Außerschulische Bildung 2/2023

Joachim Faulde: Bildungspotenziale der Kinder- und Jugendarbeit

Ein Leitfaden für Studium und Praxis sozialer Berufe

Weinheim und Basel 2023
Beltz Juventa, 155 Seiten
 von Johannes Schillo

Kinder und Jugendliche waren von der Corona-Pandemie und den darauffolgenden staatlichen Eindämmungs-Maßnahmen in besonderer Weise betroffen. Christoph Butterwegge hat zuletzt in seiner Studie „Die polarisierende Pandemie“ (2022) über Deutschland „nach Corona“ auf die gesellschaftlichen Verwerfungen aufmerksam gemacht. Die „Coronakrise“ habe „das Phänomen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ungleichheit nicht hervorgebracht“, aber wie ein „Spaltpilz lange verschüttete Klassenstrukturen der Gesellschaft offen“ gelegt und speziell die Lebensbedingungen junger Menschen unter Druck gesetzt; man müsse im Grunde von einer „Generation Corona“ und einer neuen „Generationenkrise“ sprechen.

Auch die Zeitschrift „Außerschulische Bildung“ hatte in ihrer Ausgabe Nr. 3/2021 die „Verstärkung von Ungleichheiten“, die sich seit den Pandemiejahren 2020/21 deutlich abzeichnete, thematisiert. Dabei gehe es, wie das Editorial betonte, besonders um die Lage von Kindern und Jugendlichen „und um die Räume, die sich für diese Gruppe massiv verengt haben – auch die Räume politischer Bildung“. Genau auf diesen Bereich, auf die problematischen Bedingungen für Sozialisation und Bildung heute und auf die Potenziale, die hier zu erschließen wären, richtet sich die Publikation von Joachim Faulde, der als Hochschullehrer für Soziale Arbeit tätig war.

Faulde fasst die genannten aktuellen Problemverschärfungen in seinem Ausblick zusammen. Er hält zu den Konsequenzen für die Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen fest: „Das Zusammensein mit Gleichaltrigen wurde (…) durch die Corona-Maßnahmen weitreichend eingeschränkt, obwohl es gerade in der Kindheit und Jugendphase für den Aufbau einer eigenständigen Ich-Identität von elementarer Bedeutung ist.“ (S. 123) In den Ausführungen werden die Defizite der Bildungs- und Sozialarbeit erkennbar. Wie auch andere Studien gezeigt haben, sind unterstützende und kompensatorische Maßnahmen gerade da, als sie am stärksten gebraucht wurden, vernachlässigt worden. Butterwegge spricht sogar davon, dass die Soziale Arbeit „als Profession regelrecht in eine Sinnkrise“ geraten sei.

Fauldes Leitfaden, der in einem Aufriss von 20 Kapiteln das ganze Feld der Kinder- und Jugendarbeit vermisst, spitzt das in dieser Weise nicht zu, nimmt auch die aktuelle Problemlage nur kurz ins Visier. Bei ihm wird aber deutlich, dass die genannte Vernachlässigung strukturelle Ursachen hat; dass es sich also nicht um ein Problem handelt, das sich einer speziellen, ganz neuartigen und unvorhersehbaren Krisenlage verdanken würde. In der Lebenswelt Jugendlicher zeige sich vielmehr seit den letzten Jahrzehnten grundsätzlich eine „Verdichtung der familiären und gesellschaftlichen Probleme“ (S. 9). Schulische Bildung – der Trend zur Ganztagsschule, der schulische Leistungsdruck, der Zuwachs an schulischen Aufgaben … – würde mit einer neuen Dominanz das Leben der jungen Generation bestimmen.

Die heutige Lage bringt der Autor so auf den Punkt: „Die bildungspolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahrzehnte haben die Institution Schule zum alleinigen und absoluten Mittelpunkt des gesamten Bildungswesens werden lassen und die Kinder- und Jugendarbeit – insbesondere im offenen Bereich – ist vielfach zu einem ordnungspolitischen Instrument herabgestuft worden.“ (S. 11) Diese Kritik zielt auf die Weichenstellungen vor der Pandemie. Das Feld der Kinder- und Jugendarbeit, auch mit Betonung der Rolle außerschulischer politischer Bildung, in der Faulde ursprünglich tätig war, wird dazu im Einzelnen aufgeschlüsselt. Das beginnt mit dem Bildungsbegriff, gerade auch hinsichtlich einer Bildung, die „mehr (ist) als Schule und Unterricht“ (S. 22). Es wird Institutionenkunde geboten, es folgen Informationen zu historischen Entwicklungslinien, zu Theorien, Handlungskonzepten und Arbeitsmethoden, zu den rechtlichen Grundlagen, zu den Adressaten, zur Situation der Mitarbeiter und zu den Trägerstrukturen. Abgerundet wird das Buch durch eine Übersicht zur Literatur und zu den einschlägigen Organisationen, wobei hier die Jugendverbandsarbeit im Vordergrund steht.

So liefert das Buch einen knappen, übersichtlichen Leitfaden, der deutlich macht, wo Bildung außerhalb des schulischen Kontextes stattfindet und gefordert ist. Und es ist zugleich ein Plädoyer für politische Bildung, wenn es eingangs heißt: „Der ursprüngliche emanzipatorische Ansatz von Jugendarbeit ist vielfach (…) in den Hintergrund getreten“ (S. 11). Dagegen setzt der Leitfaden den Aufweis von Notwendigkeiten und Möglichkeiten, einen solchen Ansatz wieder fruchtbar zu machen.

Johannes Schillo, Journalist, Sozial- und Literaturwissenschaftler, war lange Jahre als Redakteur und Autor in der außerschulischen Bildung tätig.