Außerschulische Bildung 1/2022

Edwin Hübner/Leonhard Weiss (Hrsg.): Resonanz und Lebensqualität

Weltbeziehungen in Zeiten der Digitalisierung. Pädagogische Perspektiven

Opladen/Berlin/Toronto 2020
Verlag Barbara Budrich, 453 Seiten
 von Norbert Tillmann

Der vorliegende Band nimmt durchgehend Bezug auf die Resonanztheorie von Hartmut Rosa (2016). Die Autor*innen vertiefen dessen Ansatz, führen ihn fort und stellen kritische Anfragen, insbesondere zum Spannungsverhältnis von Resonanz und Autonomie. Sie diskutieren den Zusammenhang von Resonanz und Lebensqualität in pädagogischer Absicht.

Hartmut Rosa führt selbst in diesen Band ein. Er versteht unter Resonanz eine Berührung, eine Beziehung des Subjekts mit der Welt. Resonanz sei keine Echo- sondern eine Antwortbeziehung. Dies sei eine Begegnung mit dem Anderen, die eine Verwandlung der eigenen Identität bewirke. Resonanz sei die Voraussetzung für eine gelungene Lebensführung – für Lebensqualität.

Nach Rosa verändert die Digitalisierung derzeit alle Formen der Weltbeziehungen. Die Resonanz zwischen Eltern und Kindern in der digitalisierten Welt bliebe vielfach stumm. Dennoch sieht er in der Digitalisierung neue Möglichkeiten in anderer Weise mit der Lebenswelt in Resonanz zu treten. Um die Konsequenzen aus diesem Beziehungswandel beurteilen zu können, bedürfe es einer Vorstellung eines guten Lebens – ein Konzept des Gelingens, so Rosa.

In Anlehnung an Hartmut Rosa verdeutlichen die beiden Herausgeber Edwin Hübner und Leonhard Weiss, dass ein Mensch vorwiegend aus seinen Beziehungen verstehbar wird. Die Menschen bedürften Fragen, Antworten und Erlebnisse mit Menschen sowie Beziehungen zu Dingen – sie benötigen Resonanzen. Diese bestimmten das Maß der Lebensqualität. Es gehe darum, die Entwicklung resonanter Weltbeziehungen zu fördern und Möglichkeiten eines gelingenden Lebens aufzuzeigen. Die Herausgeber werfen die Frage auf, welche Resonanzräume institutionalisierte Bildungsangebote jungen Menschen anbieten – dazu später mehr.

Wolfgang Bernhard Nieke will das Resonanzkonzept von Rosa durch einen normativen Sinnzusammenhang ergänzen. Es bedürfe einer Normvorstellung vom guten Leben. Dies sei nur durch das Bewusstsein eines Zusammenhangs des Lebens mit einem übergeordneten Ganzen möglich – durch eine Einordnung der individuellen Existenz in einen übergreifenden Sinnzusammenhang. Ohne einen (normativen) Sinnzusammenhang sei keine Lebensqualität erreichbar. Dies können Religionen, Weltanschauungen und Philosophien sein, so Nieke, als Voraussetzung für Resonanzerfahrungen nach Rosa. Die Lebensqualität als Realisierung eines guten Lebens ist für den Autor eine notwendige Kategorie in der Bildungsarbeit, um pädagogische Ziele zu reflektieren.

Zur gelungenen Lebensgestaltung spielt für Jörg Soetebeer die Kategorie der Souveränität eine entscheidende Rolle. Er kritisiert den Autonomiegriff von Rosa. Dieser betone die Selbstwirksamkeit des Einzelnen, was aber der komplexen Eingebundenheit der Person in die Welt nicht gerecht werde. Soetebeer versteht Selbstwirksamkeit nicht als eine Dimension von Resonanz, sondern als einen Gegenpol – als Erfahrung von Unterschiedlichkeit. Das Subjekt stehe zwischen den Fragen, wo es einerseits resonant mitschwingt und andererseits selbstständig sich selbst sei. Soetebeer verortet den Begriff der Souveränität zwischen Autonomie und Resonanz. Souveränität ist für ihn ein Wechselspiel zwischen der Selbstbehauptung und der Bezüglichkeit zur Welt, zwischen Selbstwirksamkeit und den Verhältnissen in dieser Welt.

Im Zusammenhang mit der Frage nach Autonomie und Selbstbestimmung greifen die Herausgeber den Vorwurf an Rosa auf, dessen Theorie sei antiemanzipatorisch. Das Mitschwingen, das Sich-Berühren-Lassen sei passiv und vernachlässige die Autonomie und Selbstbestimmtheit des Einzelnen. Rosa erkennt dieses Problem, verweist aber auf die aktive Seite von Resonanzerfahrungen im Sinne von Selbstwirksamkeit.

Insgesamt bietet der Band eine Vertiefung und Fortführung des Resonanzkonzeptes von Rosa. Die pädagogischen und entwicklungspsychologischen Theorien gehen allerdings über den Gegenstand der politischen Bildung hinaus. Leider ist der Bezugspunkt überwiegend die Schulpädagogik.

Resonanz und Lebensqualität im aufkommenden digitalen Zeitalter bedeuten nach wie vor, dass politische Bildung Beziehungsarbeit ist, vielfach in Verbindung mit sozialer Arbeit. Der gesamte Band ist letztlich ein Plädoyer für Tagungshäuser mit Übernachtung, Verpflegung, Erlebnissen und der Verbindlichkeit von Kontakten, also personalen Angeboten. Die Frage nach Resonanz und Lebensqualität ist eine Anfrage an die politische Bildung zur Herstellung derselben. Welchen Beitrag leistet die politische Bildung dazu?

Norbert Tillmann ist freiberuflicher Journalist. Er produziert Filmbeiträge und ein Podcast, ist als Referent im Rahmen der außerschulischen, politischen Bildungsarbeit tätig und berät Einrichtungen beim Bildungs- und Qualitätsmanagement.