Außerschulische Bildung 2/2022

Sabine Achour/Thomas Gill (Hrsg.): Politische Bildung und Flucht

Ein Paradigmenwechsel?!

Ich bin mir nicht sicher, ob die im Untertitel enthaltene Frage beantwortbar ist. Unbestritten ist, dass mit Ein- und Zugewanderten sich die Gegenstände politischer Bildung erweitert haben und eine neue Zielgruppe entstanden ist. Maria do Mar Castro Varela hat die Entdeckung dieser Zielgruppe mit der „Re-Education“ der Nachkriegszeit verglichen und moniert, dass Zugewanderte nicht als Subjekte, sondern als Objekte politischer Bildung betrachtet würden. Sie sind die „‚unzivilisierten‘ Anderen“, die Deutschen sonnen sich in der „Position der ‚Zivilisierenden‘“ (In: Außerschulische Bildung 2/2021, S. 58).

Das von Sabine Achour und Thomas Gill herausgegebene Buch enthält elf grundlegende Texte und 14 Projektbeispiele. Mehrere Autor*innen beklagen, dass politische Bildung auf Projektförderung angewiesen ist. Dies ist ein grundsätzliches Problem. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Bundesregierung das angekündigte Demokratiefördergesetz bis heute nicht vorgelegt hat. Verlässliche Planung sieht anders aus.

Die Grundlagentexte des Buches bieten eine vorzügliche Palette der Anforderungen an eine partizipativ und nachhaltig angelegte politische Bildung. Sabine Achour: „In Zukunft kann nicht ad hoc immer wieder auf verschiedene Gruppen reagiert werden. Um unabhängig von Fluchtmigration und Herkunft Menschen individuell und inklusiv begleiten zu können, müssen existierende Strukturen im Kontext Arbeit und Bildung entsprechend der initiierten Prozesse der Multiprofessionalisierung und der Investitionen in Betreuungskapazitäten weiterentwickelt werden. Allerdings haben all die gestarteten Projekte eine beschränkte Laufzeit. Für ein nachhaltiges Angebot bedarf es einer dauerhaften Finanzierung und Regelstrukturen (…).“ (S. 25)

Rebecca Arbter und Ina Bielenberg unterstreichen diese Analyse: „Es kann rückblickend nur eingeschränkt von einer systematischen (…) Entwicklung von Angeboten der außerschulischen politischen Bildung für Geflüchtete gesprochen werden.“ (S. 79) Wenn es nicht gelingt, „mit“ und nicht nur „für“ Geflüchtete zu arbeiten, werden die gewünschten Ergebnisse nicht erreicht. Die beiden Autorinnen fordern, „Demokratiebildung als Selbstaneignung zu ermöglichen und nicht durch eine verengte Demokratieerziehung zu ersetzen.“ (S. 86) Viele Ansätze gehen jedoch davon aus, als wüssten nur wir in Deutschland als Angehörige der Mehrheits- bzw. Aufnahmegesellschaft, wie Demokratie funktioniert.