Außerschulische Bildung 4/2020

Naika Foroutan: Die postmigrantische Gesellschaft

Ein Versprechen der pluralen Demokratie

Der erste Satz diagnostiziert: „Die deutsche Gesellschaft ist polarisiert.“ Die gesellschaftlichen Debatten zeugen von „Gereiztheit“, es gibt „eine teilweise dystopische Stimmung (…) in akutem Identitätsstress.“ Als Ursachen gelten u. a. „Globalisierungsängste“, „Elitenkritik“, „Islamisierungsängste“ (S. 11 f.).

Naika Foroutan bietet einen ausgezeichneten Überblick über Forschungslage und politische Debatten aus der Perspektive des Themas „Migration“, die „nach demographischen Parametern zu einem Wesensmerkmal der gesellschaftlichen Realität geworden“ ist. (S. 73) Sie möchte die Bedeutung des Themas relativieren, denn „die große Gereiztheit liegt vielmehr daran, am eigenen Anspruch einer weltoffenen, aufgeklärten Demokratie zu scheitern. Die Migration ist dabei der Spiegel, in dem wir diese Gewissheit erkennen: Wir sind hässlich geworden und wir schieben die Wut auf den Boten, der uns das übermittelt.“ (S. 13)

Die Autorin definiert den Begriff des „Postmigrantischen“ neu, den Shermin Langhoff im Berliner Ballhaus Naunynstraße eingeführt und popularisiert hatte. „Das Postmigrantische verweist auf eine stetige Hybridisierung und Pluralisierung von Gesellschaften, die zwar nicht allein durch Migration erzeugt, jedoch an ihr entlang verhandelt werden.“ (S. 49) Ihr geht es nicht um das (Selbst-)Bewusstsein der zweiten und dritten Generation ein- und zugewanderter Menschen, sondern um das unerfüllte Gleichheitsversprechen demokratischer Gesellschaften. „Die Gesellschaft scheitert nicht an der Migration – sondern post-migrantisch: am Umgang mit der Gleichheitsfrage, die durch die Migration pars pro toto gestellt wird.“ (S. 215)

Es geht um „Pluralität“ und die Auflösung von Hierarchien zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur zwischen Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen, auch zwischen Männern und Frauen, West- und Ostdeutschen, Stadt- und Landbewohner*innen. „Pluralität“ und die damit verbundene Anerkennung der Rechte von Minderheiten sowie soziale Gleichheit sind somit zwei Seiten derselben Medaille.