Theoretische und praktische Herausforderungen für die politische Bildung
Springer VS, 272 Seiten
Weil man die rechtspopulistischen Auffassungen etlicher Wutbürger nicht aus deren Köpfen bekomme, indem sie als antidemokratische „Defizitphänomene“ diskriminiert werden, bedürfe es einer politischen Bildung, die auf argumentative Ideologiekritik setze. Indem politische Bildung sich nämlich auf die krude Eigenlogik der rechtspopulistischen Ideologie einlasse, um deren immanente Widersprüchlichkeit zu kritisieren, könne das rechtspopulistische Gedankengut destruiert werden, sodass der rechtspopulistischen AfD die Anhänger ausgehen. Zudem sei „die Mündigkeit des Bürgers“ als Kernziel politischer Bildung mittels der dominanten „Defizitperspektive“ nicht zu realisieren, da sie lediglich eine hilflose „Moralisierung“ des Phänomens Rechtspopulismus zeitige. Deshalb müsse „Analysekompetenz“ ermöglicht werden, indem „das Verständnis der Logik des Rechtspopulismus im Allgemeinen und rechtspopulistischer Standpunkte in besonderen Politikfeldern“ (S. 25) zum Bestandteil der politischen Bildung werden. Dergestalt stehe im Zentrum ihrer Bemühungen „ein eigenständig denkendes Individuum, das aufgrund eigener Kenntnisse, Haltungen und Interessen sich als politisches Subjekt zu betätigen vermag“ (ebd.), und zwar auch in der Auseinandersetzung mit der menschenunfreundlichen AfD.
Zu diesen bildungspolitischen Erkenntnissen gelangen die Sozialwissenschaftler Lukas Boehnke und Malte Thran im basalen Aufsatz des Sammelbandes „Rechtspopulismus im Fokus“ (S. 9 ff.), den sie zusammen mit Jacob Wunderwald als Herausgeber unlängst den Lehrenden und Studierenden sowie den Praktiker*innen in der politischen Bildung und der Sozialen Arbeit zum Studium vorgelegt haben, um diese Zielgruppen mit lauter guten Argumenten gegen die AfD zu versorgen.
Um Analysekompetenz mittels argumentativer Ideologiekritik zu befördern, kritisiert Jack Weber in seinem Beitrag (S. 31 ff.) populäre Begründungsversuche des Erfolges der Rechtspopulisten, weil sie die rechtspopulistischen Interpretationen von politischen Problemen nicht in den Fokus stellen. Stattdessen bemängeln sie allerlei Defizite bei den Wählern der Rechtspopulisten: Angst, Unsicherheit, Dummheit, Unzufriedenheit, Verführbarkeit. Die Untauglichkeit dieser Deutungsmuster zeigt der Autor auf, indem er zunächst typische Zitate aus Erklärungsversuchen unterbreitet, zu denen er Fragen stellt, sodann (Gegen-)Thesen formuliert, um danach ein Zwischenfazit zu ziehen. Beispielsweise widerlegt er die gängige Erklärung, Bürger*innen agierten rechtspopulistisch, weil sie Angst vor Fremden hätten, dergestalt, dass er einen Angstforscher zitiert: Da Ängste auch im primitiven Teil des Gehirns verarbeitet werden, der im Gegensatz zum intelligenten Teil rationalen Argumenten nicht zugänglich sei, könnten Demagogen „primitive Ängste wie Xenophobie leicht auslösen und für sich ausnutzen“ (S. 33). Dass dieser Erklärungsversuch einen argen Widerspruch beinhaltet, moniert Weber in seiner dritten (Gegen-)These: „Wenn bei allen Menschen diese physiologische Festlegung auf rechtes Gedankengut bzw. auf primitive Urängste vorhanden ist, dann ist nicht schlüssig zu erklären, warum die einen den rechten Gedanken fassen und teilen und die anderen, die über dieselben Hirnteile verfügen und auch ‚Urängste‘ in sich tragen sollen, nicht.“ (S. 35) In Anbetracht der Untauglichkeit populärer Deutungsmuster zieht Weber das Fazit, dass man den rechtspopulistischen Wählern die Urteilsfähigkeit nicht absprechen sollte. Vielmehr müsse man zur Kenntnis nehmen, dass sie den rechtspopulistischen Demagogen folgen, weil sie deren politische Ansichten für richtig halten. Die Konsequenz daraus sei, „dass an der argumentativen Auseinandersetzung mit diesen politischen Überzeugungen, mit Nationalismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, im Kampf gegen den Rechtsruck kein Weg vorbeiführt.“ (S. 49)
Auf welche Weise die argumentative Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Interpretationen gesellschaftlicher Phänomene geführt werden kann, lässt sich zum Beispiel in Ina Schildbachs Beitrag (S. 73 ff.) studieren, der sich damit befasst, wie AfD-Ideologen systemische Armut für ihre Agitation instrumentalisieren und was politische Bildung dagegen tun könne. Dabei entfaltet die Autorin eine Kritik an der nationalistischen, aber auch an der staatsfunktionalen Perspektive auf Armut, die in der politischen Bildung vorherrsche. Hingewiesen sei schließlich auf den Aufsatz von Lara Möller (S. 215 ff.), der ein weiteres Highlight des Buches ist, in dem die Autorin das „Interventionspotenzial“ politischer Bildung thematisiert, wodurch auch den Praktiker*innen in der außerschulischen Bildung geholfen werden könnte.
Dass aber die völkisch-nationalistische AfD gestoppt werden könne, indem lediglich ideologietheoretische Analysekompetenz vermittelt wird, mutet einigermaßen idealistisch an. Deshalb plädiert beispielsweise Klaus Dörre materialistisch dafür, dass die Ideologiekritik ergänzt werden müsse durch eine „inklusive demokratische Klassenpolitik“, in deren Zentrum die Interessenvertretung aller Lohnabhängigen steht (siehe AB 4/2019, S. 69 f.).