Außerschulische Bildung 3/2020

Politische Bildung klimaneutral

Was Bildungsstätten in der Klimakrise tun können

Die fortschreitende Klimakrise nimmt auch Bildungsstätten in die Verantwortung – in der politischen Bildungsarbeit und im nachhaltigen Hausmanagement. Die Erfahrungen der Villa Fohrde auf dem Weg zu einem nachhaltigen Lernort im ländlichen Brandenburg zeigen hier Handlungsoptionen auf. Bildungsorte sind nur dann glaubwürdig, wenn Denken, Sprechen und Handeln übereinstimmen. Ziel ist es, mit einem Puzzle von gelingenden Praktiken zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft beizutragen. von Julia Wunderer

In der Stellungnahme zum AdB-Jahresthema 2020 (vgl. AdB 2019) wird anerkannt, dass die Klimakrise die globale Krise dieser Zeit ist. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass für gewöhnlich Klimawandel der gängige Begriff von Regierungsdokumenten über die Alltagssprache bis zur wissenschaftlichen Debatte ist. Nils Meyer-Ohlendorf merkt aber an, dass „wo Sprache ist, da ist auch Subtext. Vor allem da, wo Sprache politisch wird.“ (Meyer-Ohlendorf 2018) Er führt weiter aus, dass der Begriff „Klimawandel“ einen natürlichen Prozess suggeriere, für gewöhnlich langsam und linear. Im Terminus „Klimakrise“ dagegen wird die Dringlichkeit des Problems deutlicher. Er findet sich beispielsweise in der Berichterstattung des Guardian wieder, um präziser und angemessener berichten zu können (vgl. Carrington 2019). Auch einer der renommiertesten deutschen Klimaforscher, der Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Hans-Joachim Schellnhuber, bekräftigte im November 2019 die Verwendung des Begriffs: „Klimawandel ist relativ neutral, Klimakrise ist bedrohlich, Klimakatastrophe fatal. Wir stehen natürlich inzwischen mitten in der Klimakrise, das ist gar keine Frage. Ich selbst verwende diesen Begriff auch. Wir sind noch nicht in der Klimakatastrophe, aber marschieren stur darauf zu. Trotzdem ist es noch möglich, sie zu verhindern.“ (Schellnhuber 2019)

Diese aktuelle Positionsbeschreibung im Prozess der globalen Erderwärmung zeigt, wie wichtig es ist, die Klimakrise in der politischen Bildung als zentrales Thema zu verankern und den Gedanken der Nachhaltigkeit in Bildungsstätten umzusetzen. Die Verwendung des Begriffs Klimakrise zeigt somit auch die Politisierung der Klimadiskussion, die nicht unerheblich vorangetrieben wurde durch die Jugendbewegung Fridays for Future. Deren Forderungen – und das ist bemerkenswert und von grundlegender Bedeutung – erfahren einen breiten, nahezu ungebrochenen wissenschaftlichen Rückhalt (vgl. Bieling/Eggersdorfer 2020, S. 15 f.).

Die Nachhaltigkeitsdebatte seit dem Brundtlandt-Bericht von 1987 gewinnt mit einer weltweiten Protestbewegung und starken wissenschaftlichen Stimmen zusätzlich an notwendigem Aufwind. Zwar mögen viele den Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht mehr hören, weil er inflationär verwendet werde, dennoch sollten wir uns vergegenwärtigen, dass Nachhaltigkeit auf die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften in ökologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht zielt und somit mehr als ein Schlagwort ist. Vor diesem ernsten Hintergrund sollten wir das Gähnen über Begrifflichkeiten einstellen und endlich loslegen. Dem oben beschriebenen Krisenszenario steht die Einschätzung Harald Welzers gegenüber, dass es „mithin dringend an der Zeit (wäre) mit dem Mahnen und Warnen aufzuhören“ (Welzer 2019, S. 18), denn die Kluft zwischen Bewusstsein und Handeln wachse paradoxerweise mit jeder Katastrophenmeldung. Bei Nachhaltigkeit geht es darum, die vorhandenen Ressourcen innerhalb der planetaren Grenzen gerecht zu verteilen – zwischen den rund 7,7 Milliarden Menschen, die aktuell leben, aber auch mit Blick auf künftige Generationen. Dass wir in diesem Sinne nicht nachhaltig leben zeigt der „Earth Overshoot Day“. Demnach verbrauchen wir Menschen weltweit derzeit 1,6 Erden pro Jahr (eine überwiegend COVID19-bedingte Reduktion um 0,1 Erden bereits eingerechnet); und zwar auf Kosten vieler ärmerer Länder und nachfolgender Generationen. Würden alle so leben wie in Deutschland, wären es rund 3 Erden pro Jahr (vgl. Global Footprint Network 2020). Politische Bildung hat sich stets auch mit Fragen von Gerechtigkeit und Verteilung beschäftigt. Damit ist nachhaltiges Handeln auf der organisatorischen Ebene von Bildungsstätten und eine auf Zukunftsfähigkeit ausgerichtete politische Bildungsarbeit die Grundlage für Glaubwürdigkeit in diesem Feld.

Teambuilding für Multiplikator*innen mit Upcycling-Materialien Foto: Villa Fohrde e. V.

Obwohl Politik- und Sozialwissenschaften seit den 1990er Jahren eine breite Diskussion über Globalisierungsfragen führen, wurden Fragen und Methodik des globalen Lernens, der Nachhaltigkeitstransformation und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der außerschulischen politischen Bildung erst in der jüngeren Zeit mit der Intensität diskutiert, die sie längst verdient gehabt hätten. Ein Grund hierfür liegt darin, dass einige befürchten, BNE und Globales Lernen seien zu missionarisch und würden dem Beutelsbacher Konsens zuwiderlaufen. Dabei verlangt gerade die dritte Säule des Beutelsbacher Konsens, die Schüler*innen-Orientierung, Themen von globalem Lernen und Umweltgefahren in der politischen Bildung zu thematisieren und mit einem von Seiten der Lehrenden offengelegten politischen Wertegerüst zu diskutieren. Letzteres verhindert in einer kontrovers geführten Diskussion die Gefahr der Überwältigung und wird dem Interesse junger Menschen an diesen Themen gerecht (vgl. Overwien 2019, S. 126 ff.). Eine übersichtliche Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis der Bildung für nachhaltige Entwicklung zum Beutelsbacher Konsens in allen drei Säulen gibt die Broschüre zur BNE-Qualitätsentwicklung in Brandenburg (vgl. MLUK 2020, S. 27).

Glaubwürdigkeit in der politischen Bildung – wie authentisch nachhaltig sind Inhalt und Form?

Wenn die außerschulische politische Bildungslandschaft in Deutschland dazu beitragen will, die Klimakrise zu bewältigen, ist es an der Zeit, sie nicht nur in den Bildungsinhalten und Seminarthemen zu verorten, sondern auch zu einem nachhaltig geführten Bildungsort beizutragen. Nachhaltiges Handeln greift tief in die Organisations- und Betriebsprozesse von Organisationen ein und hat stets auch einen starken Bezug zur Glaubwürdigkeit. Bildungsstätten haben auf Grund ihres breiten Teilnehmer*innen-Kreises eine gesellschaftliche Hebelwirkung und können über kommunikative Maßnahmen und gelebtes Vorbild niedrigschwellig aufzeigen, dass klimafreundliches Handeln im Alltag möglich ist. Die Verweildauer über zumeist mehrere Tage in Bildungsstätten lädt geradezu dazu ein, einen ganzheitlichen Ansatz vorzuleben. Die Teilnehmenden erfahren quasi wie nebenbei und unabhängig vom Seminarinhalt, wie eine Bildungsstätte bewirtschaftet wird. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ich morgens beim Frühstücksbuffet fünf kleine Marmeladenpäckchen aus Plastik aufmache oder ob sie plastikverpackungsfrei mit dem Hinweis auf regionale und/oder ökologische Produktion aus einem Glas kommen.

Wenn die außerschulische politische Bildungslandschaft in Deutschland dazu beitragen will, die Klimakrise zu bewältigen, ist es an der Zeit, sie nicht nur in den Bildungsinhalten und Seminarthemen zu verorten, sondern auch zu einem nachhaltig geführten Bildungsort beizutragen.

Authentizität in aktivem Handeln für Klimaschutz sollte daher für Bildungsstätten das Ziel sein: „Erfolgreiche politische Bildungsarbeit braucht die Aspekte der Authentizität, der Eröffnung von gestalterischen Freiräumen, der Relevanz- bzw. Resonanzerlebnisse und des Vertrauens in die dargebotenen Informationen und vermittelnden Akteure.“ (Rostock/Gehenzig 2016, S. 22) Dies gelingt am besten, wenn ein ganzheitlicher Ansatz zu Grunde gelegt wird, wie der whole institution approach, der 1.) die Verankerung von nachhaltigen Aspekten im Leitbild und Partizipation aller Beteiligten in den Blick nimmt, der 2.) auf die nachhaltige Bewirtschaftung, Energieversorgung und Mobilität abzielt, der 3.) Aspekte der Mitarbeiter*innen-Führung und Weiterbildung aller berücksichtigt und der 4.) die Bedeutung von Kooperationspartner*innen in der Region, aber auch darüber hinaus, wahrnimmt. Einen guten Überblick und Einstieg ins Thema bietet hierzu die Handreichung der Deutschen UNESCO-Kommission, die auf wenigen Seiten praktische Tipps zur Umsetzung des Sustainable Development Goals (SDG) 4 „Chancengerechtigkeit und hochwertige Bildung“ im Bereich non-formalen und informellen Lernens aufzeigt (Deutsche UNESCO-Kommission e. V. o. J.). Im Zusammenspiel dieser vier Dimensionen kann ein Lernort entstehen, der in seinem Bemühen um Nachhaltigkeit zur Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft beiträgt.

Am Beispiel der Villa Fohrde möchte ich einige Aspekte kurz skizzieren, die uns auf dem Weg zum authentisch nachhaltigen Lernort begleiten. Der Verein Villa Fohrde Bildungs- und Kulturhaus e. V. wurde Anfang der 1990er Jahre gegründet, in der gesellschaftlich-politischen Umbruchssituation der Nachwendejahre im ländlichen Brandenburg, mit starken Einflüssen aus dem nahen Berlin. Vorhanden, aber nicht treibend, waren Gedanken, wie ein bewusster Umgang mit der Umwelt aussehen kann. So lautete der Leitsatz: „Das Hauptanliegen der Villa Fohrde ist die Förderung eines konstruktiven und respektvollen Umgangs der Menschen mit sich selbst, sowie mit ihrer sozialen und natürlichen Umwelt.“ Dies war durchaus ganzheitlich gedacht und lange bevor Nachhaltigkeit als Schlagwort die Debatte um Klimaschutz und verantwortungsvolles Handeln bestimmte. Und es manifestierte sich auch durchaus in Handlungen, als 2008 ein zweites Seminar- und Übernachtungsgebäude aus Lehm, Stroh und Holz errichtet wurde. An vielen anderen Stellen wich die Realität vom Ideal eines umwelt- und sozial-gerechten Wirtschaftens ab. Beispielsweise stand das Prinzip von saisonaler Menüplanung und vollwertiger Verpflegung der Verwendung konventioneller und günstiger Produkte gegenüber. An einer Kapsel-Kaffeemaschine für die Gäste mit einer großen Menge an unnötigem Abfall, verbunden mit hohen Kosten, störten sich wenige. Obwohl sicherlich eine Sympathie für erneuerbare Energien vorhanden war, wurde Strom von einem Atomstromriesen bezogen ohne dies im Alltag zu hinterfragen. Von solcherlei Diskrepanzen zwischen Wissen und Handeln können viele Menschen im privaten Bereich wie auch im unternehmerischen Handeln ein Lied singen. Um mit Harald Welzer zu sprechen, „lässt sich das verbleibende Unbehagen, das mitunter entsteht, wenn man Dinge tut, die eigentlich falsch sind, ausgesprochen leicht bewältigen“ (Welzer 2019, S. 17). Weil es sich um kulturell erlernte Standards handelt, hilft es nichts, wenn Veränderungen nur auf der kognitiven Ebene ansetzen, sondern es braucht Praxisformen der Veränderung (vgl. ebd., S. 17 f.).

Draußen in Bewegung – Internationales Teambuilding auf dem Niedrigseilgarten Foto: Villa Fohrde e. V.

Mit dem Generationswechsel in der Geschäftsführung und einem vom Land Brandenburg geförderten Modellprojekt in den Jahren 2017/2018 (vgl. MLUK 2020, S. 18 f.), fand eine Reflexion und Orientierung zum nachhaltigen Bildungshaus im Sinne des whole insitution approach statt. Zu Beginn entwickelten die Hauptamtlichen und Vereinsmitglieder ein Leitbild, das seitdem Orientierung gibt. Darauf aufbauend beschloss die Mitgliederversammlung im Herbst 2019 ein explizites Klima-Leitbild, das bekräftigt, in allen Handlungsbereichen einen entschlossenen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu wollen; die beiden Hebel sind hier die Bildungsarbeit (UN-Nachhaltigkeitsziel 4 Hochwertige Bildung) und Hausbewirtschaftung (UN-Nachhaltigkeitsziel 12 Nachhaltige Produktion und Konsum) (vgl. Villa Fohrde 2020). Bestehende sowie neu konzipierte Bildungsangebote werden auf die Vereinbarkeit mit dem Klima-Leitbild überprüft und der Ansatz der BNE durchzieht sie als Querschnittsthema in unterschiedlich starker Ausprägung. Die Bildungsarbeit setzt sich auch außerhalb der Seminare und Veranstaltungen fort. Hier greift die Villa Fohrde auf den Ansatz des casual learning zurück, indem sie beispielsweise durch Aushänge zur Produktauswahl im Speiseraum oder in der Gästemappe auf den Zimmern auf Aspekte nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens aufmerksam macht. Menschen werden dort angesprochen, wo sie sich ohnehin aufhalten. Das Forum für internationale Entwicklung und Planung (finep) beispielsweise stellt kreative und mitunter auch spielerische Anregungen zur Verfügung, wie Näh-Sets für Hotels mit Informationen zur globalen Wertschöpfungskette von Kleidung oder ein Bierdeckel-Ratespiel zu fairen Produktions- und Handelsbedingungen (www.labor-entwicklungspolitik.de).

Nachhaltigkeitsdilemmata und Handlungsfelder von Lernorten

Bildungsstätten mit einer räumlichen Verortung befinden sich über die Bildungsaspekte hinaus in einem nur schwierig aufzulösenden Nachhaltigkeitsdilemma. Der Betrieb eines Seminar- und Übernachtungsbetriebes verursacht CO2-Emmissionen, ebenso die An- und Abreise von Teilnehmenden, ganz besonders bei internationalen Begegnungen. Der Mehrwert von politischer Bildungsarbeit in Bildungsstätten durch den direkten persönlichen Austausch in mehrtägigen Bildungsveranstaltungen steht dem gegenüber. Eine Auflösung des Dilemmas lässt sich vermutlich nicht endgültig, sondern nur annäherungsweise durch Reduzierung, Investitionen, aber auch Bewusstseinsbildung und Förderung des individuellen Verhaltens bewerkstelligen. Hier verhält es sich ähnlich wie bei anderen Feldern wie (nachhaltigem) Tourismus oder (nachhaltiger) Mobilität. Die Corona-Krise mit der vorübergehenden Schließung von Bildungsstätten hat uns gezeigt, dass digitale Bildungsangebote zwar in einigen Formaten durchaus sinnvoll sind und insbesondere CO2-Emmissionen einsparen, dass aber zugleich der unmittelbare Austausch vor Ort und letztlich das abendliche Zusammensitzen am Lagerfeuer oder die gemeinsame Laufrunde vor dem Frühstück fehlen. Gerade weil uns politischen Bildner*innen diese Begegnungen im Seminarraum und nebenbei als Wert bewusst und wichtig sind, müssen wir überlegen, wie die räumlichen und mobilitätsbedingten Ressourcen von Bildungsstätten möglichst klimaneutral genutzt werden können.

Am Anfang eines solchen Prozesses sollte gefragt werden, 1.) in welchen Bereichen ein möglichst großer klimaverträglicher Effekt erzielt werden kann, 2.) in welchen Bereichen sich kurzfristig und unkompliziert Maßnahmen umsetzen lassen und 3.) welche langfristige Strategieentwicklung zu einem nachhaltigen Dauerbetrieb führen wird. Auf drei Handlungsfelder von Bildungsstätten möchte ich im Folgenden kurz eingehen.

Die bereits angesprochene Mobilität zum Lernort hin und vom Lernort weg, zeichnet sich häufig für einen Großteil der CO2-Emmissionen einer Bildungsstätte verantwortlich und zugleich ist der Einfluss auf das individuelle Reiseverhalten gering. Anreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln können vom Lernort jedoch durchaus gefördert werden. Als Beispiele können hier explizite Hinweise bei der Anreisebeschreibung in Infobriefen oder auf der Webseite, die – datenschutzrechtlich nicht ganz einfache – Unterstützung bei der Bildung von Fahrgemeinschaften oder die Schaffung von Anreizsystemen wie einer Reduktion des Teilnahmebeitrages bei Vorlage eines Bahntickets oder eines Erfrischungsgetränks bei Anreise mit dem Fahrrad. Wenn Reisekosten im Rahmen eigener Projekte erstattet werden, sollten hierfür Regeln definiert werden. Diese können lauten: Reisen per Flugzeug (als bei weitem klimaschädlichster Reiseform) werden erst ab 1.000 km oder 20 Stunden Reisezeit erstattet und es wird eine Kompensation empfohlen (beispielsweise: www.atmosfair.de). Vor Ort ist es möglich, in Elektroladesäulen für Autos und Fahrräder zu investieren. Die Anpassung der Seminarzeiten auf die Fahrpläne von Bus und Bahn kann insbesondere in ländlichen Regionen die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtern, mit solchem Nachdenken findet darüber hinaus eine beispielhafte Verzahnung von Bildungsarbeit und organisatorischen Rahmenbedingungen statt.

Eine Verankerung der Bildung für nachhaltige Entwicklung im gesamten Bildungssystem kann allerdings nur dann gelingen, wenn auch die politischen Rahmenbedingungen auf eine nachhaltige Entwicklung zielen.

Um CO2-Emmissionen in der Hausbewirtschaftung zu vermeiden bzw. zu reduzieren, kann die Hausleitung erneuerbaren Strom und Gas beziehen, in eigene Energiegewinnungssysteme investieren und stromsparende Beleuchtung oder (Groß-)Küchengeräte anschaffen. Ähnliches gilt für die Wasserversorgung, zum Beispiel Einsparungsmaßnahmen durch wassersparende Duschköpfe oder weitergehend die Nutzung von Grau- oder Regenwasser. Der Umstieg der Villa Fohrde komplett auf Öko-Strom (Jahresverbrauch 37.700 kWh) und Öko-Gas (Jahresverbrauch 144.000 kWh) spart beispielsweise etwa 48 Tonnen CO2 pro Jahr ein, was einem Nutzwald in der Größe von sechs Fußballfeldern entspricht. Eigene Berechnungen auf der Grundlage der Verbrauchsangaben der Energieversorger Lichtblick und Polarstern. Die Kündigung alter und das Abschließen neuer Verträge ist – nach einer gewissen Recherchezeit – eine kleine einmalige Handlung mit dauerhafter Wirkung. Die Effekte sind natürlich in Relation zur Größe des Bildungshauses zu setzen, die Villa Fohrde ist eine relativ kleine Einrichtung mit 30 Betten und damit einer begrenzten Anzahl an Bildungsteilnehmer*innen.

Ein weiterer Aspekt für nachhaltiges Handeln in Bildungshäusern ist die Frage nach der Verpflegung. Hier geht es um einen möglichst hohen Anteil an regionalen, fair produzierten und gehandelten sowie biologischen Lebensmitteln. Saisonale Menüplanung reduziert zudem die Transportwege und berücksichtigt gesundheitliche Aspekte. Durchweg ist in Bildungsstätten in den vergangenen Jahren das Angebot an vegetarischen und veganen Speisen stetig gewachsen. In Kombination mit regionalen, fairen, saisonalen und ökologischen Produkten lassen sich hier relevante Mengen an CO2 einsparen. Die Villa Fohrde konnte mit der Umstellung von flexitarischer Kost (etwa jeden zweiten Tag fleischlos) auf konsequent vegetarische Verpflegung ca. 7 Tonnen CO2 jährlich einsparen, was in etwa einem Nutzwald in der Größe eines Fußballfeldes entspricht. Eigene Berechnungen auf der Grundlage des CO2-Rechners des Umweltbundesamtes (https://uba.co2-rechner.de/de_DE; Zugriff: 16.06.2020). Selbst wenn nicht für jedes Bildungshaus die komplett vegetarische Variante realisier- und wünschbar ist, eröffnen sich erhebliche Einsparpotenziale durch den Verzicht auf Fleisch und Wurst aus Massentierhaltung mit mangelndem Tierwohl und hohem Antibiotikaeinsatz. Stattdessen kann weniger, aber hochwertiges Fleisch verwendet werden.

Die verstärkte Nachfrage von Teilnehmenden an Bildungsseminaren sowie Gastgruppen, die eine Buchung nur unter bestimmten Bedingungen wie beispielsweise der Bereitstellung von fair gehandeltem Kaffee vornehmen, sind zusätzliche wirtschaftliche Triebkräfte für uns. Selbstverständlich muss die Frage nach der Finanzierbarkeit und den Kosten gestellt werden, die Umstellung von konventionellem auf den Bio-Großhandel und regionale Lebensmittelproduzent*innen gibt es nicht umsonst. Am Beispiel eines biologisch produzierten und fair gehandelten und damit teureren Kaffees zeigt sich jedoch exemplarisch, wie Sozial- und Umweltkosten, wie unzureichende Bezahlung der Arbeiter*innen in den Produktionsländern, in der Kostenrechnung außen vorgelassen werden. Auch soziale Unzulänglichkeiten durch vorgeblichen oder tatsächlichen Kostendruck in Bildungsstätten, die sich beispielsweise in der Bezahlung der unteren Gehaltsgruppen oder im freiberuflichen Honorarbereich zeigen, verweisen auf ein vergleichbares Grundprinzip. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen, ist Teil der Komplexität der sozial-ökologischen Transformation und wer könnte hier bessere Ansätze liefern als die politische Bildung?

Die Villa Fohrde als nachhaltiger Lernort in Brandenburg Foto: Melanie Homfray

Der Weg der Villa Fohrde ist selbstverständlich nur einer unter vielen. Nachhaltiges Handeln in Bildungsstätten hängt nicht grundsätzlich von der Art und Weise des bisherigen Wirtschaftens ab, diese bestimmt lediglich Umfang und Geschwindigkeit der Umsetzung von Maßnahmen auf dem Weg zur sozial-ökologischen Transformation. Die Schlussfolgerung Harald Welzers, dass „die Nachhaltigkeitstransformation (…) eine Kombinatorik aus gelungenen und gelingenden Praktiken“ ist (Welzer 2019, S. 19) gilt für politische Bildungsstätten ebenfalls. Der Wille der Leitungsebene sollte vorhanden sein oder geweckt und durch gegenseitige Inspiration und best practise-Beispiele befruchtet werden. Findige Hausmeister*innen können das Prinzip „Reparatur vor Neukauf“ im Haus verankern, bestehende Kooperationen die Weitergabe von ausrangierten Seminarmöbeln für den Jugendclub vor Ort ermöglichen, kreative Küchenchef*innen die Lebensmittelverschwendung reduzieren oder Bildungsreferent*innen Upcycling-Methoden in ihre Bildungsarbeit integrieren. Das Zusammenwirken aller Haupt- und Ehrenamtlichen in Beteiligungsverfahren kann den Prozess fruchtbar und nachhaltig in einer zeitlichen Dimension machen.

Eine weltweit angelegte Evaluationsstudie kommt mittels Expert*innen-Befragung zu dem Schluss, dass eine gesellschaftliche Transformation durch Bildung „eine deutliche politische Profilierung in der Konzeption einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Bildungspolitik“ (Ohlmeier/Brunhold 2015, S. 308) voraussetzt. Somit bedarf es einer Politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung, welche über die Trias Ökologie, Ökonomie und Soziales hinausgeht und mit politischen Bürgerkompetenzen und dem Konzept des globalen Lernens verknüpft ist. Eine Verankerung der Bildung für nachhaltige Entwicklung im gesamten Bildungssystem kann allerdings nur dann gelingen, wenn auch die politischen Rahmenbedingungen auf eine nachhaltige Entwicklung zielen, denn wie auch in anderen Bereichen kann Bildung allein nicht auffangen, was nicht in Politik und Gesellschaft gelöst wird (vgl. ebd., S. 311).

Die politische Bildung kann und soll dazu beitragen, die Klimakrise zu bewältigen. Dabei sollte sie bedenken, dass, wenn diese Aushandlungsprozesse über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft(en) stattfinden und Menschen zu zukunftsfähigem Handeln befähigt werden sollen, dies nicht als singuläres Thema behandelt werden kann, sondern dass ein Mainstreaming des BNE-Ansatzes in der politischen Bildung sinnvoll ist. Das Angebot von Veranstaltungen mit explizitem Schwerpunkt in der Nachhaltigkeit ist genauso wichtig wie das Umsetzen von Nachhaltigkeitsaspekten in anderen politischen Bildungsthemen wie der Demokratie- und Jugendbildung. Und direkte Bildungsangebote sind im Sinne der Glaubwürdigkeit und der Ganzheitlichkeit genauso wichtig, wie Nachhaltigkeit in Bildungshäusern vorzuleben. Eine nachhaltige und zukunftsfähige Gesellschaft entsteht durch viele gelebte Praktiken, begleitet durch eine experimentelle Fehlerkultur und eine Skalierung erprobter Beispiele – wie hier aufgezeigt am Beispiel nachhaltiger Lernorte.

Zur Autorin

Julia Wunderer ist Diplom-Politologin und seit vielen Jahren im sozialunternehmerischen und politischen Bildungsbereich tätig, zuletzt bei ArbeiterKind.de und Ackerdemia e. V. Sie ist seit 2017 Mitarbeiterin des Villa Fohrde Bildungs- und Kulturhauses e. V. im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Nachhaltigkeitsmanagement und der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie Fördermittel und Verwaltung.
julia.wunderer@villa-fohrde.de
Foto: Patryk Grudziński

Literatur

AdB – Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (2019): Transformationen: Globale Entwicklungen und die Neuvermessung der politischen Bildung. Stellungnahme zum AdB-Jahresthema 2020; www.adb.de/stellungnahme/transformationen (Zugriff: 02.07.2020)
Bieling, Hans-Jürgen/Eggersdorfer, Helene (2020): Fridays for Future. Eine soziale Bewegung als Auftakt einer neuen politischen Konjunktur? In: Politikum, Heft 2/2020, S. 14–19
Carrington, Damian (2019): Why the Guardian is changing the language it uses about the environment; www.theguardian.com/environment/2019/may/17/why-the-guardian-is-changing-the-language-it-uses-about-the-environment (Zugriff: 31.05.2020)
Deutsche UNESCO-Kommission e. V. (o. J.): Nachhaltigkeit 360° – im Bereich non-formales und informelles Lernen. Was einen außerschulischen Lernort zu einem Lernort für nachhaltige Entwicklung und zukunftsfähiges Handeln macht; www.bne-portal.de/sites/default/files/BNE_Handreichungen%20Bildungsbereich%202018_Nachhaltigkeit_non-formales%20und%20informelles%20Lernen_web.pdf (Zugriff: 08.06.2020)
Global Footprint Network (2020): Calculating Earth Overshoot Day 2020: Estimates Point to August 22nd; www.overshootday.org/content/uploads/2020/06/Earth-Overshoot-Day-2020-Calculation-Research-Report.pdf (Zugriff: 23.06.2020)
Meyer-Ohlendorf, Niels (2018): Framing-Check „Klimawandel“. Dieser Begriff ist ein Sieg für alle, die nichts verändern wollen; www.sueddeutsche.de/kultur/framing-check-klimawandel-begriff-1.4252824 (Zugriff: 31.05.2020)
MLUK – Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2020): Der Brandenburger Lernweg – Qualität in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE); https://mluk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/BNE-BB-Lernweg1.pdf (Zugriff: 08.06.2020)
Ohlmeier, Bernhard/Brunold, Andreas (2015): Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Evaluationsstudie. Wiesbaden: Springer VS Fachmedien
Overwien, Bernd (2017): Politische Bildung und Globales Lernen: Distanz zwischen Wissenschaft und Praxis? In: Emde, Oliver/Jakubczyk, Uwe/Kappes, Bernd/Overwien, Bernd (Hrsg.): Mit Bildung die Welt verändern? Globales Lernen für eine nachhaltige Entwicklung. Schriftenreihe „Ökologie und Erziehungswissenschaft“ der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der DGfE. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich, S. 121–132
Rostock, Stefan/Gehenzig, Melanie (2016): „Besser leben“ und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Mehr Anspruch an die Umsetzung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung. In: Journal für politische Bildung, Heft 4/2016, S. 16–26
Schellnhuber, Hans Joachim (2019): Wir verbrennen das Buch des Lebens. Interview durch Tanja Traxler. In: Der Standard vom 29.11.2019; www.derstandard.de/story/2000111534109/klimaforscher-schellnhuber-wir-verbrennen-das-buch-des-lebens (Zugriff: 16.06.2020)
Villa Fohrde e. V. (2020): Klima-Leitbild; www.villa-fohrde.de/seite/435678/klima-leitbild.html (Zugriff: 08.06.2020)
Welzer, Harald (2019): Wissen wird überbewertet. Nachhaltigkeitstransformation ist eine Sache der Praxis. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 47–48/2019, S. 16–20