Außerschulische Bildung 3/2021

Meltem Kulaçatan/Harry Harun Behr (Hrsg.): Migration, Religion, Gender und Bildung

Beiträge zu einem erweiterten Verständnis von Intersektionalität

In dem von Meltem Kulaçatan und Harry Harun Behr herausgegebenen Band stellen 15 Autor*innen ihre Forschungsergebnisse vor. Harry Harun Behr leitet mit einem höchst reflektierten Essay ein. Religion ist neben „Class“, „Gender“ und „Race“ zentrales Thema gesellschaftlicher Konflikte, allerdings werden „Race“ und „Religion“ oft miteinander vermengt, indem Menschen, denen eine orientalische, konkret: arabische oder türkische Herkunft zugewiesen wird, pauschal als Muslim*innen gelesen werden.

Harry Harun Behr versteht sein Vorgehen als „das, was Frantz Fanon als ‚klinische Studie‘ bezeichnen würde. Ich blicke auf Befindlichkeiten und Befremdlichkeiten, wenn von Muslim*innen als Rasse und Ethnie, von fremden Frauen und Männern und von muslimischen Jugendlichen wie von einer entfremdeten Sozialgattung die Rede ist.“ (S. 22) Die Diagnose: „Eines der Kernprobleme in Deutschland ist (…) das Fehlen einer religionspolitischen Vision, die vonseiten der Zivilgesellschaft offen verhandelt und aktiv gestaltet werden müsste.“ (S. 26)

Wir erleben die „unselige Verschmelzung von Migrations- und Islamfragen“, eine „Verdinglichung von Muslim*innen zur sozialen Entität“ (S. 27). Die Vokabel „wir“ gilt ausschließlich für die „Gesellschaft der Ansässigen“, Muslim*innen werden ausgeschlossen, so im Masterplan Integration 2018 des Bundesinnenministeriums: „Von allen Zuwanderern erwarten wir eine Identifikation mit unserem Land und die Anerkennung unserer Werte und Lebensweise.“ (S. 28) Diese Formulierung adressiert nicht nur „Zuwanderer“, auch diejenigen, die schon lange in Deutschland leben und von denen viele einen deutschen Pass haben.

Die durchgehende Abwertung und Exklusion von Muslim*innen – anlässlich der beunruhigenden Ergebnisse der Bielefelder Mitte-Studien und der Leipziger Autoritarismus-Studien könnte man von Muslim-Bashing sprechen – begann 2011 mit dem Buch vom sich abschaffenden Deutschland, das als Testlauf gelesen werden kann, „wie weit man mit der Absage an den Anstand gehen kann, was der Öffentlichkeit zumutbar ist, mit welchen Kaskadeneffekten zu rechnen ist und ab welchem Gradienten des Unaussprechlichen der mögliche Widerstand aus der bürgerlichen Mitte wahlgefährlich wird.“ (S. 58 f.) Die Kölner Silvesternacht wirkte als Brandbeschleuniger, der AfD gelang muslimfeindliches Agendasetting, dem auch andere Parteien verfielen.