Außerschulische Bildung 4/2020

Eva Berendsen/Katharina Rhein/Tom David Uhlig (Hrsg.): Extrem Unbrauchbar

Über Gleichsetzungen von links und rechts

Berlin 2020
Verbrecher Verlag, 304 Seiten
 von Tim Klausgraber

Das Buch „Extrem unbrauchbar – Über Gleichsetzungen von rechts und links“ versammelt vielfältige Essays von Autoren*innen unterschiedlicher Professionen, die am Phänomen der „Extremismustheorie“, die auch als „Hufeisentheorie“ bekannt ist, eine umfassende Kritik vollziehen. Diese „Extremismustheorie“ greift das politische Links-Rechts-Schema auf, um jede gesellschaftspolitische Regung zu verorten und zu bewerten. In der ausformulierten „Extremismustheorie“ aus dem Umfeld des „Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung“ finden sich an den jeweiligen linken und rechten Enden die Extreme, die auf die Zerstörung der demokratischen Mitte hinwirken. Zur Verdeutlichung dieses Extremismus wird die vorhandene Achse zu einem Hufeisen verbogen, dessen Enden sich aufeinander zubewegen. Das Bild suggeriert die Nähe von Links- und Rechtsextremismus zueinander. Zugleich setzt es den Scheitelpunkt des Hufeisens mit der gesellschaftlichen Mitte gleich, mit der Folge, dass das linke und das rechte Ende in gleicher Distanz zur Mitte liegen (Äquidistanz). Die Folgen der unkritischen Anwendung dieses Analysewerkzeugs erzeugen ein permanentes Bedrohungsszenario für die sogenannte Mitte und eine Gleichsetzung von Linksextremismus und Rechtsextremismus. So einfach das Bild ist, so absurd ist das, was daraus folgt: „Die Extremismustheorie behauptet (…), es gäbe eine Mitte der Gesellschaft, die völlig unbedenklich im Einklang mit allen demokratischen Ansprüchen sei, während sich alle Probleme an linken und rechten Rändern verorten ließen, die es folglich in gleicher Weise zu bekämpfen gälte. Dass die einen auf die vollständige Abschaffung der Demokratie zielen und die anderen versuchen, im Kern demokratische Ansprüche auszuweiten, spielt in dieser Logik keine Rolle.“ (S. 81)

Das vorliegende Buch gliedert sich in eine Einleitung und fünf Kapitel, die wiederum in unterschiedlichen Beiträgen die Besonderheiten der „Extremismustheorie“ kritisch ausleuchten. Das erste Kapitel „Eine Theorie, die keine ist“ unternimmt eine Einordnung der „Extremismustheorie“. Dabei wird verdeutlicht, dass der Anspruch, eine Theorie zu sein, durch die mangelnde Differenzierung grundlegender Begriffe und die Vermeidung einer Einbettung in bestehende wissenschaftliche Diskurse, nicht erfüllt wird. Im Nachvollziehen der historischen Einbettung werden die Wurzeln des Hufeisenmodells in der völkischen Ideologie offensichtlich.

Das zweite Kapitel „Im Dickicht der Institutionen“ enthält Beiträge zur aktuellen Rezeption der „Extremismustheorie“. Die Beiträge veranschaulichen an zahlreichen Beispielen, dass die „Extremismustheorie“ eingesetzt wird um den Kampf gegen rechts zum Erliegen zu bringen. Dies ist auf den formelhaften und inhaltsleeren Umgang mit zentralen Begriffen der Theorie als Analysewerkzeug zurückzuführen. Hervorzuheben ist der Beitrag „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ (S. 155 ff.), der die Unsinnigkeit des Versuchs nachzeichnet, islamistischen Extremismus über die „Hufeisentheorie“ greifbar zu machen.

Das dritte Kapitel „Das Recht des Stärkeren“ vertieft besondere Aspekte der Extremismustheorie im Hinblick auf die Verfassung. Dabei werden die Konzepte der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ und der „wehrhaften Demokratie“ untersucht. Sie stellen zentrale Anknüpfungspunkte für die „Extremismustheorie“ im Grundgesetz dar. Die Analyse bestätigt den postulierten Extremismusbegriff als „ein Einfallstor für reaktionäre Kräfte, um den Handlungsmöglichkeiten einer emanzipatorischen Politik Schranken zu setzen“ (S. 177).

Das vierte Kapitel „Mythos Mitte“ untersucht den Bereich des Hufeisenmodells, an dem die Demokratie zuhause sein soll. Dabei wird die Einflussnahme der „Neuen Rechten“ auf die Mitte thematisiert. Deren grundlegende Diskursstrategien werden skizziert, wobei deutlich wird, dass es sich bei der „Neuen Rechten“ eindeutig um demokratiefeindliche Kräfte handelt. Die weiteren Essays bieten vertiefende Auseinandersetzungen mit dem sozialen Gefüge der gesellschaftlichen Mitte. Eine gendertheoretische Analyse offenbart „(d)ie Extremisierung der ‚Anderen‘ als diskursive Strategie“ (S. 244) der Rechten um die Deutungshoheit über den „richtigen“ Gebrauch von Freiheitsrechten zu erlangen.

Das abschließende fünfte Kapitel „Nachtritt“ versammelt satirische Blüten und Betrachtungen zum „Links-Rechts-Spektrum“ und lädt zum weiteren Nachdenken ein.

Der Sammelband bietet eine anregende Lektüre und bisweilen erschütternde Einsichten. Die Essays sind so kurzweilig wie lesenswert und eignen sich gut zum Einstieg in das Thema. Doch auch für Leser*innen mit Vorkenntnissen bietet das Buch ein sehr gutes Kompendium mit originalen Beiträgen, die es dank der umfangreichen Anmerkungen leichtmachen, tiefer in die Materie einzusteigen. Der politischen Bildungspraxis ist das Buch beim derzeitigen Hype um die Extremismusprävention ebenfalls zu empfehlen. Die Lektüre ist zwar bisweilen aufwühlend, aber das ist angesichts des Themas unvermeidlich.