Theorie – Praxis – Berufsfelder
Christian Kuchler: Lernort Auschwitz
Geschichte und Rezeption schulischer Gedenkstättenfahrten 1980–2019
Auschwitz ist ein Erinnerungsort, der Name fungiert aber inzwischen weltweit auch als ein Synonym und eine politisch-moralische Kategorisierung für ein monströses Verbrechen. Angesichts des Booms an Gedenkstättenseminaren, in Deutschland nochmal gesteigert durch die KJP-Förderungen der letzten Jahre, hat sich die Gedenkstätte in Auschwitz zu einer nicht nur international massenhaft besuchten, sondern inzwischen auch mit pädagogischen und politischen Erwartungen überfrachteten und dementsprechend von Seminar-Gruppen überlaufenen Einrichtung entwickelt, die jährlich mehr als 2 Millionen Besucher verkraften muss. Man kann sich vorstellen, dass die Besucherfülle differenzierte und nachhaltig angelegte pädagogische Arrangements und Absichten immer mehr einschränkt.
Nun gibt es ja nicht nur Auschwitz, sondern im In- und europäischen Ausland viele andere Gedenkstätten und Lernorte, die für Zwecke des historisch-politischen Lernens intensiv erschlossen werden können. Habbo Knoch, heute Professor für Neuere Geschichte in Köln und davor Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten sowie Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, hat nun eine kompakte, äußerst kundige und lesenswerte Einführung in die Aufgaben, Arbeitsweisen und Nutzungsperspektiven von Gedenkstätten verfasst. Das Buch umfasst fünf Kapitel, die mit Definitionen, Grundbegriffe, Entwicklungen, Themen und Praxis überschrieben sind, am Schluss gibt es wichtige Weblinks und ein Ortsregister. Jedes Kapitel endet mit weiterführenden Literaturverweisen. Im Mittelpunkt seiner Erörterungen stehen Gedenkstätten, die sich dem Themenfeld Nationalsozialismus widmen. Knoch bezieht aber auch die Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur ein und versucht ansatzweise die neueren Entwicklungen in Europa und in der weltweiten Erinnerungs- und Diskurskultur nachzuverfolgen. Gerade bei den letzteren Themenstellungen stehen viele Untersuchungen und Diskurse erst am Anfang, der vergleichende und differenzierende Einbezug von Kolonialverbrechen etwa oder die Frage der weiteren Nationalisierung oder Europäisierung der Gedächtnisse.