Außerschulische Bildung 3/2022

Georg Materna/Achim Lauber/Niels Brüggen: Politisches Bildhandeln

Der Umgang Jugendlicher mit visuellen politischen, populistischen und extremistischen Inhalten in sozialen Medien

Unter Bildhandeln verstehen die Autoren „die Produktion, Verbreitung und Kommunikation mit und über Bilder“ (S. 8). Die kleine Studie ist an den politischen Dimensionen des Bildhandelns interessiert. Entstanden ist sie im Kontext eines mit Mitteln des Schwerpunkts „Radikalisierungsprävention“ des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ geförderten Projekts. Das Projekt kombinierte den Ansatz einer reflexiv-praktischen Medienarbeit mit grundlegender Forschung zum Umgang von Jugendlichen mit extremistischen Inhalten, hier mit Aspekten einer islamistischen Radikalisierung. Ziel war, besser zu verstehen, „wie Jugendliche mit politischen Inhalten in Form von Bildern, GIFs, Memes oder Videos in sozialen Medien umgehen …“ (S. 8). Welche Relevanz haben extremistische Inhalte für die Meinungsbildung von Jugendlichen? Bearbeiten sie in ihrem Bildhandeln politische und religiöse Themen? Wie gehen sie mit niederschwelligen islamistischen und rechtspopulistischen bzw. islamfeindlichen Inhalten um? Extremismuspräventive Fragen werden in den Kontext von Funktion und Relevanz sozialer Medien für Jugendliche eingeordnet.

Zunächst werden zentrale Begriffe wie Prävention, Extremismus, das Politische und soziale Medien als Sozialräume geklärt. Das Projekt wird als Beitrag zur universellen Prävention in Differenz zu einer selektiven oder indizierten verstanden. Extremistische Inhalte werden als Abweichung von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung definiert (Menschenrechte, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip). Gleichzeitig wird gezeigt, dass extremistische Positionen oftmals durch absolute Wahrheiten, radikale Forderungen und Feindbilder geprägt sind. Die Gefahr, mit der Studie dem Diskurs einer „Versicherheitlichung“ zu folgen, wird von den Autoren angesprochen. Für sie ist ein lebensweltlicher, auf das soziale Zusammenleben bezogener Politikbegriff grundlegend und soziale Medien betrachten sie als Sozialräume, in denen Jugendliche mithilfe bildhafter Formate sich artikulieren und austauschen. Das kommunikative Handeln in sozialen Medien differenzieren sie nach semiprivater Öffentlichkeit (z. B. in einer WhatsApp-Gruppe) und einer Semiöffentlichkeit mit begrenzter Reichweite (z. B. Follower: Wem folge ich bei Instagram?). Weiter wird zwischen unterhaltungsorientierter Kommunikation (Austausch über alltägliche Abläufe, sich veräppeln) und eher inhaltlicher (Aushandlung z. B. zu den Themen Diskriminierung/Rassismus, Gender, Zugehörigkeit, Teilhabe sowie Religion und Politik) unterschieden.

An dieser qualitativ angelegten Studie haben insgesamt 45 Jugendliche teilgenommen. Mehr als drei Viertel der Teilnehmenden verfügten über eine internationale Familiengeschichte (statt „Migrationshintergrund“), sie waren im Durchschnitt 18 Jahre alt, zwei Drittel waren männlich. 35 Teilnehmende ordneten sich einer Religionsgemeinschaft zu und für 33 Jugendliche war Religion sehr wichtig oder weniger wichtig. Mehr als zwei Drittel der Befragten äußerten, dass sie wenig bis kein Interesse an Politik hatten, jedoch waren an den Themen Kriminalität und Terror (69 %), soziale Gerechtigkeit (60 %) und Flucht und geflüchteten Menschen (ca. 50 %) interessiert. Diese Daten spiegeln das auf institutionelle Vorgänge bezogene Politikverständnis Jugendlicher, das lebensweltliche Themen und Interessen nicht als politisch umfasst.

Den qualitativen Kern der Studie bildeten verschiedene Forschungswerkstätten, in denen die Jugendlichen ihr Bildhandeln darstellten und sie Bilder und Memes zu den Kategorien antimuslimischer Rassismus, islamisches Opfernarrativ, Polarisierung einer Gemeinschaft durch Abwertung anderer und Demokratiefeindlichkeit deuten und sich dazu positionieren sollten. Ergänzend wurden mit einzelnen Jugendlichen Tiefeninterviews durchgeführt.