Außerschulische Bildung 4/2021

Klaus Koziol/Manuela Pfann (Hrsg.): Zwischen Digitalisierung und Pandemie

Begegnung neu bewerten

Was macht eine gute Begegnung aus? Können sich Menschen im digitalen Raum so wertschätzend und produktiv austauschen, wie das im persönlichen Kontakt gelingt? Die Sturz-Digitalisierung, die Corona verursachte, verleiht den Fragen, die im fünften Band der Reihe „Mensch und Digitalisierung“ verhandelt werden, eine höchst aktuelle Bedeutung.

Wenn als Einführung die Exegese einer Papst-Enzyklika gewählt wird, ist dies eher unüblich in der Medienfachliteratur. Im vorliegenden Buch befragt Manuela Pfann ihren Mitherausgeber Prof. Dr. Klaus Koziol, wie aus Sicht des Papstes menschliche Begegnung und Dialog unter Pandemie-Bedingungen neu bewertet und gestaltet werden können. Der Sammelband umfasst insgesamt neun Beiträge, in denen Expert*innen ein weitgespanntes Themenspektrum behandeln: von digitalen Kunstprojekten bis zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Die Kommunikation in Unternehmen wird ebenso in den Blick genommen wie die Folgen der diversen Lock- und Shutdowns für Kinder und Jugendliche, die (überraschend intensiven) Begegnungen einer modernen Einsiedlerin oder die Dramatik des einsamen Sterbens.

Die Texte bewegen sich auch jenseits der gewohnten Diskursstränge. Die Informatikerin Prof. Dr. Doris Aschenbrenner befasst sich mit Arbeitsprozessen. Durch den steigenden Einsatz von digitaler Kommunikation und virtueller Kollaboration gewinnt für Aschenbrenner „der Faktor Mensch neu an Bedeutung“ (S. 15). Sie reflektiert die Forschungsergebnisse der Wissenschaftsdisziplin „Computer-supported collaborative work“ (Computergestützte Zusammenarbeit) (S. 17). Diese setze sich bereits sehr lange mit dem „Phänomen“ auseinander, „welches wir mittlerweile täglich in Videokonferenzen oder anderen virtuellen Kollaborationstools beobachten“, nämlich das „irgendwie der ‚Informationsdurchsatz‘ bei einem realen Gespräch von Angesicht zu Angesicht“ doch höher sei als bei „anderen Methoden“ (S. 17). Bei rein virtueller Zusammenarbeit sei es schwieriger, ein gemeinsames Verständnis („common ground“) zu entwickeln (S. 22). Trotz vermeintlicher Effektivität und Sachlichkeit im beruflichen Kontext: Digitale Kommunikation kann weniger effektiv sein als eine Präsenzveranstaltung mit (Fach-)Geplauder in der Kaffeepause. Die Kombination verschiedener Methoden ist gefragt.

Über die Traumata einer „begegnungsarmen Kindheit“ berichtet dagegen der Psychiater Dr. Gottfried Maria Barth. Er stellt aber auch fest: „Die Folgen der Pandemie waren zunächst völlig andere als erwartet.“ (S. 70) So führte die Atmosphäre der allgemeinen Bedrohung und das auch erzwungene Zusammenrücken der Familien nicht dazu, dass vermehrt Kinder und Jugendliche in Beratungsstellen oder junge Patient*innen in kinder- und jungendpsychiatrischen Akutstationen betreut worden wären. Aus Sicht einer Notfallambulanz sei es sogar so, dass sich die Wartezimmer erst mit Schulbeginn wieder füllten. Auch wenn es keine validen Untersuchungen über die Gründe gibt, ist eine Vermutung, dass Kinder und Jugendliche „eine stark reduzierte Beschulung ohne Leistungsnachweise“ als „starke Entlastung“ (S. 68) erlebt hätten. Der gewöhnliche Alltag bringt den Stress, den Kinder und Jugendliche nicht alleine bewältigen können. Es ist eine differenzierte Wahrnehmung wichtig: Nicht nur Erwachsene scheinen die unverhoffte Entschleunigung genossen zu haben.