Außerschulische Bildung 4/2020

Andreas Kost/Peter Massing/Marion Reiser (Hrsg.): Handbuch Demokratie

Frankfurt am Main 2020
Wochenschau Verlag, 368 Seiten
 von Klaus Waldmann

Die Demokratie ist seit einigen Jahren massiv unter Druck geraten. Demokratiefeindliche und rechts-populistische Kräfte nutzen aktuelle Krisen, um danach zu streben, zentrale Grundlagen der Demokratie wie Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit einzuschränken. Gleichzeitig gibt es eine breite Debatte um die Krise der Demokratie, die sich auf Konzepte der Post-Demokratie, der simulativen Demokratie bezieht, zunehmende Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie konstatiert und konstatiert, dass untere sozialen Schichten von demokratischer Teilhabe exkludiert sind oder sich exkludiert haben.

In diesen Kontext ist das ambitionierte Projekt eines Handbuchs Demokratie einzuordnen. Die Beiträge folgen einem systematischen Konzept, das von der Ideengeschichte, über Kernbegriffe der Demokratie, den Typen moderner Demokratien, dem Demokratiemodell in Deutschland, Fragen der Europäisierung der Demokratie, nach der Zukunft der Demokratie bis hin zur Relevanz von Politikdidaktik und politischer Bildung für demokratische Gesellschaften reicht. Die Publikation enthält ein umfangreiches, gemeinsames Literaturverzeichnis und ein die vielfältigen Aspekte der Demokratiedebatte erschließendes Sachregister, was für die Nutzung des Bandes in der politischen Bildung, aber auch in alltäglichen Debatten äußerst hilfreich ist.

Demokratie wird als dynamisches System gezeigt, das aufmerksame Sorge benötigt, da sie wohl nie ihren perfekten Zustand erreicht, sondern aufgrund gesellschaftlicher, technologischer und kultureller Veränderungen immer weiterentwickelt werden muss. Eine kritische Debatte, Kontroversen über politische Fragen sind das Lebenselixier einer vitalen Demokratie, es bedarf einer kontinuierlichen diskursiven Auseinandersetzung um Grundlagen, Gestaltung und Teilhabe in der Demokratie. Sie ist also keine fixierte Herrschaftsform, sondern bleibender Auftrag (S. 57).

Im Anschluss an die Einleitung gibt Bernd Ladwig einen pointierten und informativen Überblick über die Geschichte der Idee der Demokratie von der Versammlung in der Antike auf der Agora über Ansätze der Gewaltenteilung bis hin zu repräsentativen Modellen in den Flächenstaaten moderner Gesellschaften. Als Kernelemente einer Demokratie bestimmt Franziska Martinsen eine Verfassung, die Garantie von Grundrechten und die Entscheidungsfindung in kollektiven Prozeduren (Wahlen, Abstimmungen) und lässt die Frage nach den Subjekten in der Demokratie aufscheinen.

Frank Decker befasst sich mit demokratischen und nicht-demokratischen Regierungsformen. Er differenziert zwischen liberalen Demokratien, hybriden quasi autoritären Regimen und totalitären Systemen bevor er in einem weiteren Beitrag auf die Unterschiede zwischen parlamentarischen, präsidentiellen und semipräsidentiellen Regierungsformen eingeht. Andreas Kost analysiert die Konzepte der direkten und repräsentativen Demokratie und vertritt die These, dass in modernen, komplexen Gesellschaften die unterschiedlichen Elemente direkter Demokratie das System der repräsentativen Demokratie nur ergänzen könnten, Parlamentarier würden in allgemeinen und freien Wahlen gewählt. Für die Prozesse der Entscheidungsfindung und der Konfliktregelung in Demokratien interessiert sich Marcel Solar. Er untersucht Modelle der Konsens- und der Mehrheitsdemokratie und damit auch, wie Macht in Demokratien ausbalanciert wird. Nach dem reinen Mehrheitsprinzip würde sich die Mehrheit immer durchsetzen in Konsensdemokratien würden verschiedene Akteure und Ebenen – z. B. in föderativen Systemen – in die Entscheidungsfindung einbezogen. Auf diese Weise würde Macht in Demokratien ausbalanciert, jedoch bekämen auch sogenannte Vetoplayer Gewicht.

Das Demokratiemodell der Bundesrepublik Deutschland wird im umfangreichsten Kapitel in mehreren Beiträgen differenziert dargestellt. Es geht um historische Grundlagen, die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes werden interpretiert, das Institutionengefüge im Regierungssystem erläutert, die Relevanz der kommunalen und regionalen Ebene herausgearbeitet. Aufgezeigt wird die Bedeutung intermediärer Organisationen und sozialer Bewegungen für die Demokratie, aspektreich wird geschildert, wie die Demokratie in einer Einwanderungsgesellschaft und durch die europäische Einigung herausgefordert wird. Das Kapitel Zukunft der Demokratie widmet sich der Debatte um die Postdemokratie, der Veränderung demokratischer Öffentlichkeit durch Social Media und empirischen Befunden zur Krisendebatte der Demokratie.

Zum Abschluss des Bandes greift Peter Massing die Frage nach der Rolle der Bürgerin und des Bürgers auf und argumentiert, dass die Demokratie politische Bildung braucht. Nach einem knappen Durchgang durch zentrale Debatten der politischen Bildung seit den 1950er Jahren, plädiert er für eine Hinwendung zur politischen Realität und zu einem komplexen Demokratiemodell als Bezugssystem. Erst auf dieser Grundlage könne sich eine notwendige Systemkritik entwickeln, die eine Weiterentwicklung der Demokratie befördere.

Das Handbuch ist ein gewichtiges Werk zum Verstehen der modernen liberalen Demokratie in ihrer Komplexität und ihrem Anspruch einer gleichen Beteiligung aller. Es bietet eine facettenreiche, kundige und instruktive Darstellung der vielfältigen Formen demokratischer Systeme und eröffnet eine Vielzahl an Perspektiven auf Grundlagen, Funktionsweisen und Herausforderungen der Demokratie. Für alle, die sich in politischer Bildung und Demokratiebildung engagieren und in den Debatten um Demokratie informiert Position beziehen wollen, ist es ein sehr empfehlenswerter Beitrag für die Auseinandersetzung mit Populismus, mit Ideen der illiberalen Demokratie und autokratischen Systemen.