Außerschulische Bildung 1/2021

Hans-Peter Killguss/Marcus Meier/Sebastian Werner (Hrsg.): Bildungsarbeit gegen Antisemitismus

Grundlagen, Methoden & Übungen

Antisemitismus zeigt sich aktuell in offenem Hass. Bei sogenannten „Hygiene Demos“ im Zuge der Corona-Pandemie wird über „jüdische Weltverschwörung“ fantasiert, der Holocaust durch das Tragen von gelben Sternen relativiert und das Wort „Du Jude“ wird zu einer der häufigsten Beleidigungen auf Schulhöfen. Dennoch bleibt Antisemitismus im gesellschaftlichen Diskurs stärker in historischen Bezügen verhaftet. Hieran knüpft der Sammelband an. Der Band besteht inklusive Einleitung aus elf Kapiteln. Zentral ist es hier, dass verschiedene theoretische Entwicklungen, Konzepte und Perspektiven von Antisemitismus, wie z. B. Antisemitismus und Moderne, Sekundärer Antisemitismus, israelbezogener Antisemitismus, Verhältnis zu antimuslimischem Rassismus, jeweils ab Kapitel fünf durch thematisch passende Methoden ergänzt werden, sodass eine Verwobenheit von wissenschaftlichen/theoretischen Perspektiven und praktischer Verwendung in Bildungskontexten mitgedacht wird.

Es erfolgt zunächst eine Einführung in die historische Genese des Antisemitismus (Klarzyk) und die verschiedenen Formen des Antisemitismus (Kistenmacher): „Trotz des veränderten ideologischen Unterbaus mit dem der Hass auf die jüdische Bevölkerung und ihre daraus resultierende Ausgrenzung im Lauf der Geschichte begründet wurde, ziehen sich bestimmte Bilder und Stereotype in der Darstellung von Juden bis in die Gegenwart durch.“ (S. 17) So wird im Sammelband deutlich, dass historische Erscheinungsformen des Antisemitismus Kontinuitäten für aktuelle Bezüge aufweisen und in der Bildungsarbeit als ineinander verstrickt aufgegriffen werden können. Meier und Werner bringen diese grundlegenden Perspektiven mit der Rolle politischer Bildungsarbeit zusammen und heben den aktuellen Bedarf der Auseinandersetzung mit Antisemitismus hervor. Ein wichtiger Aspekt, der in dem Sammelband theoretisch und methodisch angesprochen wird, ist dabei die Anerkennung und Einbeziehung jüdischer Biografien und Lebensrealitäten in der Bildungsarbeit: „Daher versuchen wir verstärkt, einen Perspektivwechsel in der Entwicklung unserer Methoden vorzunehmen und Juden und Jüdinnen – etwa durch Interviews, Filmbeiträge oder als Teilnehmende – zu Wort kommen zu lassen. Zu vermeiden ist hierbei die Reduzierung (…) auf eine OpferRolle.“ (S. 55) Chernivsky verbindet diese Perspektive in ihrem Beitrag mit Differenzkonstruktionen in Bezug auf den „Umgang mit Judentum, jüdischen Lebenswelten und jüdischer Präsenz“ (S. 98) und der Fremdmachung („Othering“) „als gewaltvoll erlebte Ausdrucksform des Antisemitismus“ (ebd.), welche intersektionale Bezüge aufweist.

Weitere diskutierte Perspektiven sind die Bedeutung von Antisemitismus in Zeiten moderner Vergesellschaftung (Werner) und sekundärer Antisemitismus (Killguss/Sturm), die verdeutlichen, wie Juden*Jüdinnen für gesellschaftliche Entwicklungen verantwortlich gemacht und gesellschaftliche Diskurse machtvoll verdreht werden: „Die stellvertretende Ausgrenzung und Bekämpfung von Juden*Jüdinnen verschont dabei die eigentlichen Ziele der Kritik – gesellschaftlicher Wandel, staatliche Organisation und Kapitalismus – und stabilisiert die Verhältnisse dadurch sogar.“ (S. 125) Auch im sekundären Antisemitismus (Killguss/Sturm) werden die Erfahrungen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus unsichtbar gemacht oder umgedeutet, was in Form von Holocaustleugnung und -relativierung, der Entschädigungsdebatte und der Geschichtsverdrehung/Täter-Opfer-Umkehr sichtbar wird.

Ein bedeutender Diskurs in diesem Kontext ist der des israelbezogenen Antisemitismus (Fava), der die antisemitischen Ressentiments in Verbindung mit Israelkritik thematisiert und das damit einhergehende Verhältnis zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus (Hößl) als miteinander verschränkt diskutiert. Dabei kann ein per se „muslimischer“ Antisemitismus negiert werden: „Religiösen Selbstverortungen als ‚muslimisch‘ kann mit Blick auf Antisemitismus eine Bedeutung zukommen (…). Dies muss aber nicht immer der Fall sein, wenn sich jemand antisemitisch äußert und sich daneben – in welcher Art und Weise auch immer – als ‚MuslimIn‘ definiert.“ (S. 188) Durch kritische Blickwinkel auf Forschungsergebnisse und -lücken arbeitet der Beitrag auch damit einhergehende Leerstellen auf.