Außerschulische Bildung 4/2020

Philip Manow: (Ent-)Demokratisierung der Demokratie

Ein Essay

Eine Krise der Demokratie wird schon länger und in unterschiedlicher Ausdeutung diagnostiziert. Auf den ersten Blick scheint der Bremer Politikwissenschaftler Philip Manow nur eine weitere Facette hinzuzufügen. Sein im essayistischen Stil gehaltener und bisweilen auf den ersten Blick sonderbar argumentierender Beitrag enthält aber interessante Beobachtungen, Perspektivwechsel und Thesen, schlägt einige Volten und enthält auch Widersprüche, aber all dies macht die Lektüre umso lohnenswerter, auch weil so manche verbreitete und mittlerweile stereotyp gewordene Interpretation hinterfragt wird. Dazu gehört u. a. das Paradigma von der Postdemokratie, das die Aushöhlung bzw. Okkupation demokratischer Formen durch technokratische und wirtschaftliche Eliten konstatiert: Die Demokratie inszeniert sich zwar noch als solche, ist aber längst nur noch ein Schatten derselben.

Manows Gegenthese lautet, dass das aktuelle Problem unter anderem in einer zum Teil paradox verlaufenden Demokratisierung der Demokratie besteht, also in einer Steigerung des inhärenten Potenzials der Freisetzung von Mitsprache- und Anerkennungsansprüchen in der Gesellschaft und in den politischen Parteien.

Er demonstriert das zum einen am Beispiel der Parteiendemokratie. Parteien zerlegen sich und ihre erprobten Kommunikationswege, es erfolgt eine sukzessive Zerstörung von innen aber auch unterstützt von außen etwa durch die sozialen Medien. Manow erläutert dies anschaulich am Beispiel der Labour-Partei in Großbritannien, der Republikaner in den USA, der SPD und an der teilweisen Implosion des Parteiensystems in Frankreich. In den USA z. B. kann die republikanische Partei offenbar ihre Nominierungsverfahren kaum mehr steuern, der später erfolgreiche Präsidentschaftskandidat Trump machte eine Politik an der Partei vorbei in den verschiedenen Medienöffentlichkeiten.

Auch werden in manchen westeuropäischen Gesellschaften die Parteien durch die zunehmende Entkoppelung von (traditionellen) Milieus und aufgrund ihrer engen Verwobenheit mit dem Staat und den damit verbundenen Kompromissen immer weniger unterscheidbar. Gleichzeitig verschärfen sich aber die Konflikte innerhalb der Parteien. Die SPD etwa hat eine zunehmende Zahl an Mitgliedervoten praktiziert und versucht, so die parteiinterne Demokratie und Legitimationsbasis zu stärken, was Manow umgekehrt aber auch als eine Entfernung der Partei von der Gesellschaft und eine Schwächung der Parteienkonkurrenz interpretiert. Denn mit der Inflation der innerparteilichen Selbstbefragungen werden die bisherigen Zwischenstufen von Kontrolle und Rücküberlegungen zunehmend ausgeschaltet.