Außerschulische Bildung 1/2020

COMPA/maiz/das kollektiv/Entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung (Hrsg.): Pädagogik im globalen postkolonialen Raum

Bildungspotenziale von Dekolonisierung und Emanzipation

Der Sammelband beschäftigt sich aus der Perspektive von selbstorganisierten Gruppen mit widerständigen Bildungspraxen, die sich aus kritisch-emanzipatorischer Perspektive gegen Ungleichverteilung und Ungerechtigkeiten stellen. Es werden einerseits praktische Beispiele vorgestellt, historische Bezüge hergestellt sowie theoretische Perspektiven diskutiert. Ausgangspunkt ist, im Sinne einer dekolonialisierenden Perspektive, gegenhegemoniale politische Konzepte und Praxen zu entwerfen, die sich entgegen kolonialer Macht- und Herrschaftsstrukturen positionieren.

Der erste Teil „Widerständige Praxen“ thematisiert Beispiele aus verschiedenen pädagogischen Settings in Bolivien, Brasilien, Österreich und Deutschland. Beispielsweise setzten sich Gandouz-Touati und Arapi in dem Beitrag über den Mädchentreff Bielefeld mit der Bedeutung rassismuskritischer Mädchenarbeit auseinander. Es werden geschützte Räume als Empowermentangebote für Mädchen of color angeboten und durch Mitarbeiter*innen of color auf der Ebene der Repräsentation, Machtstrukturen innerhalb der Mädchenarbeit reflektiert. Das Projekt „Transcidadania“ behandelt die Rechte von Transbürger*innen in Brasilien. Garcia u. a. beschreiben, dass Fragen zu Gender und Lebenslagen von LGBTI* in Brasilien unsichtbar gemacht werden und kein Austausch darüber ermöglicht wird. In einem alternativen Bildungsgebot schreiben sie über die Anerkennung der Transbürger*innen und ihre Teilhabe an Bildungsprozessen. So hatte das Bildungskonzept politischen Einfluss auf eine heteronormative Perspektive: „Wenn wir darüber nachdenken, welche Erfahrungen das Programm hervorgebracht hat, dann sind es eigentlich viele kleine Maßnahmen, die ins Bildungssystem einsickern und damit einen freien, nicht normativen Unterricht hervorbringen können.“ (S. 115) Diese Beispiele verdeutlichen die grenzüberschreitende pädagogische Perspektive, die Dekolonialisierung und die Verinnerlichung von Herrschafts- und Machtstrukturen zu Ausgangspunkten ihrer Bildungsverständnisse macht.

Im zweiten Teil „Historische Bezüge“ werden widerständige Praxen, die sich dekolonisierend zeigen, in früheren sozialen Bewegungen dargestellt. Dabei geht es um Kollektivierungs- und Empowermentprojekte von verschiedenen Menschen, deren Perspektive oftmals unsichtbar geblieben ist und die um Sichtbarkeit und Akzeptanz kämpfen mussten. Hier entsteht eine Gegenöffentlichkeit, die marginalisierten Perspektiven in den Bildungsansätzen einen Raum gibt. So handelt es sich beispielsweise um die Perspektive der brasilianischen Educação Popular (da Gloria Marcondes Gohn), die Sichtbarkeit antiziganistischer Diskriminierungen (Bollmeyer), die Perspektive eines Herero-Aktivisten (Kaunatjike/Melter) und die unsichtbar gemachten Perspektiven in der Flüchtlingsarbeit (Schulz-Kaempf/Melter). Beispielhaft berichtet der Herero-Aktivist Israel Kaunatjike über die Wichtigkeit, mit Schüler*innen und Student*innen über Kolonialismus und den Völkermord an den Hereros zu sprechen, weil diese Perspektive nicht im Bildungskontexten aufgegriffen wird. Im Weiteren wird die Etablierung der „Ayllu-Schule“ in Bolivien als eine bedeutende Bildungserfahrung und wichtiger politischer Kampf für indigene Bildung und die bolivianische Gesellschaft gesehen (Vera). Die Schule hatte durch ihr umfassendes Bildungskonzept, welches Bildung als „Prozess der Befreiung, sich auf Gemeindeebene zu organisieren, die kulturelle Identität auszuwerten“ (S. 242) sah, eine enorme Bedeutung für die Menschen und die Demokratisierung des gesamten lateinamerikanischen Kontinents hervorgebracht. Insgesamt thematisieren die historischen Bezüge der dargestellten sozialen Bewegungen die Verwobenheit mit aktuellen widerständigen Praxen.

Im letzten Teil „Theoretische Annäherungen“ werden wichtige theoretische Bezüge für eine dekoloniale Pädagogik ausgewählt, die alternative theoretische Wissensbezüge herstellen. So konkretisiert maiz in ihrer „Universität der Ignorant*innen“: „Unsere Intention ist, Impulse für Verschiebungen zu setzen, Veränderung herbeizuführen und dabei auch uns selbst in Frage zu stellen. Wir wollen Fragen verwerfen und entwerfen, Fragen, die Brüche und Irritationen erzeugen, die Paradoxien, Antagonismen und die Notwendigkeit zum Perspektivwechsel sichtbar machen.“ (S. 320) Diese Aussage verdeutlicht, welche Bedeutung alternative Konzepte haben, die andere Perspektiven einnehmen und kolonialisierenden Blickwinkeln entgegenstehen.