) die Freiwilligkeit der Teilnahme, die strikte Berücksichtigung der Interessen der Teilnehmenden und eine durchgängig partizipativ und handlungsorientierte Gestaltung (vgl. GEMINI 2020). Zur Förderung der politischen Mündigkeit brauchen Jugendliche Gestaltungsfreiräume, um sich selbstwirksam zu erleben. Die Kooperation mit außerschulischen Bildungspartnern ermöglicht ihnen, diese Freiräume zu nutzen, um politische Partizipation zu (er-)leben. Eine auf Partizipation ausgerichtete politische Bildung ist dem durchgängigen Gestaltungsprinzip partizipativer Beteiligung und demokratischer Mitgestaltung verpflichtet. Dies erfordert von den schulischen und außerschulischen Kooperationspartner*innen ein hohes Maß an Offenheit, Flexibilität und Engagement.

Als gewinnbringend hierfür erweisen sich langfristig angelegte Kooperation auf Augenhöhe zwischen schulischen und außerschulischen Partner*innen. Auf dieser Grundlage gilt es, gemeinsam gestaltete Projekte im Austausch fortwährend selbstkritisch zu evaluieren und weiterzuentwickeln. Über die konkreten Seminarprojekte hinaus können so offene Kooperationsbeziehungen entwickelt und die gemeinsame Verständigung über die Zusammenarbeit gestärkt werden.

Benötigt werden dafür ausreichend finanzielle und zeitliche Ressourcen, sowohl auf Seiten der schulischen als auch für die außerschulischen Partner*innen. Die strukturelle Verankerung der außerschulischen Bildung im schulischen Kontext und die aktive Förderung durch die Schulleitungen erweisen sich dabei ebenso zentral wie eine gesicherte institutionelle Förderung der außerschulischen Partner*innen. Nur auf dieser Grundlage kann die Qualität von Kooperationsprojekten, die Nachhaltigkeit der entwickelten Konzepte und damit auch das Ziel demokratischer politischer Jugendbildung sichergestellt werden.

Zu den Autorinnen

Dr. Beate Rosenzweig, Politikwissenschaftlerin, ist stellvertretende Direktorin des Studienhauses Wiesneck – Institut für Politische Bildung Baden-Württemberg e. V. und Honorarprofessorin am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg.
beate.rosenzweig@wiesneck.de
Christine Szegedi ist Gymnasiallehrerin für die Fächer Gemeinschaftskunde und Englisch und Dozentin für Politikdidaktik an der Universität Konstanz.
Szegedi@avh.schulen.konstanz.de

Literatur

BMFSFJ (Hrsg.) (2020a): Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Berlin: BMFSFJ
BMFSFJ (Hrsg.) (2020b): Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Zentrale Erkenntnisse des 16. Kinder- und Jugendberichts; www.bmfsfj.de/blob/162236/a38c2a71e008f46347e095a053e8b9ef/16-kinder-und-jugendbericht-kurzbroschuere-data.pdf (Zugriff: 15.11.2021)
GEMINI (Hrsg.) (2020): Team up! Außerschulische politische Jugendbildung in Kooperation mit Schule; www.bap-politischebildung.de/wp-content/uploads/2021/01/20_Gemini_Teamup_Brosch_DS.pdf (Zugriff: 15.11.2021)
Grüning, Maria (2020): Wann, wenn nicht jetzt!? Kooperationen in der außerschulischen und schulischen politischen Bildung. In: Albrecht, Achim/Bade, Gesine/Eis, Andreas/Jakubczyk, Uwe/Overwien, Bernd (Hrsg.): Jetzt erst recht: Politische Bildung! Bestandsaufnahme und bildungspolitische Forderungen. Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag, S. 179–187
Mayring, Philipp (2003): Qualitative Inhaltsanalyse. Weinheim: Beltz
Münkler, Herfried (2020): Westliche Demokratien zwischen Partizipation und Wohlstand. In: Deutschland & Europa 79 (2020), S. 16–21
Wohnig, Alexander (2020): Bildungs- und Lernprozesse in politischen Aktionen: Eine Fallstudie aus einem Kooperationsprojekt von Schule und außerschulischem politischen Bildungsträger. In: Albrecht, Achim/Bade, Gesine/Eis, Andreas/Jakubczyk, Uwe/Overwien, Bernd (Hrsg.): Jetzt erst recht: Politische Bildung! Bestandsaufnahme und bildungspolitische Forderungen. Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag, S. 188–203
Wohnig, Alexander (2021): Außerschulische politische Bildung im 16. Kinder- und Jugendbericht: Begriffe, Konzepte, Herausforderungen; www.bap-politischebildung.de/wp-content/uploads/2021/05/210507_Bro-A4_Begriffsklaerungen-im-16-Kinder-und-Jugendbericht_RZ.pdf