Außerschulische Bildung 1/2021

Politische Bildung und die digitale Transformation der Arbeitswelt

Eine europäische Perspektive

Wie will Europa die Europäer*innen auf die Herausforderungen der digitalen Transformation vorbereiten? Das ist prinzipiell auch für die politische Bildung von Interesse – selbst wenn sie nicht immer als relevanter Bildungsbereich mitgedacht wird und sich oft reserviert zum Thema verhält. Der Artikel beschreibt, wie die EU das Lernen im Digitalen und für die digitale Transformation vorantreibt. Zugleich werden erste Überlegungen angestellt, wie das aus der Sicht der politischen Bildung so wichtige Lernen aus Demokratie- und Bürger*innensicht über die Transformation diese Strategie ergänzen kann. von Nils-Eyk Zimmermann

Eine der Pionierinnen der Erforschung der digitalen Transformation, Shoshana Zuboff, beschrieb 1988 am Beispiel einer Papierfabrik die Irritationen, die die digitale Transformation hervorrief. Statt klassischer Verarbeitung und Handarbeit wurde nun die „Aufgabenbeziehung durch ein Informationssystem vermittelt“ (Zuboff 1988, S. 62). Infolgedessen zeigten die Arbeiter*innen „unzählige Male eine spontane emotionale Reaktion – im Gefühl des Kontrollverlusts, der Verletzlichkeit und der Frustration“. Viele waren besorgt, wie sich ihre handwerklichen Fähigkeiten in eine veränderte Art der Papierherstellung einfügen können. Eine Gruppe von Arbeiter*innen baute jedoch ihr Wissen aus, lernte neue Aspekte der Papierherstellung kennen. Andere hingegen „machten sich zu einem Anhängsel des Systems und führten mechanisch die Anweisungen des Computers aus“ (ebd., S. 68). Eine entscheidende Kompetenz, die der ersten Gruppe half, war, ihr Interesse zu erforschen, zu versuchen, sowie die neuen Möglichkeiten konstruktiv zu reflektieren (vgl. ebd., S. 70). Eine Studie des deutschen Ministeriums für Arbeit und Soziales kommt heute zu einem ähnlichen Schluss: „29 Prozent der Beschäftigten erfahren eine körperliche Entlastung“ durch die Digitalisierung ihrer Arbeitswelt. Gleichzeitig folgert der Monitor für Digitalisierung am Arbeitsplatz: „15 Prozent der Beschäftigten empfinden sinkende Anforderungen an ihre Fähigkeiten.“ (BMAS 2016, S. 13 f.) Dieser Artikel ist entstanden im Rahmen des europäischen Projekts DIGIT-AL: Digital Transformation and Adult Learning for Active Citizenship des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten; https://dttools.eu.

Die Bildungssysteme sollten diese beiden Gruppen berücksichtigen. Diejenigen mit dieser entscheidenden transformativen Kompetenz müssen bestärkt werden und gleichzeitig darf die Gesellschaft die anderen nicht zurücklassen. Bildung muss verstehen lernen, wie sie in diesem Transformationsprozess Arbeitnehmer*innen helfen kann und welche Bedingungen diese in die Lage versetzen, eine neue Lernreise zu beginnen. Insbesondere das Verständnis von Lernen als lebenslanger, kontinuierlicher, reflexiver und produktiver Prozess ist dafür eine solide Grundlage: Wenn Arbeitnehmer*innen befähigt werden, Erfahrungen aus unterschiedlichen Situationen, sozialen Rollen oder Lebensphasen zu verknüpfen, kann dies helfen, in unbekannten Situationen Chancen zu sehen oder die aktuelle Situation als Teil einer Transformation zu verstehen, nicht als einen Endzustand.

Die europäischen Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen, entwickelt 2006 und überarbeitet 2018, drücken ein solches Bildungsverständnis aus. „Schlüsselkompetenzen sind diejenigen Kompetenzen, die alle Menschen für ihre persönliche Entfaltung und Entwicklung, Vermittelbarkeit, soziale Inklusion, eine nachhaltige Lebensweise, ein erfolgreiches Leben in friedlichen Gesellschaften, eine gesundheitsbewusste Lebensgestaltung und aktive Bürgerschaft benötigen. Sie werden im Sinne des lebenslangen Lernens von Kindesbeinen an während des gesamten Erwachsenenlebens durch formales, non-formales und informelles Lernen in allen Umgebungen entwickelt: in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und anderen Gemeinschaften.“ (Europäische Kommission 2019b)