Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror
transcript Verlag, 210 Seiten
Was macht radikale Weltbilder attraktiv? Weshalb finden extremistische Narrative in vielen Milieus gegenwärtig großen Anklang? Wie sollen die Kulturwissenschaften mit den Grenzüberschreitungen und Gewalthandlungen umgehen, die darin nahegelegt und gerechtfertigt werden? Diese Fragen haben das Kulturwissenschaftliche Institut Essen im Winter 2016/2017 veranlasst, eine Veranstaltungsreihe durchzuführen, aus der der vorliegende Band hervorgegangen ist.
In vier Kapiteln beschäftigt sich der Sammelband mit den Narrativen der Neuen Rechten, des Populismus, des Islamismus und des War on Terror. Für jeden dieser Diskurse könne eine Erzählung identifiziert werden, die als solche erkennbar ist und Zugehörigkeit und Gemeinschaft signalisiert. In Verbindung mit politischen, intellektuellen und religiösen Motiven reduzierten die extremistischen Narrative „die Vielfalt möglicher Weltdeutungen auf nur eine einzige“ (S. 8) in ihre Anhänger überzeugender Weise. Dadurch würde die Welt als Ganzes erschlossen und die jeweiligen Narrative als Gegenbewegung zu einer universalistisch angelegten Rationalität konzipiert.
Im ersten Kapitel wird das Narrativ der Neuen Rechten analysiert. Die Neue Rechte vermeide es, sich auf den Nationalsozialismus zu beziehen und sich explizit rassistischer Argumente zu bedienen. Angelehnt werde sich an die These einer konservativen Revolution (Mohler) mit ihrer Absage an den Universalismus und dem Plädoyer für einen radikalen Relativismus. Zentral ist das Konzept des Ethnopluralismus, das die Verschiedenheit der Völker zwar nicht negiere, für das aber grundlegend sei, dass alle ein Recht hätten, in ihrer Verschiedenheit als mehr oder weniger homogene Völker mit einer einheitlichen Kultur erhalten zu bleiben. Der Begriff Kultur trete an die Stelle von Rasse und zynisch heiße es, man liebe das Fremde, aber in der Fremde. So werde die vollständige Ablehnung von Zuwanderung begründet und die These vom großen Austausch: Politische und ökonomische Eliten hätten das heimliche Ziel, die eigene Bevölkerung durch Zuwanderung auszutauschen.
Geschichte und aktuelle Wirkmächtigkeit des Populismus steht in Zentrum des nächsten Kapitels. Die Spuren populistischer Strömungen ließen sich in den USA bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. In Europa sei der Populismus als Massenphänomen eine relativ neue Erscheinung. Kritik an einer zu hohen Abgabenlast, Wohlstandschauvinismus, Wut auf politische Eliten, bürgerferne Politik werden als Faktoren benannt, die den Populismus in Europa befördert haben. Kennzeichnend im populistischen Diskurs seien Gegensätze zwischen städtischen Zentren und ländlichen Regionen, zwischen „christlichem Abendland“ und Islam, zwischen oben und unten, zwischen Eigenem und Fremdem. Zum Erfolg des Populismus habe die Aufmerksamkeitslogik der Massenmedien beigetragen, die der Logik des Populismus systemisch affin ist. Populisten seien schrille Gestalten, die gerne mit Tabus spielen und Skandale produzieren, sie wecken Emotionen und dramatisieren Zusammenhänge, die sie radikal vereinfachen.
Der dritte Abschnitt des Bandes widmet sich dem Islamismus. In diesen Kontext werden auch Salafismus und Dschihadismus eingeordnet. Wobei auch betont wird, dass diese Strömungen sich in unterschiedliche Varianten ausdifferenziert haben. Gefragt wird nach der religiösen Rechtfertigung des Dschihad und der Islam als eine von Anfang an kämpferische Religion rekonstruiert. Der Dschihad könne sowohl als bedingungsloser Einsatz für die Sache Gottes, als religiös orientierte Gestaltung des eigenen Lebens, jedoch auch als Kampf gegen die Feinde der Religion verstanden werden. Die Faszination des Islamismus wird auch in der Anfälligkeit der Jugendphase für radikale Positionen begründet. Ihre Anziehungskraft basiere auf einer konsequenten Reduktion von Komplexität, die sich nicht für historische Prozesse interessiere und klare Feindbilder konstruiere. Gleichzeitig provoziere die Hinwendung zum Islamismus durch Askese und durch ideologische Nostalgie. In diesem Kontext spiele ein Medien-Islam eine besondere Rolle, der von islamistischen Predigern über das Internet verbreitet wird und eine spezifische Variante des verkündeten Islams darstelle, die nicht mit der Vielfalt des gelebten Islam verwechselt werden dürfe.
Im vierten Kapitel wird die Metapher „War on Terror“ aufgegriffen, die im Anschluss an die Anschläge im September 2001 in New York gebildet worden war. Schließlich habe diese Metapher in das Narrativ vom Krieg gegen den Islam gemündet. Impliziert gewesen seien Fantasien von einer demokratischen Neuordnung der Gesellschaften des Nahen Ostens sowie einer Auslöschung des Terrorismus mitsamt seinen vielfältigen Ursachen.
Der Band bietet vielfältige luzide Analysen zu aktuellen extremistischen Großerzählungen. Sicherlich können die Analysen dieses Sammelbandes nicht allen Narrativen in ihrer Differenziertheit gerecht werden. Sie bieten jedoch überwiegend einen sehr guten Einstieg in eine vertiefende Analyse der historischen Entwicklung und aktuellen Relevanz der verschiedenen Narrative. Zudem bieten verschiedene Beiträge einen informativen Einblick in Konstruktionsprozesse wirkmächtiger Erzählungen.