Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Vereinen vor Ort
Angesichts zunehmender sozialer Spannungen und wachsender Unzufriedenheit mit demokratischen Institutionen geht es bei der Konzeption von neuen Förderprogrammen und Förderprojekten gleichermaßen immer auch um die Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt und demokratisches Miteinander bewahrt und krisenresilienter werden können; eine Diskussion, die allerdings nicht nur Kleinstadtgesellschaften, Gemeinden und Dörfer adressiert, sondern auch in der Perspektive urbaner Zentren geführt wird.
Dabei gibt es nicht den ländlichen Raum. Ebenso wenig wie „den ländlichen Raum“ lässt sich ein typisch ländlicher Lebensstil identifizieren. Eine vereinfachte Vorstellung ländlicher Räume verstellt den Blick auf die Pluralität der Lebensentwürfe der Bewohner*innen im ländlichen Raum (vgl. Schiemann/Rühmling/Klärner 2022, S. 26). Vielmehr unterscheiden sich ländliche Räume entlang gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Merkmale voneinander. So entwickelte etwa das Thünen-Institut eine Typologie ländlicher Räume (vgl. www.landatlas.de), die von „sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“, über „eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage“ und „eher ländlich/gute sozioökonomische Lage“ bis zu „sehr ländlich/gute sozioökonomische Lage“ reicht. Letztgenannter Thünen-Typ weist etwa, im Vergleich mit den anderen Raumtypen sowie den nichtländlichen Räumen (!), die höchste Quote im Bereich des ehrenamtlichen Engagements auf (vgl. DIW 2021). Strukturstärkeren Gegenden, in denen Kleinstädte und Gemeinden über eine gute wirtschaftliche Infrastruktur verfügen und der Zugang zu öffentlichen Gütern sowie zu Angeboten der Daseinsvorsorge als gut beschrieben werden kann, stehen strukturschwache Räume gegenüber, in denen diese Aspekte „Mangelware“ sind. Die defizitäre Lebenssituation in sozioökonomisch schwächeren ländlichen Gebieten führe oft dazu, dass bürgerschaftliches Engagement in seinen verschiedenen Facetten weniger ausgeprägt ist, so Barbara Menke (2022, S. 218). Und mit dieser Situation verbunden ist die Entwicklung, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien und Gewerkschaften oft vor Ort nicht mehr präsent und ansprechbar sind.
Die in vielen Regionen in den letzten Jahrzehnten umgesetzten großen Gebietsreformen waren ergo bedeutsame Ereignisse für das demokratische Engagement vor Ort. In etwa 20.000 Gemeinden sind Bürgermeister*innen weggefallen, und es gibt keine Gemeinderäte mehr. Das heißt, politische Repräsentant*innen sind für die Menschen nicht nur räumlich weiter weggerückt, sondern auch die vormals politisch Aktiven auf lokaler Ebene fühlen sich in ihrem politischen Engagement zurückgesetzt. Als Konsequenz aus diesem Verlust der lokalen Kompetenz- und Verantwortungszentren ist vielerorts eine wachsende kommunalpolitische Resignation zu beobachten (vgl. Henkel 2019). Für die politische Bildung bedeutet dies, dass die Gelegenheitsstrukturen für alltagsdemokratische Erfahrungen häufig fehlen. Damit verbunden ist die Herausforderung neue Partizipationsräume zu schaffen und Diskursräume wiederzubeleben, die den Menschen neue Möglichkeiten für Selbstwirksamkeitserfahrungen an Entscheidungsprozessen vor Ort ermöglichen.

Schließlich wird für ländlich-strukturschwache und periphere Räume, in denen die demokratische Angebotsstruktur ausgedünnt ist, auch eine Zunahme von eher exklusiven, undemokratischen und ausgrenzenden „Angeboten“ beobachtet; außerdem eine Zunahme von Netzwerken und Strukturbildungen sowie Kümmerer-Strategien rechter und rechtspopulistischer Gruppierungen. Für die rechtsextreme Szene sind ländliche Räume ein wichtiges Aktionsfeld (vgl. Becker/Hafeneger 2012). Die Einstellungsforschung stellt ein „ansteigendes Ausmaß von Autoritarismus und Feindlichkeit gegen ‚Fremde‘, je kleiner die Gemeinde wird“ (Küpper 2017, S. 31), fest. Akteur*innen der politischen Bildung überrascht es nicht, dass gerade in Regionen mit sichtbarer „rechter Landnahme“ der Bedarf an Bildungs- und Beratungsangeboten zunimmt. Hier sind die kommunale Verwaltung, zivilgesellschaftliche Organisationen, aber auch Schulen und Träger der sozialen Arbeit gefragt, deren Ziel ist, die demokratischen Angebotsstrukturen vor Ort zu stärken und aufrechtzuerhalten.
Die Herausforderung für die politische Bildung in ländlichen und insbesondere strukturschwächeren Räumen besteht nun darin, neue Wege des Fußfassens und der Implementation von Bildungsformaten zu entwickeln und zu erproben. Wo und wie ansetzen, wenn Bildungsträger oder Träger sozialer Arbeit – anders als in Mittel- oder Großstädten – über keine lokale „Vor-Ort-Filiale“ (mehr) verfügen oder die sozialen (Begegnungs-)Orte fehlen? Wie können politische Bildungsangebote, die beispielsweise die Bereitschaft zu Partizipation oder den Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten fördern, wahrnehmbar gemacht werden? Selbstverständlich geht es dabei nicht nur um klassische Bildungsveranstaltungen, sondern auch um die Erprobung innovativer Mitbestimmungsformate auf kommunalpolitischer Ebene, um niedrigschwellige Beteiligungsprozesse für Jugendliche oder etwa um lokale Initiativen der Erinnerungskultur und demokratiestärkende Projekte in noch vorhandenen kulturellen Einrichtungen oder an ganz neuen Orten.
Die Herausforderung für die politische Bildung in ländlichen und insbesondere strukturschwächeren Räumen besteht darin, neue Wege des Fußfassens und der Implementation von Bildungsformaten zu entwickeln und zu erproben.
Für die politische Bildung sind ländliche Räume daher aufgrund der veränderten Zugangsbedingungen zu ihnen besondere Räume. Dabei ist wichtig zu betonen, dass nicht die Adressaten für Maßnahmen in ländlichen Räumen als „anders“ oder „besonders“ betrachtet werden, beispielsweise aufgrund zweifelhafter normativer Setzungen, die ländlich-kleinstädtische Verhältnisse mit Rückschrittlichkeit verbinden und ihnen urbane Zusammenhänge gegenüberstellen, die als Orte der Individualisierung, der Freiheit und Fortschrittlichkeit vorgestellt werden. Es ist keineswegs so, dass für Bewohner*innen ländlicher Räume besondere Spezialdidaktiken entwickelt werden müssen. Es ist vor allen Dingen essentiell, die besonderen Bedingungen und Bedürfnisse vor Ort zu berücksichtigen.
Ohne Räume für Kultur und demokratisches Vereinsleben geht es nicht, das stellen politische Bildner*innen immer wieder fest. Gerade das zivilgesellschaftliche Engagement und das Ehrenamt schaffen eine große Identifikation und sorgen für Zusammenhalt vor Ort. Dieses wichtige Standbein der Ortsstruktur zu erhalten und mehr noch eine aktive Beteiligungskultur zu etablieren, ist deshalb ein wesentliches Anliegen von politischen Bildungsangeboten im ländlichen Raum. Ohne ein Mindestmaß an Infrastruktur geht es ebenso nicht, denn politische Bildungsangebote allein können den Rückzug staatlicher Akteur*innen und mangelnde Daseinsvorsorge nicht ausgleichen.
Zugänge schaffen über Vereinsstrukturen
Erfahrungen im Hinblick auf das Erreichen von Menschen in ländlichen Räumen haben wir in den vergangenen zwölf Jahren im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (Z:T) gesammelt, das durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) umgesetzt wird. Das Bundesprogramm arbeitet weniger mit einem lokalräumlichen Ansatz im Sinne sozialgeographisch abgegrenzter Orte (Gemeinden, Kleinstädte), sondern folgt einem organisationsbezogenen Ansatz. Dabei wird in Landesverbänden, beispielsweise den Landesportverbänden, den Feuerwehrverbänden oder den Sozialverbänden, ein Bildungs- und Beratungsangebot aufgebaut und verbandsweit implementiert, in deren Rahmen u. a. Wissensbestände politischer Bildung sowie ausgewählte Thematiken demokratiestärkender Arbeit vermittelt werden. Dazu zählen Themen wie Diskriminierung, Intersektionalität, Populismus, Extremismus, Zivilcourage, Interkulturelle Kompetenz u. v. m. Entsprechende Formate können dann an die vor Ort noch vorhandenen (Mitglieds-)Organisationen bzw. Regelstrukturen angebunden werden. Ortschaften in ländlichen Räumen haben in der Regel eine Freiwillige Feuerwehr und einen Sportverein, vielleicht auch einen Heimatverein oder einen Seniorentreff.
Für die politische Bildung sind ländliche Räume aufgrund der veränderten Zugangsbedingungen zu ihnen besondere Räume.
Zwar sind die Förderprojekte zentral auf Landesebene angesiedelt, doch können sie durch gute Kontakte zu Mitgliedseinrichtungen vor Ort Zugang zu ländlichen Räumen ermöglichen. Über die eigenen Vereinsstrukturen können dann Bildungs- und Qualifizierungsangebote etabliert und eine entsprechende dezentrale Veranstaltungskultur entwickelt werden. Dies ist einer von mehreren gangbaren Wegen, politische Bildung „aufs Land“ zu bringen. Anders als in der Bildungsarbeit oft üblich, werden hier Zielgruppen nicht als „statistische Gruppen“ adressiert, die u. a. entlang soziodemographischer Variablen oder von Merkmalen der sozialen Lage her konstruiert werden (vgl. Besand 2022, S. 13).
Vielmehr werden mit Mitarbeitenden von Mitgliedsorganisationen und Untergliederungen, von Sportvereinen, von Mitwirkenden in lokalen Feuerwehren oder von Ortsgruppen des Technischen Hilfswerks oder des Naturschutzes so etwas wie „Realgruppen“ mit Bildungsformaten erreicht. Sie werden verstanden als Gruppen, die aus Menschen bestehen, die sich an einem physischen Ort gegenseitig im Handlungserleben als zu(sammen)gehörig begreifen. Somit kann der Anspruch der Lebensweltorientierung in der Bildungsarbeit eingelöst werden, denn die o. g. Strukturen sind Teil bzw. Orte der Lebenswelt vieler Menschen im ländlichen Raum.
Derzeit wird dieser organisationsbezogene Ansatz Zu diesem organisationsbezogenen Ansatz gehört die Implementation politischer Bildungsformate in die organisationalen Regelstrukturen, etwa in Form von Seminaren an Landesfeuerwehrschulen im Rahmen von Fachkräfteschulungen oder etwa in Form von Lehreinheiten im Rahmen des Erwerbs von Übungsleiterlizenzen im Sport. Die Adressaten politscher Bildungsformate sind in diesem Zusammenhang eher Inhaber*innen bestimmter Funktionsrollen und nicht (konzeptionell) „Menschen in ländlichen Räumen“. im Z:T-Programm ergänzt durch einen sozialräumlichen Ansatz. Mit ihm wird erprobt, ob und in welchem Umfang solche Untergliederungen demokratiestärkend (auch) über die eigenen Vereinsgrenzen hinaus bzw. in den lokalen Raum hineinwirken können. Insbesondere dort, wo spezifische Herausforderungen und Problemlagen bestehen, werden praxisorientierte und auf die je konkrete Problemlage im Sozialraum bezogene politische Bildungs- und Qualifizierungsangebote erarbeitet.

So arbeitet beispielsweise die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) im Land Sachsen-Anhalt mit dem Z:T-geförderten Projekt „Kirche für Demokratie. Verantwortung übernehmen – Teilhabe stärken“. Ihr Ziel: ihre Mitgliedsorganisationen als zivilgesellschaftliche Akteure, die für Demokratie und Vielfalt stehen, insbesondere in strukturschwachen Räumen so weit zu stärken, dass sie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) entgegentreten können. Seit drei Jahren wirkt das Projektteam in verschiedenste regionale Strukturen hinein und orientiert sich an den tatsächlichen Bedarfen an politischer Bildung. Wie beispielsweise in einer kleinen Gemeinde. Zum Schutz der Mitarbeitenden vor Ort werden keine konkreten Namen genannt. Das vor Ort ansässige Bildungshaus in katholischer Trägerschaft ist idyllisch an einem See gelegen, wie es sie viele in dieser landschaftlich reizvollen Region gibt. Es ist ein Ort, an dem vorwiegend Familien ein Freizeit- und Bildungsprogramm besuchen können, sich erholen und in Seminaren neue Perspektiven auf die Herausforderungen des Familienlebens vermittelt bekommen. Ein Schwerpunkt liegt darauf, ein barrierefreier Ort für alle zu sein, an dem Inklusion tatsächlich gelebt werden kann. Bisher beinhaltet das Portfolio der Familienferienstätte somit ein sozial-touristisches Angebot eines kirchlichen Trägers. Das alles klingt unproblematisch, wäre da nicht noch ein anderer Ort in unmittelbarer Nachbarschaft.
Dort befindet sich ein schön restaurierter Gutshof mit Pensions- und Tagungsbetrieb. Seit 1999 befindet sich in diesem Hof ein Schulungszentrum einer rechtsextremen Organisation. Neben den internen Zusammenkünften ist der Tagungsbetrieb offen. Die Veranstaltungsräume können auch privat gebucht werden und so finden häufig lokale Vereinsfeierlichkeiten oder Hochzeiten statt, ohne dass an den Betreibenden Anstoß genommen wird. Damit wird die rechtsextreme Struktur mitfinanziert. Befragungen des Projektteams haben ergeben, dass die Einwohner*innen des Ortes in der Haltung zu dem rechtsextremen Schulungszentrum geteilter Ansicht sind. Manche fänden nichts dabei, dort ihre Feste zu feiern, schließlich sei es ein schöner Ort. Manchen sei es zuwider, dieses Schulungszentrum im Ort zu wissen, andere wollten lieber gar nichts wissen. Insgesamt herrsche vor allem Gleichgültigkeit gegenüber dem Tagungszentrum im Ort.
Die Mitarbeitenden der Bildungsstätte in katholischer Trägerschaft haben den Wunsch, sich stärker als Ort der Vielfalt zu verorten und damit auch ein Zeichen zu setzen. Gleichzeitig ist die Ausgangslage kompliziert, da die Mitarbeitenden wissen, dass gelebte Diversität im Ort nicht nur auf Zustimmung trifft und unangenehme Fragen bzw. Vorurteile ihnen gegenüber geäußert werden. Gleichzeitig möchte die Bildungsstätte den rechten Gesinnungen in der unmittelbaren Nachbarschaft auch etwas entgegensetzen, andere Angebote schaffen, die auch in das Gemeinwesen wirken könnten, um diejenigen zu stärken, die ebenfalls Probleme mit der rechtsextremen Struktur vor Ort haben.
Das Z:T-Projektteam der KEB berät und begleitet die Mitarbeitenden in dem Wunsch, handlungsfähiger zu werden, Prozesse anzustoßen und den Blick für neue Perspektiven zu öffnen. In der Beschäftigung mit Diversität vor Ort stoßen sie allerdings auch auf Vorurteilsstrukturen in den eigenen Reihen, ohne dass diese bisher bewusst als solche identifiziert wurden. Hier gilt es Fragen zu stellen, zu erkennen, zu hinterfragen und zu bearbeiten. Eine Gratwanderung für beide Seiten, kein einfaches Unterfangen und doch steht das gemeinsame Ziel, ein gelebter Ort der Vielfalt zu werden, im Vordergrund. Dieses Projekt ist als Prozess angelegt und braucht Geduld und Zeit für das Bewusstmachen und die Reflexion der eigenen Haltung, für die Änderung des Handelns, um dann von hier aus in das lokale Gemeinwesen wirken zu können. Doch ein erster Meilenstein ist bereits geschafft: Erste niedrigschwellige methodische Ansätze zum Themenbereich Diversität sowie politische Grundbildungsseminare wurden in das Bildungsprogramm aufgenommen. Zudem wurde ein Malbuch „Unser Bistum ist bunt“ zum Themenfeld „Zusammenleben in Vielfalt, mit kleinen und großen Unterschieden“ fertiggestellt (vgl. https://keb-sachsen-anhalt.de, Zugriff: 08.01.2023). Hier ging es darum, den Blick darauf zu werfen, wie selbstverständlich Diversität zu unserer Gesellschaft dazugehört.
Im skizzierten Projektkontext kommt den Angeboten der politischen Bildung insbesondere die Aufgabe zu, demokratische Diskurse im lokalen Kontext zu begleiten und zu aktivieren sowie den Aufbau einer demokratischen Angebotsstruktur und eines Netzwerkes von Engagierten vor Ort zu unterstützen. Bis die Mitarbeiter*innen der Bildungsstätte auch eigene Widersprüche aufgelöst und ihre eigene Haltung geklärt haben, ist es sicher noch ein langer Prozess. Entscheidend ist: Sie haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, wollen etwas verändern und zeigen Haltung an einem der vielen ausgedünnten Orte in der Region.
Die wirkliche Arbeit beginnt nach dem Seminar
Vor dem Hintergrund der Z:T-Programmerfahrungen mit demokratiestärkenden und politischen Bildungsangeboten in ländlichen Räumen stellen wir insgesamt fest, dass es Anlässe bzw. Bedarfe und die Existenz konkreter (Bezugs-)Probleme braucht, um Menschen für entsprechende Formate zu gewinnen und längerfristig für Themen der Demokratiestärkung zu aktivieren. Vermitteltes Wissen muss von den Teilnehmenden in Bildungssettings stets rückgebunden werden können an eigene lokale Herausforderungen, sonst bleibt es abstrakt und allgemein. So können wir die Teilnehmenden motivieren und befähigen, vor Ort eigenständig demokratisch zu wirken, Impulse für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für demokratische Werte zu setzen und für eine demokratische Kultur vor Ort einzutreten.
Mit der in diesem Beispiel angedeuteten, schon recht anspruchsvollen Wirkung politischer Bildungsarbeit – die darin besteht, nicht nur Wissen zu mehren, sondern auch ein verändertes Verhalten von Individuen herbeizuführen – verbindet sich eine zweite Einsicht, die wir im Verlauf der Programmarbeit gewonnen haben. Sie besteht darin, dass, zugespitzt formuliert, die Arbeit für den politischen Bildner, die politische Bildnerin erst nach Abschluss seiner Bildungs- und Qualifizierungsveranstaltungen richtig beginnt. Das heißt: Wenn Bildner*innen ihren Zielgruppen nicht nur reines Wissen vermitteln, sondern auch konkrete, problemlagensensible Handlungskonzepte kollaborativ entwickeln wollen, um sozialorientierte Wirkungen zu aktivieren, dann reicht eine bloße Vermittlung entsprechender Handlungsansätze oft nicht. An dieser Stelle sind wir Bildner*innen als Prozessbegleitende gefragt, die ihre Zielgruppen auf ihrem Weg vom reinen „Wissen“ zum „Handeln“ kontinuierlich begleiten; motivational sowie problemlösend.
Orte in ländlichen Räumen sind oftmals von persönlichen Kontakten und Nachbarschaften geprägt. Hier finden sich viele motivierte Menschen und Initiativen mit kreativen und niedrigschwelligen Ideen, um sozialer Entfremdung, verhärteten Positionen und extremen Vereinnahmungsversuchen im unmittelbaren lokalen Umfeld entgegenzuwirken.
Eine gute und kontinuierliche Prozessbegleitung ist auch in einem anderen Förderprogramm der bpb ein Gelingensfaktor: Das Programm MITEINANDER REDEN setzt seit 2018 bei der Frage an: Wie können demokratische Aushandlungsprozesse, gute Ideen gegen Rechtsextremismus und passgenaue politische Bildungsangebote auch außerhalb der urbanen Zentren realisiert werden? In einem bundesweit ausgeschriebenen Ideenwettbewerb können sich Vereine, Initiativen, aber auch Einzelpersonen um eine Förderung bewerben. Einzige Bedingung: Ihr Vorhaben muss in einer Kommune initiiert und realisiert werden, die höchstens 15.000 Einwohner*innen hat. Gerade dort, wo zivilgesellschaftliche Strukturen nur dünn besetzt sind, leidet der politische Dialog im öffentlichen Raum – der demokratische Streit ist jedoch Grundlage für ein Zusammenkommen auf Augenhöhe und ein gutes gesellschaftliches Miteinander. Der fachliche Fokus der Projekte liegt deshalb auf Dialog und Debatte und der Organisation unterschiedlichster Formate und Räume des Aushandelns von kontroversen Positionen und Meinungen.

Die Umsetzung des Programms basiert dabei auf drei Säulen: Einer finanziellen Förderung der Projektidee; einer fachlichen Prozessbegleitung und den verschiedenen Qualifizierungs- und Vernetzungsangeboten. „Die Förderprojekte schätzen vor allem intensive und individuelle Beratung, denn die Ideen werden meist ehrenamtlich auf die Beine gestellt. Das Programm stärkt also auch die Selbstkompetenz der Akteur*innen vor Ort“, weiß Anja Ostermann vom Programmbüro MITEINANDER REDEN zu berichten. Zudem sind möglichst bürokratiearme Verfahren und der Austausch der Projekte untereinander Gelingensfaktoren.
Orte in ländlichen Räumen sind oftmals von persönlichen Kontakten und Nachbarschaften geprägt. Hier finden sich viele motivierte Menschen und Initiativen mit kreativen und niedrigschwelligen Ideen, um sozialer Entfremdung, verhärteten Positionen und extremen Vereinnahmungsversuchen im unmittelbaren lokalen Umfeld entgegenzuwirken. MITEINANDER REDEN unterstützt diese Ideen von Beginn bis zur Umsetzung mittlerweile in der dritten Förderrunde. Entstanden ist so eine vielfältige Projektlandschaft, die Menschen dort erreicht, wo sie etwas bewegen können und wo etablierte politische Bildungsformate bisher schwer Zugang fanden. Ebenso vielfältig sind die bisher realisierten Formate: Filme, Podcasts, mobile Bühnen, Landfestivals, rollende Begegnungsorte oder Telefonpartnerschaften zwischen Senior*innen und Schüler*innen sind einige Beispiele. Einblicke in die Projekte und weitere Informationen erhält man unter www.miteinanderreden.net. Ganz neu ist zudem die digitale Qualifizierungsplattform www.werkstatt-mr.net (Zugriff: 08.01.2023).
Insgesamt ist mit Angeboten der politischen Bildung in ländlichen Räumen die Herausforderung verbunden, dass viele zeitliche und personelle Ressourcen aufgebracht werden müssen, um vergleichsweise wenige Menschen zu erreichen.
Insgesamt ist mit Angeboten der politischen Bildung in ländlichen Räumen die Herausforderung verbunden, dass viele zeitliche und personelle Ressourcen aufgebracht werden müssen, um vergleichsweise wenige Menschen zu erreichen. Die Umsetzung von politischen Bildungsmaßnahmen erfordert einen langen Prozess der Anbahnung mit den lokal vorhandenen Organisationen und Akteur*innen als Unterstützer*innen und Mitstreiter*innen. Nicht zuletzt muss dabei auch eine „Integrationsaufgabe“ bearbeitet werden: Verschiedene Maßnahmenansätze, die teils auch durch unterschiedliche Förderprogramme entstehen, müssen in lokale und regionale Handlungsstrategien zusammenfließen. Zukünftig braucht es deshalb auch vereinfachende administrative Verfahren seitens der Fördermittelgeber, um diese lokalen Netzwerke langfristig zu sichern. Kooperative statt konkurrierende Ansätze sind dafür nötig. Für politische Bildner*innen heißt das: Sie bilden nicht nur, sondern begleiten, vernetzen, übersetzen und beraten – und zwar langfristig – damit Bildung nicht nur aufs Land kommt, sondern auch dort ankommt.
Zu den Autor*innen
land-in-sicht@bpb.de