Außerschulische Bildung 4/2022

Christine Trültzsch-Wijnen/Gerhard Brandhofer (Hrsg.): Bildung und Digitalisierung

Auf der Suche nach Kompetenzen und Performanzen

„Das immer Gleiche?“ Als Antwort auf die Frage erklärt der Sammelband den Anspruch, das Thema Bildung und Digitalisierung „multiperspektivisch zu betrachten und wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit konkreten Beispielen und Berichten aus der medienpädagogischen Praxis zu verbinden.“ Eine verbindende Klammer der unterschiedlichen Beiträge ist der Fokus auf Performanz. Hier gehe ich auf die Beiträge ein, denen dies besonders gelingt. Angesichts der aktuellen Entwicklungen der digitalen Transformation sind dies besonders solche, die sich weniger zur Selbstvergewisserung auf die Traditionsbestände deutscher Medienpädagogik stützen, oder die, die ins Apologetische verfallen, sondern die, die uns durch eigene Forschung und vor allem Empirie zu neuen Erkenntnissen oder Fragestellungen verhelfen.

Eine wichtige Fragestellung in Gesellschaft und Forschung ist aktuell, was eigentlich digitale Kompetenzen in einer Zeit ubiquitären Rechnens, der (globalen) Plattformisierung und der Datafizierung des gesellschaftlichen Lebens sind. Der europäische DigComp Kompetenzrahmen wurde in diesem Sinne 2021/2022 überarbeitet und wird Impulse in nationale Rahmen und Kompetenzvorstellungen tragen. Christian Wiesner und Claudia Schreier schlagen das Konzept des „Computational Thinking“ vor. Wie andere auch, haben sie mit den Herausforderungen von sich transversal und holistisch verstehenden Kompetenzrahmen zu kämpfen: ihre Abgrenzung und ihr Verhältnis zu anderen Rahmen mit ähnlichem Anspruch. Auch tendieren digitale Kompetenzrahmen dazu, (demokratische) Haltungen und Werte wenig zu berücksichtigen, oder die Befähigung der Lernenden, die politisch-(digital)wirtschaftlichen Strukturgebungen der Digitalisierung und des Computings zu reflektieren, zu vernachlässigen. Der informative Beitrag von Gerhard Brandhofer, Marlene Miglbauer, Walter Fikisz, Elke Höfler und Fraes Kayali beschäftigt sich mit dem österreichischen Kompetenzraster digi.kompP für Pädagog*innen. Digital mediatisierte Lernprozesse fordern immer häufiger vom Bildungspersonal, digital kompetente Entscheidungen über Digitalität zu treffen.

Nina Grünberger plädiert dafür, dass das globale Meta-Thema Klimaschutz ernsthaft aufgegriffen wird. Das könnte man auch für die Digitalisierung selbst als gesellschaftliche Meta-Entwicklung fordern. So liegt die Frage des „wie“ auf der Hand: Mehr Umweltbildung beziehungsweise BNE in der Pädagogik des Digitalen? Oder mehr Umweltpädagogik, die das Digitale besser integriert? Sind ggf. neue Rahmenmodelle wie der europäische GreenComp Teil der Lösung?

Christine Trültzsch-Wijnens Arbeit zu „Medienhandeln Habitus und digitale Kompetenzen“ ist eine überzeugende und um Klarheit bemühte Übertragung des Habitus-Konzepts auf Medienkompetenz (Summe von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen) und -performanz (tatsächliches Medienhandeln). „Medienbezogenen Handlungspraxen einschließlich des medienbezogenen Geschmacks wird in Prozessen sozialer Distinktion ein unterschiedlicher ‚Marktwert‘ beigemessen, welcher in verschiedenen sozialen Feldern variiert.“ (S. 90) Auf der Grundlage empirischer Forschung (10 bis 30-Jährige) wurden „Medienhandlungstypen“ entwickelt. Eine befähigende Pädagogik findet hier Hinweise: „Als Ergebnis (…) kristallisierten sich die psychische und körperliche Reife sowie damit verbundene Entwicklungsaufgaben, alltägliche Bedürfnisse und Herausforderungen der Lebenswelt, der mediale Habitus der Familie und die Vermittlung von kulturellem Kapital durch Medienerziehung sowie die kulturelle Passung und die soziale Distinktion heraus.“ (S. 85) Der Beitrag kann eine alltagsnahe medienpädagogische Reflexion entlang dieser Typen in Fachkräfteausbildungen und in der konkreten medienpädagogischen Arbeit bereichern.