Außerschulische Bildung 1/2022

Anke Grotlüschen/Henning Pätzold: Lerntheorien

in der Erwachsenen- und Weiterbildung

Die Lektüre des 142-seitigen Bandes kann für Praktiker*innen in der Erwachsenenbildung, die sich aufgrund aktueller Herausforderungen wieder einmal Gedanken über das Lernen an sich machen möchten, sehr anregend sein, auch wenn das Buch offensichtlich primär für Studierende geschrieben wurde. Dank der gut strukturierten und kompakten Kapitel wird in kürzester Zeit ein guter Überblick über zentrale Lerntheorien erlangt, sodass altes (manchmal verschüttetes) Wissen aufgefrischt und um neue Perspektiven erweitert werden kann. Für vertiefende Studien gibt es stets Tipps zum Weiterlesen. Die Angabe von Lernzielen pro Kapitel, aufgeführte „Merksätze“ und „Fragen & Aufgaben“ (mit Lösungsteil hinten) können ausgeblendet – oder in Erinnerung an alte Zeiten neugierig gelesen, hinterfragt oder gelöst werden.

Jede vorgestellte Theorie hat ihre je eigene Blickrichtung auf diverse Fragestellungen, die sich in der Bildungspraxis stellen: Initiieren wir Lernprozesse, damit sich die Person an die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse anpasst oder sollen diese kritisch hinterfragt werden? Welche Gründe haben Erwachsene für Lernen oder Nichtlernen? Wie läuft Lernen ab und was heißt dies für die konkrete Lehr-Lern-Situation? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Lernen und Gefühlen? Wie entwickeln sich kollektive und individuelle Interessen? Wie lässt sich Lernen als biografischer Prozess verorten? Wie kann der Mensch als soziales Wesen in Lerntheorien beschrieben werden? Welche Rolle kommt dem Lernkontext Arbeitswelt zu, gerade im Hinblick auf die Digitalisierung und organisationalem Lernen?

Der dreiseitige Einblick in die 12 Kapitel macht es möglich, sich gezielt mit ausgewählten Themen des Lernens und Lehrens zu befassen. Gerade in der (Post-)Coronazeit kann der Blick von Praktiker*innen in die Theoriewelt und der Austausch mit Kolleg*innen neue Impulse geben, um Antworten auf die drängende Frage zu finden: Wird das, was und wie wir es in der politischen Bildungsarbeit tun, den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht?

Zwei Kapitel möchte ich in diesem Kontext hervorheben: Kapitel 6 „Subjekt, Leib, Widerfahrnis und Vulnerabilität“ beginnt mit Fragestellungen zu coronabedingten Umstellungen, die unsere Gesellschaft sicherlich noch lange beschäftigen werden. Leider unterlässt das Autor*innen-Team die Beantwortung der selbst gestellten Fragen, stellt aber jene Theorien kurz dar, die zentrale Problematiken in den Fokus rücken. Ebenso in Kapitel 8: „Transformation: Lernen, Bildung, gesellschaftliche Entwicklung“, dem aus Sicht der Rezensentin größte Bedeutung zukommt: Transformatives Lernen, transformatorische Bildung und Transformation als Mittel und Zweck der Bildung für Nachhaltige Entwicklung widmen sich Lernprozessen, aus denen die ganze Person grundlegend verändert hervorgeht. Und genau hier sollte der Diskurs unter Praktiker*innen ansetzen: Wie müssen Lern- und Bildungsaktivitäten gestaltet sein, um bei Erwachsenen, Organisationen und ganzen Gesellschaften Lernprozesse anzustoßen, damit ökologische und soziale Krisen bewältigt werden können? Diese fundamentale Frage stellt sich allen Praktiker*innen der Erwachsenenbildung und sollte dringend im gemeinsamen Theorie-Praxis-Diskurs reflektiert und weiterentwickelt werden. Das Buch macht neugierig und animiert zum Weiterdenken.