Außerschulische Bildung 1/2024

Protest und Grenzen des Protests

Wie neue populistische Strategien die Demokratie in Frage stellen

Statt Argumenten beherrschen in immer stärkerem Maße Gefühle wie Aggressivität, Hass und unmittelbare Wut die öffentlichen Streitdiskussionen. So unterschiedlich die inhaltlichen Positionen sind, so ähnlich sind sich häufig die Begründungen: Das eigene Anliegen wird als so dringlich empfunden, dass sich viele unterschiedliche Gruppen im Recht fühlen, demokratische Regeln und Gesetze zu verletzen. Der Beitrag beleuchtet die Probleme dieser Entwicklung, zeigt Strukturen auf und benennt Auswege. von Gernot Wolfram

Protest als Gefühlserlebnis

Protest benötigt einen Standpunkt. Eine Position, von der aus Widerstand Sinn macht. Im Sinne von: Ich kann erklären, warum ich gegen etwas bin. Mein Widerstand lässt sich vernünftig nachvollziehen. Das zumindest ist die Tradition einer demokratischen Haltung, welche durch Widerspruch, Dialog, Kritik oder eben durch organisierte politische Aktionen verdeutlicht, dass sie mit bestimmten Entwicklungen in der Gesellschaft nicht einverstanden ist.

Was geschieht aber, wenn diese Eindeutigkeiten zu verschwimmen beginnen? Wenn sich etwa in den Kampf gegen den Klimawandel antisemitische Positionen mischen? Wenn Anhänger populistischer Parteien plötzlich Philosoph*innen wie Hannah Arendt, Erich Fromm oder Theodor Adorno für sich entdecken und Zitate aus ihrem Werk für Hass- und Spaltungsbotschaften innerhalb tausendfach geteilter digitaler Posts benutzen und das als Widerstand bezeichnen? Wenn sich bei Protesten gegen Sparmaßnahmen der Regierung Demonstrant*innen plötzlich von Plakaten mit obskuren Verschwörungstheorien umgeben sehen? Wenn der Protest nicht mehr auf Vernunft, sondern auf gefühlten Wahrheiten beruht? Hierzu passt die im deutschen Sprachgebrauch vorhandene Redewendung: „Ich fühle mich im Recht“, die das Gefühl als Maßstab setzt.