Außerschulische Bildung 1/2023

Politische Bildung aufs Land bringen

Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Vereinen vor Ort

Seit einigen Jahren hat die mediale und politische Aufmerksamkeit ländliche und strukturschwache Regionen verstärkt im Blick. Dabei geht es zum einen um Fragen des Erhalts von Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge, um Transformationsprozesse und Zukunftsperspektiven. Zum anderen wollen Förderprogramme auch im Bereich der Demokratiestärkung unterstützen und Engagement erhalten. Was sind aber die zentralen Herausforderungen der politischen Bildung in ländlichen Räumen, welche vielversprechenden Ansätze existieren und was unterscheidet diese von etablierten Angeboten? von Lan Böhm, Annika Brandt, Sara Schmidt, Katharina Tenti und Alexander Mewes

Angesichts zunehmender sozialer Spannungen und wachsender Unzufriedenheit mit demokratischen Institutionen geht es bei der Konzeption von neuen Förderprogrammen und Förderprojekten gleichermaßen immer auch um die Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt und demokratisches Miteinander bewahrt und krisenresilienter werden können; eine Diskussion, die allerdings nicht nur Kleinstadtgesellschaften, Gemeinden und Dörfer adressiert, sondern auch in der Perspektive urbaner Zentren geführt wird.

Dabei gibt es nicht den ländlichen Raum. Ebenso wenig wie „den ländlichen Raum“ lässt sich ein typisch ländlicher Lebensstil identifizieren. Eine vereinfachte Vorstellung ländlicher Räume verstellt den Blick auf die Pluralität der Lebensentwürfe der Bewohner*innen im ländlichen Raum (vgl. Schiemann/Rühmling/Klärner 2022, S. 26). Vielmehr unterscheiden sich ländliche Räume entlang gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Merkmale voneinander. So entwickelte etwa das Thünen-Institut eine Typologie ländlicher Räume (vgl. www.landatlas.de), die von „sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“, über „eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ und „eher ländlich/gute sozioökonomische Lage“ bis zu „sehr ländlich/gute sozioökonomische Lage“ reicht. Letztgenannter Thünen-Typ weist etwa, im Vergleich mit den anderen Raumtypen sowie den nichtländlichen Räumen (!), die höchste Quote im Bereich des ehrenamtlichen Engagements auf (vgl. DIW 2021). Strukturstärkeren Gegenden, in denen Kleinstädte und Gemeinden über eine gute wirtschaftliche Infrastruktur verfügen und der Zugang zu öffentlichen Gütern sowie zu Angeboten der Daseinsvorsorge als gut beschrieben werden kann, stehen strukturschwache Räume gegenüber, in denen diese Aspekte „Mangelware“ sind. Die defizitäre Lebenssituation in sozioökonomisch schwächeren ländlichen Gebieten führe oft dazu, dass bürgerschaftliches Engagement in seinen verschiedenen Facetten weniger ausgeprägt ist, so Barbara Menke (2022, S. 218). Und mit dieser Situation verbunden ist die Entwicklung, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien und Gewerkschaften oft vor Ort nicht mehr präsent und ansprechbar sind.

Die in vielen Regionen in den letzten Jahrzehnten umgesetzten großen Gebietsreformen waren ergo bedeutsame Ereignisse für das demokratische Engagement vor Ort. In etwa 20.000 Gemeinden sind Bürgermeister*innen weggefallen, und es gibt keine Gemeinderäte mehr. Das heißt, politische Repräsentant*innen sind für die Menschen nicht nur räumlich weiter weggerückt, sondern auch die vormals politisch Aktiven auf lokaler Ebene fühlen sich in ihrem politischen Engagement zurückgesetzt. Als Konsequenz aus diesem Verlust der lokalen Kompetenz- und Verantwortungszentren ist vielerorts eine wachsende kommunalpolitische Resignation zu beobachten (vgl. Henkel 2019). Für die politische Bildung bedeutet dies, dass die Gelegenheitsstrukturen für alltagsdemokratische Erfahrungen häufig fehlen. Damit verbunden ist die Herausforderung neue Partizipationsräume zu schaffen und Diskursräume wiederzubeleben, die den Menschen neue Möglichkeiten für Selbstwirksamkeitserfahrungen an Entscheidungsprozessen vor Ort ermöglichen.