Außerschulische Bildung 1/2023

Jakob Baier/Marc Grimm (Hrsg.): Antisemitismus in Jugendkulturen

Erscheinungsformen und Gegenstrategien

Wer von Gewalt spricht, ist schnell bei der Jugendgewalt. So ist es auch mit Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus. Aber vielleicht verhalten sich Jugendliche – vorsichtig gesagt – nur deshalb „auffällig“, weil Erwachsene es vorleben? Die Bielefelder Mitte-Studien ließen sich so interpretieren. Gerade Antisemitismus ist ein „kultureller Code“ (Shulamit Volkov), unabhängig vom Lebensalter.

Das Buch „Antisemitismus in Jugendkulturen“ enthält Texte von 20 Autor*innen (nur drei Frauen!). Hintergrund sind die „unabgeschlossenen und prekären“ Prozesse der Identitätsbildung im Jugendalter (S. 8). Konkret geht es um vier Themenblöcke: „Musikbezogene Jugendszenen“ (4 Texte), „Jugendrelevante Medien“, „Politik und Religion“ (je 3 Texte) und „Fußball“ (2 Texte). Einige Beiträge nutzen die Ergebnisse qualitativer Fallstudien und Workshops, andere bieten eine Sekundäranalyse, beispielsweise mit Datensätzen von RIAS oder der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Grundlegend ist die Analyse von Stefan Hößl, der fordert, in der Bildungsarbeit „Gemeinschaftsbilder als Schlüssel-Kategorien antisemitischer Bildungsarbeit zu begreifen und sie ins Zentrum der Überlegungen zu rücken“ (S. 192). Im Grunde schaffe Antisemitismus eine Art „imaginierter Gemeinschaft“ im Sinne von Benedict Anderson. Ein Gegenbild entstehe aus der jüdischen Perspektive wie sie beispielsweise Julia Bernstein in ihren Studien zum Antisemitismus in Schulen und zum israelbezogenen Antisemitismus zur Geltung kommen lässt.

Viel Material bietet das Musikkapitel. Rechtsrock ist voller antisemitischer Invektiven, oft „verschlüsselt“ (S. 74), Motive des christlichen Antijudaismus zitierend, antisemitische und antikapitalistische Klischees vermengend. Es werden die Texte konkreter Gruppen und ihr jeweiliges Publikum beschrieben, bis hin zur rechtsextremistischen Terrorszene. Die familiären Hintergründe der Jugendlichen, die die jeweilige Musik konsumieren, werden angesprochen. Die Präsenz von Verschwörungserzählungen, insbesondere zum Nah-Ost-Konflikt, anti-zionistisch beziehungsweise anti-israelisch grundiert, geschmacklose Bezüge auf die Shoah, auch bei Gangsta-Rap und HipHop, sind offensichtlich. Ferner „wird Antisemitismus immer wieder in Konkurrenz zu eigenen Diskriminierungserfahrungen gesetzt oder gar unterstellt, der Antisemitismusvorwurf diene einzig dazu, Rapper*innen mit muslimischem Hintergrund mundtot zu machen.“ (S. 37) Antifaschistische Teile der Szene des Punks und Hardcore behaupten, dass sie per se nicht antisemitisch sein könnten (S. 61).