Außerschulische Bildung 2/2022

Michael Dietrich/Björn Friedrich/Sebastian Ring (Hrsg.): Medien bilden Werte

Digitalisierung als pädagogische Aufgabe

München 2020
kopaed Verlag, 340 Seiten
 von Albert Fußmann

Sammelbände sind für den/die Leser*in nicht immer ein Vergnügen: Oft sind die Beiträge von zu unterschiedlicher Qualität, unterschiedlicher Diktion, unterschiedlichem sprachlichen Stil oder voller Redundanzen.

Davor ist auch der hier besprochene Band nicht ganz gefeit. Und dennoch: Ein äußerst lesenswertes Buch ist da erschienen, aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Münchener Netzwerks Interaktiv.

Da gibt es, zumindest für die etwas ältere Leserschaft, ein Eintauchen in 25 Jahre Zeitgeschichte, in die dynamische Entwicklung der digitalen Medien – nichts weniger als eine Revolution unserer gesamten Kommunikation – samt ihrer kritischen pädagogischen Begleitmusik. Und welch langer Weg es zur Akzeptanz dieser Medien war, die jetzt während der Pandemie aus traurigem Anlass heraus nicht mehr hinterfragt werden!

In München standen aber am Anfang der 1990er Jahre weitsichtige Kulturpädagogen wie Wolfgang Zacharias und Heimo Liebig, die von Anfang an die Potenziale dieses Mediums erkannten. Und damit war eine Entwicklung vorgezeichnet, die ein besonderes Merkmal des Netzwerk Interaktiv auszeichnet: Nicht der Furor vor den Veränderungen, nicht das abwägende „einerseits Risiken andererseits Möglichkeiten“, standen als Pate und Leitgedanke für das Projekt, sondern die Idee der kreativen Aneignung, begleitet von den Vorstellungen einer kritischen Medienkompetenz im Rückgriff auf Dietmar Baacke.

Ein weiteres Merkmal dieses Netzwerks ist die Tatsache, dass auf diese Weise über die Jahre ein umfassendes kommunales Bildungsnetzwerk entstanden ist aus vielen freien und öffentlichen Trägern, koordiniert und mitfinanziert durch die Stadt München: Institutionen von Kulturarbeit und Medienpädagogik, die Volkshochschule, die Jugendarbeit, die Stadtbibliothek, Einrichtungen der beruflichen Weiterbildung. Und jedes Jahr kommen weitere Einrichtungen und Projekte hinzu, wohl ein Beweis dafür, wie dynamisch funktionierende Netzwerke agieren können.

In einem weiteren Abschnitt des Buches sind unter der Überschrift „Gesellschaft in einer digitalisierten Welt – im Gespräch“ vier gut lesbare Interviews mit Markus Beckedahl, Marina Weisband, Dirk von Gehlen und Richard Gutjahr aufgeführt (S. 95–123). Diese Interviews basieren auf identischen Fragen, und somit ist es besonders interessant, wie verschieden diese Experten des digitalen Wandels bestimmte Aspekte betonen. So erinnert Dirk von Gehlen an die Grundidee des Internets: „Sie basiert auf dem Verbinden und dem Überbrücken von Grenzen“ (S. 109) – auch wenn, typisch Medien, Negatives mehr als Positives thematisiert wird. Beckedahl und Weisband formulieren den Anspruch, dass Medienkompetenz mehr ist als Nutzungskompetenz. Es ist auch ein Instrument, die Gesellschaft positiv zu gestalten.

In der weiteren Konkretisierung wird dieser Anspruch heruntergebrochen auf die Felder Schule, Soziale Arbeit und Jugendarbeit. So stellt Martin Holzner fest, dass Medienkompetenz eine Querschnittsaufgabe der Jugendarbeit und nicht nur ein separierter Arbeitsbereich sei (S. 143). In einigen Jahren wird diese Aussage sicher eine Binse sein, aber es war ein langer Weg dorthin.

Auch wenn das Interaktiv-Netzwerk den Fokus nicht auf den Jugendmedienschutz legt, so taucht an einigen Stellen doch eine medienpädagogisch-kritische Haltung auf, die an den Ansatz von Neill Postman anknüpft und die Frage stellt, ob noch eine Kindheit vorstellbar ist, wenn es keine Geheimnisse mehr gibt. Und auch Heimo Liebich, der als Mitglied des Stadtrats das Netzwerk immer kräftig unterstützt hat, mahnt an, dass die Medienkompetenz nicht dem Verlust des Primats der Pädagogik Vorschub leisten dürfe.

Auf fast 150 Seiten werden im Buch unterschiedlichste aktuelle medienpädagogische Projekte in München vorgestellt: mehr als 30 an der Zahl, von politischen und künstlerischen Projekten über Beteiligungsprojekte bis zu Games und Podcasts. Die einzelnen Projekte werden in aller Kürze dargestellt, und wer sich angesprochen fühlt, kann sich über die angegebenen Weblinks vertiefend damit beschäftigen.

Insgesamt handelt es sich um ein sehr umfassendes Buch, das für alle Medien- und Kulturpädagogen*innen interessant sein dürfte, aber auch für alle, die sich informieren wollen, wie sich aus einer zündenden, weit vorausschauenden Idee eine kommunale Bildungslandschaft entwickelt hat.

Einzig der Titel ist ein wenig irreführend bzw. bemüht, denn es geht weniger um Werte, vielmehr um die aktive Aneignung und Veränderung digitaler Entwicklungen.

Bleibt zu hoffen, dass ein Wunsch des Interaktiv-Netzwerks, ein eigenes Medienkulturzentrum, bis zu seiner Realisierung nicht noch weiterer 25 Jahre bedarf.

Albert Fußmann, Diplompädagoge und Schreiner, 1998–2019 Leiter des Instituts für Jugendarbeit in Gauting, der Fortbildungseinrichtung des Bayerischen Jugendring.
Transparenzhinweis: Der Verfasser dieser Zeilen war während seiner Tätigkeit als Leiter des Instituts für Jugendarbeit über viele Jahre selbst Teil dieses Netzwerks.