Außerschulische Bildung 4/2023

Daniel Mullis/Judith Miggelbrink (Hrsg.): Lokal extrem Rechts

Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen

Zahlreiche Studien berichten von der Radikalisierung antidemokratischer Milieus und zeigen, dass Versatzstücke rechtsextremer Einstellungen die Gesellschaft als Ganzes durchdringen. Prozesse gesellschaftlicher Liberalisierung werden zurückgedrängt und autoritäre Versuchungen sind populär.

Gemeinsames Anliegen der Beiträge dieses Bandes ist, „rechtsextreme Strukturen und deren gesellschaftliche Erfolgsbedingungen offenzulegen“ (S. 8). Ausgehend von der These, „dass das Lokale für die Praxis der extremen Rechten“ (S. 9) besonders relevant ist, wird in zwölf Studien untersucht, wie in unterschiedlichen lokalen Kontexten rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure anstreben (und erfolgreich sind), sich in ländlichen und städtischen Strukturen zu etablieren, auf Hegemonie zielen, aber auch wie Gegenstrategien aussehen und wer Träger*innen des Widerstands sind. Da in Konzepten der politischen Bildung die Begriffe von Lebenswelt, des Raumes oder auch der Ansatz einer aufsuchenden Arbeit gegenwärtig in den Diskursen von orientierender Bedeutung sind, ist es äußerst anregend, sich mit diesem aus humangeographischer Perspektive zusammengestellten Band intensiver zu beschäftigen.

Den Fallstudien vorangestellt ist ein Beitrag von Miggelbrink/Mullis, der einen theoretischen Rahmen für die Analyse des Lokalen anbietet. Das Lokale wird als Ort der „Verdichtung von Gesellschaft und Herrschaftsverhältnissen“ (S. 10) mit allen Widersprüchen verstanden, der in alltäglichen Interaktionen reproduziert und produziert wird. Es ist ein Ort individueller und emotionaler Aneignungsprozesse, der insbesondere ökonomisch, sozial und politisch produziert und durch gesellschaftliche Dynamiken geprägt ist. Das Lokale ist immer auch ein umstrittener Raum, in dem sich vielfältige Territorialkämpfe abspielen. Miggelbrink/Mullis kritisieren, dass zahlreiche Studien zum Rechtsextremismus den Prozess der politischen Formierung nicht erfassen und schlagen deshalb vor, sich mit Subjektivierungsprozessen in lokalen Räumen zu befassen, die von Normen, Machtbezügen und sozialen Gefügen strukturiert sind. Prozesse der Subjektivierung vollziehen sich demnach in verräumlichten Milieus, durch verkörperte Praxen und im Kontext lokal-vermittelter sozio-ökonomischer Dynamiken. Das Lokale ist für sie der „zentrale Ort gesellschaftlicher Praxis“ (S. 33), dort setzen sich Menschen mit der „Welt“ auseinander.

Die zwölf Fallstudien befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten rechtspopulistischer und rechtsextremer Raumaneignung. Belina rekonstruiert am Beispiel der AfD Provinzialität als Haltung, die durch Apologie des Eigenen und Abwehr des Fremden charakterisiert ist. Freiheit/Sitzer/Heitmeyer vergleichen Bedrohungsstrategien in städtischen Zentren und ländlichen Peripherien. Bescherer reflektiert Strategien rechtspopulistischer Aneignung und Konzepte ihrer Überwindung. Peripherisierung wird von Deppisch als Konzept benutzt, um den Abbau von Versorgungsstrukturen im ländlichen Raum, den Verlust an Lebensqualität und Teilhabe zu untersuchen. Kübler/Schilk/Schwarz interpretieren historisierende Rekonstruktionsprojekte (z. B. Frankfurt, Dresden) als Identitätsfassaden, die hierarchische Gesellschaftsvorstellungen transportieren. Zschocke zeigt die Entwicklungen in einer ehemaligen Großwohnsiedlung von den Baseballschlägerjahren bis zu aktuellen Wahlerfolgen der AfD. Am Beispiel eines Mittelzentrums legen Salheiser/Quent offen, wie im lokalen Kontext dominante Personen zur Normalisierung von Rechtsextremismus beitragen. Dietrich/Schumacher beschreiben, welche Mechanismen außerhalb urbaner Zentren dazu führen, dass sich junge Menschen an die Hegemonie rechtspopulistischer Milieus anpassen. Nach fördernden Bedingungen konkordanzdemokratischer Strukturen für eine rechtspopulistische Kommunalpolitik fragen Domann/Nuissl. Helal kartiert Strategien von radikal rechter Raumaneignung und Altmeyer analysiert das Stickern zur Verbreitung politischer Botschaften und zur Markierung von Territorien. Prozesse temporärer Raumaneignung durch Demonstrationen rechter Gruppen in einem migrantisch geprägten Wohnquartier werden abschließend von Zimmer reflektiert.