Außerschulische Bildung 4/2022

Siegfried Frech/Robby Geyer/Monika Oberle (Hrsg.): Europa in der politischen Bildung

Die EU ist der Spagat unter den Staatengebilden. Am Saalmikro mal verklärt, mal verteufelt, verdient sie sich am Küchentisch oft nur ein Kopfschütteln. Obwohl alle Vernunftbegabten unter uns einig sind, dass Europa nur im Team stark ist, reicht diese Einsicht nicht aus, uns alle zu informierten und zu mündigen Staatsbürger*innen zu machen. Denn hierfür braucht es die erlernte Kompetenz, kritisch mit den Schwierigkeiten, Komplexen und Gefahren umzugehen, die die EU schon immer in sich trug. Wer politische Bildung für Europa macht, sucht daher keine Mitglieder für einen Fanclub, sondern Wege zu fundiertem kritischem Denken. Wie kann dies gelingen? Dies ist die Leitfrage der von Siegfried Frech, Robby Geyer und Monika Oberle editierten fünfzehn Texte, die auf einer (vorpandemischen) Veranstaltung vom Februar 2020 basieren. Ihrem facettenreichen Thema nähern sich die Beiträge aus klugen Perspektiven mit klaren Fragen.

Schon die Einführung verdeutlicht, dass Europa gleichermaßen krisen- als auch chancenvoll besonders in der Schule, aber bereichert durch außerschulische Angebote erlernt und einer hingewandten Jugend beigebracht werden sollte. Martin Große Hüttmann zeigt mit seiner konzisen Problematisierung der gewissermaßen Tandem fahrenden Begriffe von EU und Krise: Aller Symptome von Krisen zum Trotz befindet sich die EU auf dem Weg zu einer solideren Integration. Monika Oberle beleuchtet Wissen und Einstellung junger Bürger*innen zur EU durch die Darstellung des Kontrasts von Anspruch und Wirklichkeit bei der schulischen Vermittlung der EU. Ihr Fazit gleicht dem von Helmar Schöne, der einen Beitrag später aufzeigt, das europapolitischer Schulbildung noch immer in allen Dimensionen zu wenig Aufmerksamkeit, Zeit und qualitativ hochwertiges Lehrmaterial gewidmet werde. Dem schließt sich auch Benedikt Widmaier an: Das Konzept des „active citizenship“ sei in den europäischen Institutionen angekommen, werde aber zu wenig wahrgenommen. Trotz der Unionsbürgerschaft, die der Vertrag von Lissabon ja festschreibt, verharre die deutsche politische Bildung methodologisch im Nationalen. In einem virtuous circle sollten Schulen das Bewusstsein für Pflichten und Rechte fördern. Dies würde Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken.

Dann wird es regional: Georg Weißeno blickt auf Qualität und Wirkung des Politikunterrichts in Baden-Württemberg. Sein Urteil, das auf Großstudien basiert, ist kritisch. Forschung und Lernzugänge befänden sich derzeit noch im Schatten einer zu normativen Lehrvorstellungen. Michèle Schilt berichtet aus dem traditionell europäisch geprägten Luxemburg, dass hier Europa zwar im Querschnitt unterrichtet wird. Zugleich bestünden noch immer Bedarfe im Bereich der Lernforschung und zu den Folgen des erst kürzlich etablierten Politikunterrichts. Béatrix Ziegler schaut in die Deutschschweiz, wo Politik erst seit 2014 kantonsübergreifend gleichförmiger unterrichtet wird. Vor allem die noch immer schleierhafte Stellung der Schweiz inmitten des Staatenverbunds mache die europapolitische Bildung zu einem noch ausbaufähigen Element an eidgenössischen Schulen. Ziegler konstatiert, wie auch Tatjana Meijvogel-Volk beim Blick in die Niederlande, dass die Lehrkräfte zentral für die verbesserungswürdige europapolitische Bildung seien, die dort zudem stark durch außerschulische Partner geprägt sei.

Sabine Keitel und Beatrix Melchinger gehen der Frage nach, wie man den europäischen Austausch junger Menschen in Online-Formaten, die mit der Pandemie einen größeren Stellenwert erhalten haben, fördern kann. Ihr Fazit lautet, dass digitale Lern- an die analogen Lebenswelten Jugendlicher angebunden sein müssen. Sven Ivens und Thomas Franke untersuchen ein Planspiel, bei dem es in analogen und digitalen Phasen um die fiktive Aufnahme eines Staates in die EU geht. Positiv halten beide fest, dass dies das Wissen zur EU steigere. Negativ sei, dass der Grad der Beteiligung jedoch nicht wachse.

Eva-Maria Goll hinterfragt, ob früher Politikunterricht kommunale Beispiele zentral stellen sollte. Vulgo: Was ist schwerer zu begreifen, Kommunal- oder Europapolitik? Obwohl Interesse und Vorwissen auch in der Grundschule durchaus vorhanden seien, friste die europapolitische Bildung hier ein Schattendasein und müsse ausgebaut werden, denn Vorwissen und Interesse seien ausreichend vorhanden. Bettina Zurstrassen und Eva Kristin Vogt blicken auf europapolitische Bildung in der Berufsbildung. Hier diene sie in erster Linie der Qualifizierung für einen liberalisierten Arbeitsmarkt und dann dem Erlernen von Eigenverantwortung und Selbststeuerung. Dabei läge der Stellenwert der Ökonomie zu hoch. Andreas Thimmel stellt abschließend heraus, dass die politische Dimension internationaler Austauschprogramme wachse.