Außerschulische Bildung 4/2021

Martin Endreß/Sylke Nissen/Georg Vobruba: Aktualität der Demokratie

Strukturprobleme und Perspektiven

Wer kennt sie nicht, die Ausrufe „Demokratie in der Krise“ bis hin zum Propagieren des Endes der Demokratie. Und zweifelsohne gibt es viele Entwicklungen, die Sorge bereiten und Anlässe bieten, über die aktuelle Verfasstheit unserer Demokratie sowie ihre grundsätzliche Verfasstheit nachzudenken. In der politischen Bildungsarbeit stellen sich diese Fragen allemal: zum einen, weil sie von Teilnehmenden in Diskurse eingebracht werden, zum anderen, weil es die genuine Aufgabe politischer Bildung ist, das Demokratieverständnis der Bürger*innen zu fördern.

In dem 155-seitigen Band, basierend auf einem Workshop, werden interessante Beiträge vereint, die zum Nachdenken anregen und fundierte Antworten geben, wie die Eingangsfragen analytisch beantwortet werden können und welche Folgerungen sich daraus ergeben. Dabei ist es den Autor*innen wichtig, bereits im Vorwort Position zu beziehen: „Es geht uns nicht um Entwarnung, sondern darum, die demokratiepolitische Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu richten: Demokratie ist kein Besitzstand, dessen man sich ein für alle Mal sicher sein kann.“ (S. 9)

Im ersten Teil des Bandes geht Martin Endreß dem historischen Vergleichspunkt „Weimar“ nach. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass die vielfach bemühten historischen Vergleiche überzeichnen. Vielmehr können soziologische Perspektiven helfen, strukturelle Schwächen der Gegenwart durch den Vergleich mit „Weimar“ zu erkennen. Das Dauerthema „Krise der Demokratie“ ist dann nicht mehr als „Krise“ anzusehen, sondern als „Routine“ der Demokratie: Dies ist ein Plädoyer für Pluralität und Ambiguität im Unterschied zur Propagierung von Einheit und Eindeutigkeit. Strukturell sei Demokratie auf Meinungsvielfalt angewiesen, sowie auf öffentliche Konfliktaustragung und eine effektive, immer wieder neu zu justierende Gleichheit der Bürger*innen. Demokratie ist demnach als ein „unvollendbares Projekt“, als „unabschließbarer Prozess“ zu begreifen. Nicht Apathie, nicht Alarmismus, sondern Aktivität – so das Plädoyer des ersten Teils (S. 52).

Der Frage, wie sich dies realisieren lässt, geht Sylke Nissen in Teil 2 nach: „Zur Ambivalenz von Bürgerbeteiligung“. Wie der Titel verrät, werden nicht nur Vorzüge aufgezeigt, sondern auch negative Konsequenzen. Angefangen mit der inhaltlichen Entwicklung dessen, was mit Begrifflichkeiten wie konventionelle und unkonventionelle Bürgerbeteiligung und Partizipation im historischen Kontext seit den 70er Jahren gemeint ist, dem Rückgang der Wahlbeteiligung und Parteienzugehörigkeit, werden die Schattenseiten neuerer politischer Partizipationsformen (Instrumentalisierung, Selektivität) benannt und Erfolgsvoraussetzungen aufgelistet. Doch selbst bei Berücksichtigung von Gelingensbedingungen (Offenheit, Fairness und Transparenz) bleibt die Frage schwer zu überprüfen: „Werden die Anliegen der (Selbst-)Exkludierten von den Partizipierenden mitverfolgt oder mitberücksichtigt werden?“ (S. 94) So kommt die Autorin zu dem Schluss: „Es bleibt dabei, dass das demokratische System positive Rechte gewährt, aber nicht für alle Bürger die Voraussetzungen schafft, diese zu nutzen.“ (S. 95) Und daher sieht sie in allgemeinen, unmittelbaren, freien gleichen und geheimen Wahlen weiterhin das zentrale Element für politische Beteiligung.