Eine Einführung in Anwendungsfelder, Akteure und internationale Ansätze
Keinem von uns wird das Wissen um Wege zur Teilhabe und Methoden der Mitbestimmung in die Wiege gelegt. Was bei uns politische Bildung heißt (und in den USA noch treffender citizenship education), beschreibt einen grundlegenden Bedarf demokratisch verfasster Staaten an der Ausbildung mündiger und zugleich kritischer Staatsbürger*innen. Denn Demokratien und ihre Bürger*innen brauchen einander in gleichem Maß. Es liegt daher in der Staatsraison von Demokratien, ihre Bürger*innen in der kritischen Beteiligung an politischen Prozessen auszubilden. Deswegen ist politische Bildung ein Schulfach.
Politische Bildung erfüllt aber nicht nur staatstragende Zwecke. In Zeiten zunehmender Polarisierung und immer individuelleren Identitätsentwürfen werden Kompromisse mühsamer und wird der Zusammenhalt geringer. Hier kann politische Bildung zeigen, wie und wo Gemeinsamkeiten auch bei unterschiedlichen Interessenslagen gefunden werden können. Politische Bildung vermittelt nicht nur Methoden. Sie ermuntert zur Aktivität. Deswegen gibt es viele non-formale und informelle Angebote der politischen Bildung.
Weil politische Bildung eine Querschnittsaufgabe vieler Unterrichtsfächer und weil sie eine gesellschaftliche Kernaufgabe ist, müssen wir jene, die in Schulen, Stiftungen und Europa-Häusern daran arbeiten, gute Instrumente an die Hand geben. Eines davon ist die Einführung von Nina Kolleck. Ihr übersichtliches, gut zugängliches Buch gliedert sich nach Einleitung und Begriffsklärung in vier thematische Kapitel, die mit Hinweisen zu multimedialen Informationen und Übungsfragen angereichert sind. Kolleck stellt der wachsenden Beachtung der politischen Bildung im Akademischen hier als Schwerpunkt den Blick auf ihre breiteren, gesellschaftlichen Aufgaben zur Seite.
Nach der Definition zentraler Begriffe wie Politik, Bildung, Erziehung samt historischer Zusammenhänge und Mehrdeutigkeiten widmet sich Kolleck der Demokratiebildung. Sie garniert ihren Exkurs mit Bezügen zu Themen aktueller Bildungspolitik, zum Komplex Flucht und politische Bildung und zur Querdenker-Bewegung. Auch der Beutelsbacher Konsens, dieses merkwürdig kurze Ergebnis einer Konferenz der späten Sechzigerjahre, fehlt nicht. Er fixiert noch immer, wie wir uns die gute Ausbildung von Staatsbürger*innen vorstellen, indem er auflistet: Teilnehmende nicht mit Meinung und Einseitigkeit überwältigen, Kontroversen aufzeigen und sich in Methode und Inhalt an der Lebenswirklichkeit der Teilnehmenden orientieren. So kurz, so leicht? Nein. Denn politische Bildung muss Stellung beziehen, wenn Differenzierung als Schwäche ausgelegt wird. Dann muss sie deutlich machen, dass politische Neutralität nicht Werteneutralität ist. Ausgewogenheit heißt zudem nicht, Wissenschaftsleugner*innen oder Rassist*innen mit vermeintlichen Gegenmeinungen oder unter dem Mantel freier Meinungsäußerung die Bühne zu bereiten.