Über betriebliche und politische Erwachsenenbildung
Klemm + Oelschläger, 57 Seiten
Die außerschulische Bildung, die von der Corona-Krise – wie so viele andere gesellschaftliche Bereiche – mit gravierenden Einschnitten konfrontiert wurde, hat schon einige Umbrüche und Innovationen erlebt. Ende des 20. Jahrhunderts war es vor allem die Entdeckung von Qualifizierungsnotwendigkeiten, die zu einer umfassenden Modernisierung führen sollten. Dabei hatte es der scheinbar banale Modernisierungsimperativ in sich. Angepeilt wurde nichts weniger als das „Ende der emanzipatorischen Erwachsenenbildung“ (J. Kade), wie es von Befürwortern dieses Aufbruchs hieß. Da die „Emanzipationisten“ (R. Arnold) aber nicht aufgaben und gerade auch in der außerschulischen politischen Bildung an der Aufklärungsfunktion pädagogischer Arbeit mit dem Ziel der Mündigkeit festhielten, ja sogar neue Ansätze einer kritischen Bildung entwickelten, zog sich der Grundsatzstreit weiter hin. So erneuerte der Erziehungswissenschaftler Rolf Arnold 2019 seinen Angriff auf die Vertreter der „verbliebenen emanzipatorischen Provinz“, da sie von ihrer „Ideologie“ nicht lassen wollten und damit verhinderten, dass Theoriebildung endlich „aus dem Protestsystem in das wissenschaftliche System“ überführt wird (S. 7).
Der im Juni 2020 verstorbene Erziehungswissenschaftler Klaus Ahlheim (Universität Duisburg-Essen), auf den sich solche Polemik in prominenter Weise bezog, hat mit seinem letzten Band (Nr. 7) seiner 2018 gestarteten Reihe „edition pyrrhus“ darauf eine treffende Antwort gegeben. Sie steht unter dem Motto „Mehr als Qualifikation“ und greift ältere Überlegungen auf, so etwa das Plädoyer des Autors für eine „wirklich politische politische Bildung“, wie es bei der GEW-Herbstakademie 2002 gehalten wurde. Aber im Grunde ist das, was hier vorliegt, eine brandaktuelle Stellungnahme zur bildungspolitischen Lage. „Mit Corona“ erhält ja der gesamte Bildungsbetrieb einen mächtigen Schub in Richtung digitales Lernen, und die außerschulischen Abteilungen werden dabei möglicherweise umgebaut – oder auch komplett an den Rand gedrängt. Ein solcher Trend der Marginalisierung zeigte sich 2019 bei der Vorstellung der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ (NWS), die von mehreren Bundesministerien, zudem von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden verantwortet wurde, um bildungspolitische Leitlinien für den digitalen Wandel in Deutschland zu formulieren. Darin heißt es unverblümt: „Die NWS fokussiert auf die berufliche Weiterbildung.“ (S. 9)
Ahlheim sieht darin eine eindeutige Schwächung der politischen Erwachsenenbildung, obwohl diese „für die technische, kulturelle und soziale Gestaltung des digitalen Wandels von besonderer Bedeutung sein könnte“ (S. 9). Die Einbeziehung der politischen in die berufliche oder betriebliche Bildung, wie sie von Arnold oder Kade, in der Tendenz auch von W. Sander oder H. Siebert vertreten wird, lehnt Ahlheim dabei nicht ab. Er wendet sich vielmehr gegen das Programm einer Integration verschiedener Bildungsbereiche unterm Primat beruflicher Qualifizierung. Eine solche Integration würde vom emanzipatorischen Anspruch nichts mehr übriglassen, da sie ihn als unzeitgemäß ablehnt bzw. in der Ausstattung eines marktgängigen Subjekts mit den jeweils nachgefragten Qualifikationen und Kompetenzen bereits vollumfänglich realisiert sieht. Mit einer solchen Erneuerung würde im Endeffekt der neue Konsens von Wissenschaft und Bildungspolitik bekräftigt, dass „politische Bildung eigentlich weitgehend obsolet“ ist (S. 47).
Der Nachdruck auf dem digitalen Lernen sorgt dafür, was Ahlheims Veröffentlichung in pointierter Form nachzeichnet, dass derartige Argumentationslinien wieder besonderes Gewicht bekommen. Damit rückt das selbst gesteuerte Individuum in den Vordergrund, das sich in keinen Bildungsprozess begeben muss, sondern auf individuelle Qualifizierungsdefizite reagiert und für deren Behebung bloß die einschlägigen Instruktionen und Trainingsprogramme aus dem Internet abzurufen braucht. Dass dies im Blick auf die drängenden politischen Probleme – behandelt werden in dem Büchlein vor allem nationalistische und rassistische Tendenzen – eine fatale bildungspolitische Entwicklung wäre, macht Ahlheims Plädoyer in eindrucksvoller Weise deutlich.