Außerschulische Bildung 1/2020

Marianne Bechhaus-Gerst/Joachim Zeller (Hrsg.): Deutschland postkolonial?

Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit

Die aktuelle, öffentliche Debatte um die Bewertung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands dreht sich um die Rückgabe von menschlichen Überresten aus den ehemaligen Kolonien, um die Konzeption des Humboldtforums in Berlin und um die Frage nach der Anerkennung des Genozids von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia. Diese Aktualität nimmt der vorliegende Band auf, spannt aber einen großen historischen sowie erkenntnistheoretischen Bogen von der kolonialen Vergangenheit hin zu deren gegenwärtigen Auswirkungen.

Deutschland kann nach Ansicht der Herausgeberin/des Herausgebers nicht auf eine relativ kurze und damit harmlose Kolonialgeschichte verweisen. Auch diese war grausam. Es war „eine Gewaltherrschaft, die durch eine christlich verbrämte imperialistische Philanthropie kaum abgemildert wurde.“ (S. 14)

Mit dem Begriff postkolonial verbinden Bechhaus-Gerst/Zeller kein chronologisches sondern ein kulturkritisches Verständnis. Die Vorsilbe „post“ soll keine abgeschlossene Epoche ausdrücken. Es geht ihnen sowohl um die Dekolonisierung realer, internationaler Machtverhältnisse, als auch um die Dekolonisierung der Wissens- und Deutungshoheit des Westens. Dementsprechend beantworten sie das Fragezeichen im Titel mit dem Untertitel: Sie verweisen auf die Gegenwart der imperialen Vergangenheit in den gegenwärtigen Verhältnissen. Das Fragezeichen im Titel meint, dass Deutschland faktisch eine postkoloniale Gesellschaft ist, aber dies kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert ist.

Unter Verweis auf Jürgen Osterhammel interpretieren Bechhaus-Gerst/Zeller den gegenwärtigen xenophoben Nationalismus nicht als Ausdruck neoimperialer Expansionsgedanken, sondern als Ausdruck postimperialer Abwehrhaltung. Deutschlands gesellschaftliche Mitte, so unter Berufung auf Stephan Lessenich, scheine diesem Abwehrmechanismus zu folgen, indem vor Überfremdung etc. gewarnt wird. Unter den Parolen „Afrika den Afrikanern“ und dementsprechend „Deutschland den Deutschen“ verberge sich ein völkisch rassistisches Gedankengut, so die Herausgeber. Sie widersprechen der Annahme, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, sondern befürworten eine plurale und tolerante Gesellschaft.