Eine Analyse mit Denk- und Stilmitteln Nietzsches
2021 startete Beltz-Juventa die neue Reihe „Bildung nach Auschwitz“ mit Christian Niemeyers „Schwarzbuch Neue/Alte Rechte“, in dem sich der Autor, wie es in einer Polis-Rezension (Nr. 4/2021) hieß, „als profunder Kenner alt- und neurechter Ideologien (erwies), auch wenn seine Fülle an Material und Gedankenblitzen oft die Grenze der Lesbarkeit streift“. Die Lektüre der ersten wie der jetzt vorgelegten zweiten Publikation wird auch dadurch erschwert, dass Niemeyer im Anschluss an Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“ das Lachen als Hilfsmittel, wenn nicht sogar als Leitlinie seiner Analyse bemüht. Denn es wirke, so die gewagte These der Ankündigung, „geradezu Wunder bei der Vermittlung knallharter Fakten“.
Das Schwarzbuch liefert eine instruktive, umfangreiche Faktensammlung, die jetzt mit dem Nachfolgeband komplettiert wird. Der besteht aus einer Mixtur erläuternder Nachträge sowie neuformulierter früherer Netzveröffentlichungen, wobei auch in satirischer Weise Gegner oder Abseitiges (z. B. die Entlarvung des Rassisten Karl May) aufs Korn genommen werden. Wirklich umfassend ist die Sammlung allerdings nicht. So weist sie Leerstellen hinsichtlich italienischer oder ukrainischer Neofaschisten im Regierungsamt bzw. Sicherheitsapparat auf. Die europäischen Verbindungslinien – etwa zu PiS oder Fidesz – kommen, bis auf einen Halbsatz (S. 306), nicht vor. Und auch der zentrale Punkt des rechten Feindbilds, der „Kulturmarxismus“, wird nur gestreift (S. 308). Dagegen gibt es Mutmaßungen zu Trumps Wahlchancen, obwohl im Fall USA gerade zu berücksichtigen wäre, dass die dortige Rechte sich durch ihren Konkurrenzradikalismus vom europäischen Populismus unterscheidet.
Der Kontext der (politischen) Bildung wird auch im neuen Band kaum thematisiert. Stattdessen versichert die Ankündigung, in diesem Buch „eines führenden Nietzscheforschers“ seien „die geistigen Stichwortgeber der AfD … erstmals Thema“. Dabei liegen zur Aufarbeitung der einschlägigen Traditionslinien bereits zahlreiche Publikationen vor, etwa die Studien zur Neuen Rechten von Helmut Kellershohn. Und zum AfD-Think Tank Desiderius-Erasmus und dessen versuchter „Renovierung“ der Bildungsarbeit hat die Außerschulische Bildung bereits vor Jahren einschlägige Analysen veröffentlicht (vgl. Ausgabe 2/2017 oder 3/2019), während Niemeyer das ausblendet.
Eindeutig und faktenreich belegt ist der zentrale Befund: Der rechte Rand ist mit der Mitte verwoben; der Extremismusbegriff, den der Autor fast durchgängig vermeidet, trägt zur Erklärung nichts bei. Niemeyer resümiert: Die „Neue Rechte“ – also die mit einem theoretischen Überbau auftretende und verschiedene Bewegungen inspirierende Szene – „ist, was Deutschland und Österreich angeht, völkische Bewegung wie die ‚Alte Rechte‘, belehrt, nach 1945, zumeist jedenfalls, um die Einsicht, dass der II. Weltkrieg nicht hätte sein dürfen und die Shoah und die Euthanasie genauso wenig“ (S. 16). Geschichtspolitik, speziell die Bezugnahme auf die Nazi-Gräuel, ist demnach ein Hauptthema der Neuen Rechten und damit der AfD.