Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit
J.H.W. Dietz Nachf., 256 Seiten
„Die Wahl Donald Trumps illustriert gleich in mehrfacher Hinsicht, worum es in diesem Buch geht.“ (S. 13) Mit diesem Hinweis beginnt die Studie des niederländischen Politikwissenschaftlers Cas Mudde, der einen allgemeinverständlichen Überblick über die „vierte Welle“ der äußersten Rechten nach dem Zweiten Weltkrieg geben will. Die ersten beiden Wellen verortet Mudde in der unmittelbaren und mittelbaren Nachkriegszeit, die dritte – im Blick auf die deutschen Verhältnisse schief, da das Schlüsseljahr 1990 ignorierend – im Zeitraum 1980 bis 2000. Seitdem gebe es die vierte: „Die äußerste Rechte und insbesondere der radikale Rechtspopulismus erreichten den Mainstream“ und werden mittlerweile „zur Normalität“ (S. 13). Die Beispiele USA, Brasilien, aber auch die bekannten europäischen Fälle (RN, FPÖ, AfD …) oder Indien, das mit der BJP die weltweit größte rechtspopulistische Partei stellt, belegen diese Diagnose.
Doch schon mit den begrifflichen Festlegungen beginnen die theoretischen Schwierigkeiten. Unter „Rechtsaußen“ bzw. der „äußersten Rechten“ versteht der Autor diejenigen Richtungen, die sich „gegen das System“ wenden. Den Gegenpol dieses Rechtstrends identifiziert er in der „liberalen Demokratie“, die von Extremisten (d. h. Neofaschisten) prinzipiell und von Radikalen, wozu auch Populisten zählen, nur bedingt in Frage gestellt werde. „Während sich die extreme Rechte als revolutionär versteht, ist die radikale Rechte eher reformistisch.“ (S. 20) Ein Radikalismus, der „eher“ den Weg der Reformen beschreitet, statt an die Wurzel des Übels zu gehen, ist natürlich ein paradoxes Gebilde. Was aber schwerer wiegt, ist Muddes Mitteilung, dass der Liberalismus, der heute besonders in seiner Neo-Variante bekannt ist, selber rechts steht, nämlich zum „rechten Mainstream“ gehört (S. 20).
Also ist die Entgegensetzung von liberaler Demokratie und äußerster Rechte, auf der das ganze Buch basiert, gar nicht schlüssig. Dies hat ja auch andere Sozialwissenschaftler wie Colin Crouch oder Christoph Butterwegge dazu bewogen, die (neo-)liberale Marktgläubigkeit der Politik selber als Quelle antidemokratischer Tendenzen ins Visier zu nehmen. Dass in bester liberaler Tradition die Hegemonie des Marktes hochgehalten wird, habe zum Zustand einer „Postdemokratie“ (Crouch) geführt, in der demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, der Ausbau eines sozialen Staates und öffentlicher Daseinsvorsorge als störend angesehen werden. Störend nämlich für die Durchsetzung der eigenen Nation in der globalen Standortkonkurrenz, wobei sich das liberale Plädoyer für die Freiheit des Kapitals organisch mit einem – auch zur Militanz bereiten – „Standortnationalismus“ (Butterwegge) verbindet. Aber auch im Inneren zeigt sich demzufolge das gewaltträchtige liberale Potenzial, etwa in der Glorifizierung der Konkurrenz, in der sich der Starke gegenüber dem Schwachen durchsetzen soll – laut Butterwegge eine eindeutige Gemeinsamkeit mit dem Rechtsextremismus.
Was Muddes Buch liefert, ist eine Art Institutionenkunde des Rechtstrends in internationaler Perspektive. Sie beginnt im ersten Kapitel mit einem historischen Abriss, listet im zweiten ideologische Kernelemente auf (Rassismus, Ethnopluralismus etc.), im dritten Organisationsstrukturen, im vierten das Personal in Führung wie Gefolgschaft und im fünften die Hauptformen der Mobilisierung. Die nächsten drei Kapitel gehen im politischen Kontext „westlicher“ Demokratien auf Ursachenforschung und die Reaktionen der etablierten Parteien ein. Das neunte Kapitel trägt das Gender-Thema nach, ausgehend von der Feststellung, dass „Männer in der äußersten Rechten unbestritten beherrschend“ (S. 187) sind. Das zehnte Kapitel schließt dann das Buch mit zwölf Thesen zu den neuen Entwicklungen der vierten Welle und zu Lösungsstrategien ab.
Der breit angelegte Blickwinkel mag seine Vorzüge haben, weil er einzelne nationale Vorgänge besser einordnen und auf ihre Relevanz überprüfen lässt. Er führt hier aber oft zu einem unübersichtlichen Bild. Bei der Genderfrage muss der Autor z. B. gleich konzedieren, dass die zitierte apodiktische Feststellung nicht zutrifft, denn die männliche Dominanz ist nicht für alle Länder typisch (siehe Frankreich oder die skandinavischen Parteien). Zu den staatlichen Reaktionen (im achten Kapitel) heißt es eingangs: „Die Staaten dieser Welt gehen mit äußerst rechten und generell extremen Gruppierungen sehr unterschiedlich um.“ (S. 165) Regelrecht verwirrend wird es bei der „Rolle der Religion“ (S. 61 ff.). Hier soll es im Grunde alles geben, religiöse, nichtreligiöse und antireligiöse Standpunkte; die Auflistung der national verschiedenen Ausprägungen führt da zu einem Sammelsurium von Phänomenen, mit dem man analytisch kaum noch etwas in der Hand hat.
Die Crux des Buches besteht aber in der – von der Extremismustheorie übernommenen – Dichotomie, die den Rechtstrend als kategorische Gegenbewegung zur liberalen Moderne identifiziert. In der letzten These heißt es: „Die Stärkung der liberalen Demokratie schwächt grundsätzlich die äußerste Rechte.“ (S. 225) Der Autor hält also gar nicht die Eigenart des hochgeschätzten liberalen Gegenpols fest, obwohl die Analysen des Buchs einiges zu seiner Infragestellung liefern – vor allem im Blick darauf, dass radikale rechte Positionen heute im Mainstream, damit auch im Liberalismus, ihre Heimat gefunden haben. Was früher an den rechten Rand gedrängt war, gilt ja „in der vierten Welle plötzlich als Common Sense“ (S. 211). Das hindert Mudde aber nicht, sein Buch mit einem Loblied auf die „liberale Demokratie“ abzuschließen; diese sei „das beste politische System, das es derzeit gibt“ – und das zudem „alle Unzufriedenen schützt“ (S. 226). Dass es alle Unzufriedenen schützt, mag ungelenk formuliert sein, ist aber insofern eine korrekte Feststellung, als der Liberalismus ja in der Tat die sozialen Gegensätze der herrschenden Konkurrenzordnung nicht auflöst, sondern solange als deren Schutzmacht auftritt, bis die Beaufsichtigung der Klassenverhältnisse einer radikaleren Variante weichen muss.