Außerschulische Bildung 1/2020

Ingo Juchler (Hrsg.): Politische Ideen und politische Bildung

Wiesbaden 2018
Springer VS, 166 Seiten
 von Friedrun Erben

Wie steht es um das Verhältnis von politischen Ideen und politischer Bildung? Dieser Frage hat sich die Jahrestagung der Arbeitsgruppe Hermeneutische Politikdidaktik der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) im April 2016 gestellt. Die Ergebnisse dieser Tagung wurden in dem hier vorliegenden Band zusammengefasst.

Wie die Herkunft der Beiträge nahelegt, geht es um das Feld der schulischen politischen Bildung und um die Politikdidaktik. Interessant ist es daher, zu erkunden, was die Fragestellungen und die Erkenntnisse der Wissenschaftler*innen für das Feld der außerschulischen politischen Bildung austragen, welche Hinweise und Querverbindungen es gibt, die Anknüpfungspunkte für den non-formalen Bereich bieten. Die Überschriften der einzelnen Beiträge machen schon einmal sehr neugierig, geht es doch um Utopien, Utopiekompetenz, Gerechtigkeitsvorstellungen und -theorien, um Freiheit und die Thematisierung von Rassismus in Bildungsprozessen – alles Themen, die im Feld der außerschulischen politischen Bildung ebenso von großer Relevanz sind.

Die Beiträge, die im Folgenden in gebotener Kürze vorgestellt werden, stehen alle für sich und setzen sich mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinander. Allen gemein ist, dass sie konkrete Anregungen für das Aufgreifen der Themen im Unterricht geben wollen.

Der erste Beitrag von David Salomon mit dem Titel „Das Utopische“ nimmt den Erfahrungsschatz in den Blick, der aus der Ideengeschichte des Utopischen erwächst. Utopien ermöglichen es, durch Irritation und Überschreitung des Gewohnten den kritischen Blick zu schärfen. Hendrik Schröder stellt in seinem Beitrag zur „Utopiekompetenz“ ein wichtiges Ziel politischer Bildung in den Mittelpunkt. Eine perfekte Welt ist eine Wunschvorstellung, bei der es nicht darum geht, ein bestimmtes Konzept zu realisieren, sondern die Utopie als „regulative Idee“ (S. 18) zu nutzen – zur Reflexion und zur Bewertung von Urteilen und Handeln. Es geht um utopisches, zukunftsorientiertes Denken und um eine daraus erwachsene Fähigkeit zum zukunftsfähigen Handeln.

Wie in didaktischen Settings mit verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen umgegangen werden kann, expliziert Karin Schnebel in ihrem Beitrag an konkreten methodischen Beispielen (Werte- und Entwicklungsquadrat). Die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls steht im Mittelpunkt der didaktischen Überlegungen für ein textfreies Unterrichten von Florian Weber-Stein, für den es wichtig ist, dass die Schüler*innen die politischen Ideen selbst entwickeln, indem sie ihre Erfahrungen ernst nehmen, bzw. diese im didaktischen Prozess ernst genommen werden.

Werner Friedrichs räumt der Freiheit und ihrer Thematisierung in der politischen Bildung einen wichtigen Raum ein. Er beschreibt die Notwendigkeit einer Neuvermessung der Freiheitsidee: „Freiheit muss als Selbstartikulation zugänglich gemacht werden – nicht zuletzt, um sich gegen populistische Uniformierungen zu wappnen.“ (S. 77)

Wie kann das Thema Rassismus in der politischen Bildung thematisiert werden? Am Beispiel des Romans „Ragtime“ von E. L. Doctorow und dem Bild der amerikanischen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts lädt Ingo Juchler zur Reflexion der politischen Gegenwart ein und stellt die Themen Ungleichheit, Gewalt, Rassismus und Imperialismus in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.

Welche Rolle politische Ideen und Theorien in der politischen Bildung spielen und wie es gelingen kann, politisches Denken zu schulen und dadurch die eigene Identität zu stärken, darauf geht Susann Gessner in ihrem Beitrag ein. Nicht die Orientierung an tagesaktuellem Geschehen, sondern der Erwerb eines tiefergehenden Verstehens sollte Ziel politischer Bildung sein. Wie das umgesetzt werden kann, zeigt die Autorin an konkreten Beispielen. Konkrete Unterrichtsmethoden und politikdidaktische Überlegungen stehen auch im Zentrum des Beitrags von Christian Fischer. Anhand einer Fallstudie über die Grenzen der Meinungsfreiheit, die der Autor als Unterrichtsreihe entwickelt hat, möchte er zeigen, wie ein tiefgehendes Reflektieren möglich ist und zu neuen Sichtweisen führen kann.

Waltraut Meints-Stender will in ihrem Beitrag zeigen, welche Bedeutung Montesquieus Buch „Vom Geist der Gesetze“ und seine Überlegungen zur politischen Freiheit und bestmöglichen Regierungsform heute noch haben und „In welcher Weise Montesquieu (…) mit der Unterscheidung zwischen der Natur der Regierung und dem Prinzip des Handelns ‚postdemokratische‘ Zeiten erhellen kann (…)“. (S. 136)

Der abschließende Beitrag widmet sich politischen Ideen im handlungsorientierten Politikunterricht. Carl Deichmann fragt, wie sich ein handlungsorientiertes Vorgehen und die Auseinandersetzung mit politischen Ideen und demokratischen Prinzipien auf das politische Bewusstsein und die demokratische Handlungskompetenz auswirken.

Wie gesagt, sind für alle Autor*innen der politische Unterricht und die didaktische Aufbereitung der Themen zentral. Dennoch sind die Texte in vielerlei Hinsicht für politische Bildner*innen im non-formalen Bereich interessant: Es werden konkrete Anregungen gegeben, wie Reflexionen und eigenständiges Denken angeregt werden können – dies alles vor dem Hintergrund ausführlich beschriebener Theorien und Grundlagen. Von daher wird dieser Sammelband für die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Themen wie z. B. Rassismus und Ungleichheit in Bildungsprozessen empfohlen.