Außerschulische Bildung 4/2020

Anja Hirsch: Gemeinwohlorientiert und innovativ?

Die Förderung politischer Jugendbildung durch unternehmensnahe Stiftungen

Die zentrale These von Anja Hirsch in der hier vorliegenden Dissertation lautet: Die unternehmensnahen Stiftungen in Deutschland tragen mit ihrem Bildungsprogramm für benachteiligte Jugendlichen zur Aufrechterhaltung bestehender Herrschaftsverhältnisse bei. Die Autorin hinterfragt die angeblich neutrale Rolle, wie z. B. die der Bertelsmann-Stiftung, bei der Förderung sogenannter sozial benachteiligter Jugendlicher mit dem Anspruch soziale Ungleichheiten abzubauen.

Dabei geht Hirsch von einem entgrenzten Politikbegriff aus, der nicht nur die Alltagsverhältnisse der Jugendlichen thematisiert, sondern auch die Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse selbst, in denen sie leben.

In den theoretischen Grundlagen ihrer Arbeit greift die Autorin im Wesentlichen auf das Theoriegebäude des „Neomarxisten“ Antonio Gramsci zurück. So fragt dessen Hegemonietheorie danach, wie die Zustimmung der unterworfenen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder neu hergestellt wird. Dabei geht es Hirsch in Anlehnung an Gramsci darum, wie die Herrschenden ihre Vormachtstellung sichern und fortsetzen. Dies muss nicht nur durch Zwang und Gewalt geschehen, sondern durch ein System von Institutionen und Alltagspraxen.

In diesem Zusammenhang verweist Hirsch auf das integrale Staatsverständnis Gramscis, das den Staat, die politische Gesellschaft und die Zivilgesellschaft als eins betrachtet, ganz im Gegensatz zum liberalen Staatsverständnis, das den Staat als neutral ansieht, der letztlich dem Allgemeinwohl verpflichtet ist. Hier hält die Autorin fest, dass sie die unternehmensnahen Stiftungen als Teil des erweiterten Staates versteht. Nach Hirsch sind diese Stiftungen als zivilgesellschaftliche Akteure nicht neutral, sondern verfolgen ihre eigenen Interessen und können nicht per se als gemeinwohlorientiert angesehen werden.