Außerschulische Bildung 3/2020

Tetyana Kloubert: Civic Education und das Problem der Indoktrination

Eine Fallstudie in den USA

Frankfurt am Main 2019
Wochenschau Verlag, 95 Seiten
 von Katja Greeson

Indoktrination und Propaganda sind keine neuen Bedrohungen für die demokratische Gesellschaft, aber die Verbreitung von „Fake News“ und „Filterblasen“ in unserer zunehmend polarisierten Welt hat die Herausforderungen, vor denen wir stehen, noch vergrößert. Politische Bildung ist ein wirksames Mittel, um indoktrinative Einflüsse abzuschwächen. Aber welche Fähigkeiten, Einstellungen und Kenntnisse sind notwendig, um der Indoktrination zu widerstehen? Und welche Methoden können Bildner*innen anwenden, um Menschen zu helfen, den Auswirkungen der Demagogie entgegenzutreten und zu verhindern, dass sie manipuliert werden? Wie können wir außerdem sicher sein, dass unsere eigenen pädagogischen Praktiken nicht selbst indoktrinierend sind? Dieses Buch ergänzt diese laufende Diskussion über die Schnittstellen von Civic Education und Indoktrination, indem praktische Beispiele in einem US-amerikanischen Kontext vor einen theoretischen Hintergrund gestellt werden.

Die in dem Buch vorgestellte Studie basiert auf sechs leitfadengestützten Interviews mit Fachkräften, die im Bereich außerschulischer politischer Bildung im Raum Boston, Massachusetts arbeiten. Als Modellland für Demokratie hat in den USA Civic Education eine lange theoretische Geschichte und die Praxis hat dort originelle Ansätze wie Service Learning und Community Organizing eingeführt. Trotz unverwechselbarer politischer Kontexte und unterschiedlicher Bildungsinfrastrukturen und -methoden schlägt die Autorin vor, dass Pädagog*innen in Deutschland diese spezifische Fallstudie als Vergleichsfolie verwenden, um die Rolle der Indoktrination aus einer alternativen Perspektive zu betrachten. Unabhängig vom nationalen Kontext wird deutlich, dass das Thema Indoktrination kein Merkmal der Geschichte ist, sondern etwas, was in der täglichen Arbeit von Praktikern berücksichtigt werden muss.

Bevor sie ihre originellen Ergebnisse vorstellt, bietet die Autorin einen Überblick über die Theorie über den Zweck der Civic Education und das Konzept der Indoktrination. Nur wenn man die Hauptziele der politischen Bildung versteht, kann man die sich potenziell überschneidenden Konzeptionen von Bildung und Propaganda in den Griff bekommen. Diese theoretischen Konzepte bilden die Grundlage für das Kernstück der Arbeit – die Analyse von qualitativen Interviewdaten. In zwei Abschnitten stellt die Autorin Schlüsselthemen vor, die in Gesprächen mit den Bildner*innen entstanden: 1) Indoktrination in der eigenen pädagogischen Praxis und 2) Strategien zur Förderung von Kompetenzen, die die Lernenden auf den Umgang mit Indoktrination im Allgemeinen vorbereiten.

Bei der Reflexion über Ersteres waren sich die Befragten einig, dass Indoktrination ein zentrales Thema in der Arbeit der Praktiker*innen darstellt. Sie sprachen über den Druck von außen, einen unpolitischen Ansatz in der Civic Education zu erzwingen, um jede Möglichkeit der Gehirnwäsche zu verhindern, auch wenn dies auf Kosten der Entwicklung der politischen Fähigkeiten der Lernenden geschieht. Strategien wie Transparenz, klare wertebasierte Grenzen, eine Kultur des Empowerments und die Konzentration darauf, den Lernenden bei der Wahrheitssuche zu helfen und die bestehenden Systeme infrage zu stellen, werden als Möglichkeiten vorgestellt, eine indoktrinierende Bildungsumgebung ohne eine Vermeidung von Kontroversen zu verhindern. Die Befragten diskutierten auch die Rolle der Lehrenden und äußerten unterschiedliche Meinungen über ihre eigene Verpflichtung zur Neutralität als Bildner*innen sowie die Bedeutung der Selbstüberprüfung.

Trotz des Umstandes, dass Civic Education das Potenzial hat, Lernende zu indoktrinieren, wird auch die wichtige Rolle von Civic Learning als Mittel gegen Indoktrination deutlich. Die vorgestellte Diskussion macht klar, dass es keine singulären Methoden gibt, um die Anfälligkeit für die Einflüsse von Indoktrination auf magische Art verschwinden zu lassen, sondern dass eine große Auswahl von Ansätzen berücksichtigt werden muss. Die Förderung von Konfliktfähigkeit, kritischem Denken, Urteilsfähigkeit, Wirksamkeit (Agency), Kompetenz im Umgang mit Emotionen sowie der Fähigkeit, persönliche Erfahrungen und Haltungen von sich selbst und anderen in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext zu bedenken, sind erforderlich.

Dieses Buch ist kein spezifischer Leitfaden für politische Bildner*innen zum Umgang mit Indoktrination und Propaganda, sondern regt zum Nachdenken über die eigenen Annahmen und Praktiken an und bietet die Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und zu überdenken, inwiefern die Rolle und die Interpretation der Arbeit für die Bildner*innen sowohl hilfreich als auch schädlich sein kann. Die hier dargestellten Einsichten kontextualisieren die Herausforderungen, mit denen unsere modernen demokratischen Gesellschaften konfrontiert sind, und bieten ein wichtiges Forum zum Nachdenken darüber, wie wir eine Vertrauenskultur für die politische Bildung und Civic Education als Lösung und nicht als Instrument der Indoktrination schaffen können.