Außerschulische Bildung 3/2022

Schäfer, Stefan: Internationale Jugendarbeit und politische Theorie

Diskurse und Perspektiven

Frankfurt am Main 2021 (Reihe: Non-formale politische Bildung)
Wochenschau Verlag, 160 Seiten
 von Georg Pirker

Internationale Jugendbegegnungen und -austausche sind seit mehreren Jahren ein in Deutschland vergleichsweise intensiv beforschtes Feld. Sie stellen im Fachdiskurs ein Mischwesen dar, welches zwischen dem Anspruch, ein eigenständiges Arbeitsfeld zu bilden und Teil eines interdisziplinären Feldes von Jugendarbeit zu sein, diskursiv mäandert.

Stefan Schäfers lesenswerte Abhandlung zu internationaler Jugendarbeit (IJA) und politischer Theorie ist für die Praxis politischer Bildung genauso wie für die internationale Jugendarbeit ein wichtiges Buch. Dem Anspruch eines eigenständigen Arbeitsfelds IJA folgend müssten Fragen nach einem eigenständigen Diskurs und nach Theoriebildung folgen. Ein einführender kurzer Abriss verdeutlicht die prägenden Leitdiskurse der IJA in Deutschland und den Spagat zwischen pädagogischer Praxis und politischer Vereinnahmung bzw. auch diskursiven Leitgedanken, den die Fachdisziplin internationale Begegnungsarbeit vor dem Hintergrund des „versäulten“ deutschen Jugendarbeitsmodells vertritt: Völkerverständigung, interkulturelles Lernen, Diversitätsbewusstsein, reflexive Internationalität, die politische Dimension in der IJA. Vom Gedanken einer wissenschaftlich vielleicht wünschenswerten Kanonbildung, die Internationale Arbeit operationalisiert und somit theoretisierbar macht und – ultima ratio – zur Etablierung einer eigenen Disziplin führt, ist IJA weit entfernt, so wird den Lesern*innen verdeutlicht. Zugleich entzieht sie sich, aufgrund der sie im internationalen Kontext gestaltenden Akteur*innen und deren subjektiven Logiken und Handlungsdispositionen, einer politischen Vereinnahmung i. S. nationaler jugendpolitischer oder fachlicher Festlegungen.

Also, wo diskursiv anknüpfen? Stefan Schäfer entwickelt einen „catchy“ Gedanken, indem er auslotet, inwiefern Internationale Jugendarbeit an Theoriebildung politischer und erziehungswissenschaftlicher Theorien orientiert ist, bzw. wo hierdurch Bezugsräume geschaffen werden können. Er eröffnet den Leser*innen dabei gleichzeitig Zugänge zu politischen, programmatischen, aber auch bildungsdiskursiven Setzungen und Festlegungen, die auch internationalen Austausch oft unhinterfragt programmieren. Auf diese Weise ermöglicht er, vermeintliche Gegebenheiten von Jugendbildungsarbeit fragend zu irritieren, beispielsweise Output-Orientierung, Kompetenzorientierung, aber auch den Anspruch, zu Demokratie und Partizipation beizutragen.

Die Kapitel über politische und erziehungswissenschaftliche Theorien lesen sich im besten Moment wie Phillip Felschs „Langer Sommer der Theorie“ und eröffnen auch fachfremden Interessierten einen stringenten und nachvollziehbaren Zugang zu Grundfragen politischen Bildens im Sinne eines pädagogischen Imperativs, kontingente Sphären, also Möglichkeitsräume des Politischen zu schaffen, um Demokratie als kontingentes Aushandlungsfeld, genauso wie als Feld politischer Selbstwirksamkeitserfahrung zu eröffnen – als Feld, den Widerspruch zu Politik und dem Politischen konsequent auszudeuten. Internationale Jugendarbeit ist – und hier finde ich als internationaler politischer Bildner meinen Zugang – Menschenrechten und globaler Gerechtigkeit verpflichtet, sie ist nicht anders als emanzipatorisch begründbar und bedarf i. S. Ahrends einer konsequent hierarchie- und machtkritischen sowie Privilegien hinterfragenden Herangehensweise.

Zurück zur Theorie: Schäfers Ableitung und Verknüpfung bspw. mit italienischen, französischen und amerikanischen Vertreter*innen politischer und erziehungswissenschaftlicher Theorie unterstreicht eindrucksvoll, worum es bei IJA in der Praxis eigentlich gehen sollte: um interdisziplinäres und globales wechselseitiges und gleichberechtigtes Aufnehmen, Auseinandersetzen und Bearbeiten, das angetrieben wird durch die pädagogische Eröffnung von Räumen, in denen Politik erfahren werden kann. Das bleibende Moment bei der Lektüre ist für mich ganz subjektiv nachzuvollziehen, wie eng verwoben der globale Diskurs politischer und erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung ist. Sollte es da nicht Anspruch und Praxis gerade der IJA sein, die eine solche Verwobenheit und Reziprozität von Theorie und Praxis verstärkt einforderte anstatt diese in der x-ten deutschen Fachpublikation auszudeuten? Den Diskurs in IJA wie auch der politischen Bildung als eine Fachdisziplin im lediglich deutschen Kontext zu führen, erweist sich mir nach der Lektüre eigentlich als unnötige Schließung.

Was fehlt? Persönlich finde ich, würde dem Buch ein Bezug auf John Dewey oder auch auf prägende Protagonist*innen bspw. der Kinderrechtsbildung wie Janusz Korczak guttun. Das ist aber keine Kritik an der Qualität.

Georg Pirker ist Referent für internationale Bildungsarbeit im AdB. Er koordiniert das europäische Netzwerk DARE – Democracy and Human Rights Education in Europe (seit 2019 als Vorsitzender).