Überzeugungen entwickeln, sich einmischen, Flagge zeigen
Wochenschau Verlag, 208 Seiten
In dieser Sammlung von Beiträgen prominenter Pädagog*innen und Forscher*innen werden kritische Fragen und kontroverse Debatten, die in Kreisen der politischen Bildung und in der Gesellschaft im weiteren Sinne prominent sind, in den Vordergrund gerückt und durch ihre Relevanz für das Leben und Werk von Frank Nonnenmacher miteinander verbunden. Auch für diejenigen, die mit Nonnenmacher und seinen theoretischen Beiträgen zur politischen Bildung vertraut sind, dürfte dieses Buch zusätzliche Erkenntnisse bieten. Von seiner Erfahrung als Lehrer (mehr als ein Drittel seines beruflichen Lebens), seiner Zeit in Verbindung mit dem außerschulischen Bildungsort Haus am Maiberg, seinen wissenschaftlichen Beiträgen bis hin zu seinem Aktivismus im Zusammenhang mit der Anerkennung der „Asozialen und Berufsverbrecher“ als Opfer des Nationalsozialismus, gewinnen wir ein intimeres Verständnis für den Menschen, die Theorie und das Feld selbst.
Die Beiträge sind in drei Abschnitte gegliedert, die zunächst die biografische Geschichte Nonnenmachers vor dem Hintergrund des historischen Kontextes behandeln. Im zweiten Teil nehmen die Autor*innen Nonnenmachers wissenschaftliches Werk genauer unter die Lupe, wobei das Theorie-Praxis-Verhältnis, der Subjektbegriff, die kritische Konfliktorientierung und Mündigkeit sowie die politische Aktion in der politischen Bildung im Mittelpunkt stehen. Im dritten Abschnitt untersuchen drei Autoren die praktischen Implikationen von Nonnenmachers Beiträgen.
Die Beiträge stammen von einem breiten Spektrum von Autor*innen, die mit verschiedenen Elementen und Lebensphasen Nonnenmachers vertraut sind, darunter die Pädagogin und Ehefrau Nonnenmachers Eva Fischer, der langjährige Kollege und Direktor des Haus am Maiberg Benedikt Widmaier und der Wissenschaftler und ehemalige Schüler Nonnenmachers Alexander Wohnig.
Obwohl Nonnenmachers Arbeit und das Buch selbst sich in erster Linie auf die schulische politische Bildung konzentrieren, wird die Rolle der außerschulischen politischen Bildung nicht vernachlässigt, was sich in einer ausführlichen Beschreibung des schulisch-außerschulischen Kooperationsprojekts „Politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung“ und zahlreichen Verweisen auf Nonnenmachers (und anderer) Überzeugung zeigt, dass außerschulische Einrichtungen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser komplexen Herausforderungen spielen. Die Frage nach der Rolle des politischen Engagements in der politischen Bildung kann und sollte sicherlich ein größerer Teil der Diskussionen über schulische und außerschulische Partnerschaften in der Zukunft sein.
Bei der Lektüre dieses Buches erhält man wichtige Hintergrundinformationen über den theoretischen Diskurs, der hinter den zentralen Fragen des Feldes der politischen Bildung steht – diese sind jedoch keine Abstraktionen, sondern von hoher Relevanz für die Praxis der politischen Bildung heute. Dies spiegelt Nonnenmachers Auffassung vom Theorie-Praxis-Verhältnis wider, nämlich, dass Theorieentwicklung „in ihrem Erkenntnisinteresse und damit in ihren Fragestellungen von Anfang an auf die Praxis politischer Lernprozesse bezogen sein sollte“ (S. 73). Dies zeigt sich u. a. an Nonnenmachers didaktischem Konzept, seinem „Planungsmodell des Politischen Unterrichts“, das hier gut beschrieben wird.
Dieses Buch wirft viele Fragen auf und regt zum Nachdenken über das Verhältnis von politischer Bildung und politischem Engagement an. Obwohl diese Debatten seit Jahrzehnten andauern, wie die zusammenfassende Tabelle auf den Seiten 154–155 mit Positionen prominenter Akteure des Feldes seit den 70er-Jahren zeigt, fühlen sich diese Fragen im heutigen Klima besonders relevant an. Denn der politische Druck steigt, auch durch die Betonung eines vermeintlich im Beutelsbacher Konsens festgeschrieben Neutralitätsgebotes durch die AfD. Dies ist ein anschauliches Beispiel dafür, warum nach Nonnenmachers Beschäftigung mit der Thematik eine erneute Untersuchung der „Wirkung (nicht unbedingt der Texte) des Beutelsbacher Konsenses“ (S. 7) unerlässlich ist. Dieses Buch trägt zu dieser Re-Analyse bei. Auch der Hintergrund jugendlicher sozialer Bewegungen und der zunehmende Fokus der Politik auf „Active Citizenship“ ist relevant für Nonnenmachers Verständnis dessen, was politische Bildung leisten soll und wie sie geleistet werden sollte.
Dieses Buch ist jedem zu empfehlen, der sich für ein vertieftes Verständnis von Nonnenmacher – dem Menschen, dem Werk und der Wirkung – und der Theorie und Praxis einer „konfliktorientierten und engagierten sowie positionsbezogenen Didaktik“ (S. 9) der politischen Bildung interessiert.