Außerschulische Bildung 2/2024

Meron Mendel/Saba-Nur Cheema/Sina Arnold (Hrsg.): Frenemies

Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen

Der vorliegende Sammelband ist nicht mehr ganz neu, aber er hat (leider) an Aktualität nichts verloren: In welchem Verhältnis stehen eigentlich Bekämpfung des Antisemitismus und Bekämpfung des Rassismus zueinander? Die Texte reagieren stark auf die Debatten rund um die Skandal-Documenta 2022, aber auch und gerade nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 erweist sich die Relevanz dieser Sammlung. Beide „Gegner“ sind doch menschenfeindliche Ideologien und Einstellungen, warum ist das also nicht ein gemeinsamer Kampf? Diese freundliche Annahme ist während der letzten Monate immer wieder zersplittert, wo „antikoloniale“ Streiter*innen ihren Judenhass in Solidarität mit Israel-Vernichtungswünschen verpackten, wütende und akademisch gebildete Menschen „Free Gaza from German guilt!“ skandierten, wo eine Berliner Wissenschaftssenatorin jüdische Knochenbrüche als Teil diskursiver Vielfalt deutete, wo die heftigen Kontroversen um die „richtige“ Antisemitismus-Definition immer wieder aufflammten usw.

Die Herausgeber*innen mussten feststellen, dass auch ihr Projekt in dieses „Minenfeld“ geriet, weil nicht jeder und jede mit den geplanten Ko-Autorinnen in einem Buchdeckel präsent sein wollte, und nennen daher etwas kokett den Plan gescheitert. (Die zurückgezogenen Texte sind im Netz nachzulesen, etwa im Portal hagalil.com.).

Jeder Sammelband ist eine Herausforderung fürs Rezensieren, doch in diesem Fall machen es 48 Beiträge aus Forschung, Bildungsarbeit, sozialen Bewegungen vollkommen aussichtslos, ins Detail zu gehen. Nur die Themenfelder und Fragehorizonte seien deshalb hier umrissen: Wir finden allgemeine Skizzen über Rassismus und Antisemitismus, Kontroverses über „Israelkritik“, Zionismus und die Boykottkampagne BDS, Islamkritik und Kolonialismus, die Chancen von Dialog und Bildungsarbeit, über die spezifischen Betroffenheiten im Kunstsektor und die Schwierigkeiten der Justiz mit Menschenfeindlichkeit. Einige Beiträge blicken vergleichend über die deutschen Grenzen hinweg in die USA, nach Israel, Frankreich und Südafrika.

Einige der – wie gesagt: durchaus widersprüchlichen – Thesen, Streitpunkte und Fragen: In der gewöhnlichen deutschen Selbstzufriedenheit ist die Anfrage, wer überhaupt eine Chance der Mitsprache bei den Geschichtsbildern hat, sehr angebracht. „Opferkonkurrenzen“ bleiben da nicht aus, aus denen auch „die“ Wissenschaft nicht wirklich hinausführt. Mit wem kann oder muss man solidarisch sein, wenn die Opfer der Geschichte gewürdigt werden sollen? Sollte es gegenüber der BDS-Bewegung so etwas wie „Kontaktschuld“ geben, eine Denkfigur, die Liberale und Linke anlässlich der Berufsverbote-Diskussionen vehement zurückgewiesen haben? Wer einsieht, dass mit dem Begriff des israelbezogenen Antisemitismus gelegentlich Missbrauch betrieben wird, muss aber diese Kategorie trotzdem nicht verwerfen. Und wer vertritt, dass Kommunikationsverweigerung eine legitime Strategie sein sollte, kann nicht ernstlich als Intellektueller auftreten. Antisemitismus unter Muslim*innen kann ontologisiert werden oder differenziert aufgenommen werden. Wie aber wäre antimuslimischer Rassismus von notwendiger Islamismuskritik zu unterscheiden? Die Redeweise vom „globalen Süden“, dessen Perspektive nun endlich in die Wahrnehmung gerückt werden soll, verkennt Riesen-Divergenzen, homogenisiert erneut die „fremden Wilden“ und lädt zu einem neuen Schwarz-Weiß-Denken ein. Zur seriösen Diskussionsgrundlage sollte gehören, dass nicht alle diese Konflikte auflösbar sind, dass legitime Rechte verschiedener Gruppen (und erst recht: Individuen!) kollidieren können. Mögliche Allianzen von diskriminierten Gruppen müssen also wohl nicht für die Ewigkeit haltbar sein, sind vielleicht nur situativ machbar?